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Spielen auf Zeit

18.09.2019 – Theodora Peter

Der Bundesrat will den Rahmenvertrag der Schweiz mit der Europäischen Union erst unterzeichnen, wenn strittige Punkte geklärt sind. Das könnte noch länger dauern. Fraglich ist, ob sich die neue EU-Kommission gegenüber Bern flexibler zeigen wird. Bislang hat das Zeitspiel der Schweiz kaum geschadet.

Seit nunmehr neun Monaten liegt der Entwurf eines institutionellen Rahmenabkommens auf dem Tisch, mit dem die Schweiz und die Europäische Union (EU) die Fortsetzung des bilateralen Wegs regeln wollen. Obwohl das Vertragswerk mit dem wichtigsten Handelspartner für die Schweiz eine enorm wichtige Bedeutung hat, hüllte sich der Bundesrat lange in Schweigen. Erst nach monatelangen Konsultationen der wichtigsten Akteure im Inland bezog die Landesregierung vor den Sommerferien erstmals Stellung. Die Schweiz könne den Vertrag in dieser Form nicht unterzeichnen, erklärte der Bundesrat im Juni. Nötig seien «Präzisierungen» in den strittigen Punkten. Den Begriff «Nachverhandlungen» vermied der Bundesrat in seiner Stellungnahme an den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker bewusst, denn solche hat die EU bislang kategorisch ausgeschlossen.

Das schweizerische Lohnniveau zu sichern ist eines der Hauptziele, die der Bundesrat erreichen will. Foto Keystone

Konkret geht es um drei Punkte, die der Bundesrat in der vorliegenden Form nicht als mehrheitsfähig erachtet, weil sie innenpolitisch auf grossen Widerstand stossen: der Lohnschutz, die staatlichen Beihilfen und die Unionsbürgerrichtlinie («Schweizer Revue» 2/2019). Beim Lohnschutz will der Bundesrat erreichen, dass das Schweizer Lohnniveau garantiert wird. Bei den staatlichen Beihilfen will er sicherstellen, dass die Schweiz entsprechende EU-Regeln nur dort anwenden muss, wo ein vertraglich abgesicherter Zugang zum EU-Binnenmarkt besteht. Drittens soll das Rahmenabkommen nicht so interpretiert werden, dass die Schweiz zur Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie gezwungen werden könnte. Mit der Unionsbürgerrichtlinie regeln die EU-Staaten gegenseitig die Aufenthaltsrechte ihrer Bürger in anderen Mitgliedstaaten, wozu auch Leistungen wie die Sozialhilfe gehören.

Bundespräsident Ueli Maurer: Muss für ein Rahmenabkommen einstehen, das seine Partei, die SVP, grundsätzlich in Frage stellt.

Lösung kaum in Juncker-Amtszeit

Fraglich ist, ob diese strittigen Punkte tatsächlich nur mit «Präzisierungen» in den Vertragsdokumenten zu regeln sind oder ob es neue Verhandlungen braucht. Dafür wird die Zeit jedoch langsam knapp: Ende Oktober tritt die amtierende EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker ab, die den Rahmenvertrag mit der Schweiz ausgehandelt hatte. Bundespräsident Ueli Maurer (SVP) liess Anfang August verlauten, er erwarte nicht, dass bis zum Ende der Juncker-Amtszeit eine Lösung gefunden wird. Aber auch mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dürfte das Verhandeln nicht einfacher werden. Doch die Schweiz habe Zeit «und wir brauchen Zeit für eine Lösung, die der Schweiz dient», sagte Maurer, dessen Partei die Personenfreizügigkeit ganz aufgeben möchte. Die SVP-Initiative für eine «massvolle Zuwanderung» ist zustande gekommen und wird voraussichtlich in der Herbstsession im Nationalrat debattiert.

Zum Lohnschutz lag bei Redaktionsschluss noch keine mehrheitsfähige Schweizer Position vor. Der Bundesrat hatte die Gewerkschaften und die Arbeitgeber beauftragt, über den Sommer mögliche Verhandlungsangebote an die EU auszuloten. Gewerkschaftschef Pierre-Yves Maillard machte aber bereits klar, keine Abstriche akzeptieren zu wollen. Auch er spielt auf Zeit und möchte Brüssel dazu bringen, der Schweiz beim Lohnschutz entgegenzukommen. Im Gegenzug schlägt er höhere Finanzbeiträge vor – ähnlich der bereits geleisteten Kohäsionszahlungen für die neuen EU-Länder, der sogenannten Ostmilliarde.

Möglich ist ein Szenario, wonach 2020 zunächst das Stimmvolk über die Begrenzungsinitiative der SVP entscheiden soll, bevor der Rahmenvertrag unterzeichnet wird. Ein Volks-Nein zur Kündigung der Personenfreizügigkeit käme einem Plebiszit zur Fortführung des bilateralen Wegs gleich und würde dem Bundesrat den Rücken stärken. Das Spielen auf Zeit bei der Unterzeichnung eines institutionellen Rahmenabkommens hatte für die Schweiz bislang keine grossen Nachteile. Zwar verweigerte die EU der Schweiz per 1. Juli die Verlängerung der sogenannten Börsenäquivalenz. Doch scheinen die Schutzmassnahmen zu wirken, die der Bundesrat zugunsten des Handels von Wertpapieren an der Schweizer Börse ergriffen hatte.

Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Darf sich gegenüber der Schweiz kaum flexibel zeigen, weil der Brexit die EU zu Härte gegenüber Nicht-EU-Staaten zwingt.

Brexit bremst Flexibilität

Mehr Bauchschmerzen bereitet der Wirtschaft die drohende Erosion bestehender bilateraler Verträge. Solange es beim Rahmenabkommen keine Fortschritte gibt, will die EU bestehende Verträge nicht zwingend aktualisieren. So müsste das bilaterale Abkommen über die technischen Handelshemmnisse vor Mai 2020 angepasst werden, ansonsten könnten Schweizer Medtech-Firmen den direkten Zugang zum europäischen Binnenmarkt verlieren. Konkret drohen höhere bürokratische Hürden mit entsprechenden Mehrkosten. Für die Wirtschaft steht mit den bilateralen Verträgen viel auf dem Spiel: Die Schweiz verdient jeden dritten Franken im Rahmen ihrer Beziehungen zur EU. Auf der Grundlage der bilateralen Verträge findet täglich ein Warenaustausch im Umfang von einer Milliarde Franken statt. Ein offener Zugang zum europäischen Markt ist für die Schweizer Wirtschaft deshalb essenziell.

Wenig hilfreich ist für die Schweiz der drohende Brexit. Angesichts eines Austrittes Grossbritanniens aus der EU setzt Brüssel alles daran, eine Nichtmitgliedschaft in der Europäischen Union möglichst unattraktiv zu gestalten. Das bekommt auch die Schweiz zu spüren, der man Rosinenpickerei vorwirft. Gemäss Beobachtern würde sich Brüssel Bern gegenüber flexibler zeigen, wenn man nicht wegen des Brexit Härte markieren müsste.

Der Artikel gibt den Informationsstand bei Redaktionsschluss Anfang August wieder. Früherer Artikel zum Thema

 

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Kommentare :

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    Rudi Amrein, Donegal, Ireland. 17.10.2019 um 15:38
    it looks like the holy roman empire has come back again, massive european companies and interests have come calling and will attack using the institutions of the European Union, if they are given access to free trade they will want to dictate terms that will give their companies an advantage, there by undermining the swiss owned and operated companies and eventually swallowing them up. keep independent and be a shining light to everyone that switzerland is welcoming to everyone, but on Swiss terms.
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    Peter Vogel, Memphis, Tennessee 19.09.2019 um 15:15
    I hope that Switzerland remains a free nation. The EU "government" is more autocratic than democratic. The terrible "Brexit" deal they offered the UK is a punishment for threatening to leave the EU. These are just the middle steps towards an ever increasing authoritarian central government. Switzerland works so well despite the language differences because as much as possible government control is local, not federal. The EU is heading down the other path, and centralized control can only be maintained through threats and force.
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    Markus Immer, Philippinen, Cebu 19.09.2019 um 13:00
    Eine klare Mehrheit will diesen Vertrag, der sonnenklar ein Anbindung- oder Unterwerfungsvertrag ist, nicht. Das Geschrei der Wirtschaft, ist rein politisch. Fakten und Zahlen, sowie Weitsicht und ganzheitliche Betrachtung des Staates Schweiz fehlen fast zu 100%. Unseren Politikern kann man nicht trauen, die "Verhandler" wollen allesamt in die EU. Der Wirtschaft zählen nur Standortvorteile. Der Verkauf der Heimat von leider immer weniger Schweizer Patrioten geht hinter den Kulissen weiter. "la suisse n'existe pas" ... stimmt... leider.
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      Thomas Rettenmund, Wanneperveen, NL 21.09.2019 um 11:52
      Von "Unterwerfung, sklavischer Abhängigkeit" etc. zu sprechen ist einfach nur, sorry, dumm und einfältig.
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    Joachim Kautz, Reutlingen, Deutschland 19.09.2019 um 09:27
    Das bilaterale Abkommen mit der EU hat die Schweiz unter anderem zu mehr Wohlstand geführt. Laut der Handelszeitung (CH) vom Mai 2019 belegt dies ein Studie der Bertelsmann-Stiftung. Die Schweiz profitiert auch vom Zuzug grenznaher Fachkräfte. Würden alle ausländischen Fachkräfte in in ihre Heimatländer zurückkehren, hätte dies enorme negative Auswirkungen auf die Infrastruktur der Schweiz. Insbesondere Ärzte, Pflegekräfte und Facharbeiter aus Deutschland sind in die Schweiz gekommen, die dadurch im Heimatland grosse Lücken hinterlassen haben.
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      Markus Immer, Philippinen, Cebu 19.09.2019 um 14:30
      Um bilateral miteinander zu "geschäften" braucht es keinen Anbindungs- sprich Unterwerfungsvertrag mit der EU! Kaum jemand kennt diesen "Vertrag". Dieser wird durch die Presse und die öffentlichen Institutionen weder umfassen kommuniziert noch hinterfragt. Da stinkt es gewaltig! Fachkräfte kommen in die Schweiz (wenige), die meisten sind mittellose und ungebildete Immigranten und landen im Sozialnetz. Die Rechnung geht auch anders: Wieviele ausgebildete Schweizer Fachkräfte arbeiten in Deutschland und anderen Staaten, jedoch kaum einer wird in Deutschland Harz4 beantragen ... "Bertelsmann-Stiftung"? Eine höchst undurchsichtige Institution. Solche "Studien" werden immer und natürlich von jemandem mit bestimmten Interessen bezahlt und sind daher wertlos.
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    Jürg Schwendener, Phuket, Thailand 19.09.2019 um 04:41
    Die EU-Kommission war schon lange vor dem BREXIT nie bereit, vernünftig mit der Schweiz zu verhandeln, sondern die Schweiz musste ohne grosse Gegenleistung die Personenfreizügigkeit übernehmen. Dies hat zu einer enormen Zunahme der ausländischen Bevölkerung geführt und belastet die Infrastruktur der Schweiz. Der von der Schweizer Delegation unausgereift verhandelte Rahmenvertrag verbirgt viel mehr Abhängigkeit und Diktat der EU als zugegeben wird. Der Bundesrat weiss dies und hat deshalb auch Angst vor einer Volksabstimmung.
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      Thomas Rettenmund, Wanneperveen, NL 21.09.2019 um 11:46
      Nun, die Zeiten wo "die kleine Schweiz" sich grösser gebärdete als sie wirklich ist, sind eben vorbei. Zudem profitiert vorwiegend die CH-Exportindustrie massiv von dem grössten Wirtschaftsraum in der westlichen Welt. Aber auch der einfache Bürger, z.B. Garantieleistungen auf 2 Jahre, Konsumentenschutz, Preisrückerstattung bei verspäteten Reisen (Flugzeuge, Bahn) usw. usf.
      Nur einfach egozentrisch seine Bedürfnisse anmelden, ohne Gegenleistung geht auch im allgemeinen Leben nicht. Verständlich, dass die EU hier einfach mal hart bleibt. Wohlverstanden, ich bin ein Schweizer und beachte die Interessen des Heimatlandes schon. Aber dazu gehört halt auch das Verstehen der "Gegenseite".
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