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Die Schweiz muss zügig ihre Beziehung zur Europäischen Union klären. Doch der Bundesrat will seine Haltung zum unterschriftsreifen Rahmenabkommen erst nach Diskussionen mit den wichtigsten Akteuren im Inland festlegen. Deren Vorbehalte sind gross.
Nach fünf Jahren war es im Dezember 2018 endlich so weit: Die Verhandlungen zu einem institutionellen Rahmenabkommen, mit dem die Schweiz und die Europäische Union (EU) die Fortsetzung des bilateralen Wegs regeln wollen, kamen zu einem Abschluss. Seither liegt der Entwurf eines Abkommens zur Unterschrift bereit auf dem Tisch. Doch zum Erstaunen Brüssels kam aus dem Bundeshaus keine postwendende Antwort – weder ein «Ja, bravo» noch ein «Nein, danke». Der Bundesrat nahm das lang erwartete Verhandlungsresultat lediglich «zur Kenntnis». Begründung: Man wolle zuerst bei den wichtigsten Akteuren den Puls fühlen, bevor sich die Regierung im Frühling eine Meinung zu den Vor- und Nachteilen des Abkommens bilden werde. Seither führen Mitglieder des Bundesrates «interaktive Diskussionen» mit den Kantonen, den Parteien, den Sozialpartnern, der Wirtschaft und der Wissenschaft.
Klar ist: Es steht viel auf dem Spiel. Die Schweiz verdient jeden dritten Franken im Rahmen ihrer Beziehungen zur EU. Auf der Grundlage der bilateralen Verträge findet täglich ein Warenaustausch im Umfang von einer Milliarde Franken statt. Ein offener Zugang zum EU-Markt ist für die Schweizer Wirtschaft essenziell. Das institutionelle Rahmenabkommen soll die fünf bestehenden bilateralen Abkommen (Personenfreizügigkeit, Landverkehr, Luftverkehr, technische Handelshemmnisse und Landwirtschaft) weiterführen und den Weg für neue Abkommen (Strommarkt) ebnen.
Die Konsultation zum Rahmenabkommen zeigt: Auf dem weiteren bilateralen Weg lauern mindestens drei Stolperfallen.
Die Schweiz soll beim Lohnschutz mit wenigen Ausnahmen die Regeln der EU übernehmen. Dies hätte eine Schwächung der flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping zur Folge. Heute müssen sich ausländische Firmen acht Tage vorher anmelden, wenn sie in der Schweiz einen Auftrag ausführen wollen. Dieser Protektionismus ist der EU ein Dorn im Auge, weshalb die Frist mit dem Rahmenabkommen auf vier Werktage gesenkt werden soll. Mit dieser Konzession ist für die Schweizer Gewerkschaften und die SP jedoch eine rote Linie überschritten worden. Sie halten an der Acht-Tage-Regel als zwingende Bedingung fest. Nur so seien Kontrollen und Sanktionen gegen Lohndumping überhaupt realisierbar.
Mit dem Rahmenabkommen würde sich die Schweiz zu einer «dynamischen Rechtsübernahme» verpflichten. Das heisst: Führt die EU neue Vorschriften ein, hätte die Schweiz jeweils zwei Jahre Zeit, diese zu übernehmen. Die direktdemokratischen Prozesse blieben aber gewahrt: Kommt es zu einem Referendum, erhielte die Schweiz ein drittes Jahr Zeit zur Umsetzung. Will die Schweiz eine neue EU-Vorschrift nicht übernehmen, kann Brüssel vor einem neu einzurichtenden Schiedsgericht dagegen klagen. Dieser Mechanismus ist stark umstritten. Die SVP sieht dadurch gar die Souveränität der Schweiz in Gefahr und warnt vor «fremden Richtern». Bei einer öffentlichen Anhörung der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates bezeichnete Carl Baudenbacher, ehemaliger Präsident des EftaGerichtshofes, das Schiedsgericht gar als «Feigenblatt». Es drohe eine einseitige Abhängigkeit vom Europäischen Gerichtshof, an dessen Auslegung sich das Schiedsgericht bei EU-Recht halten müsste. Andere Expertinnen wie die Europarechtlerin Astrid Epiney bewerten die dynamische Rechtsübernahme als weniger problematisch: Damit werde im Gegenteil Rechtssicherheit geschaffen. Zudem erhalte die Schweiz Mitgestaltungsrechte und könne bei Bedarf auch selber das Schiedsgericht anrufen.
Im Entwurf zum Rahmenabkommen ist die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie zwar nicht erwähnt. Sie wurde aber auch nicht explizit ausgeklammert, wie dies die Schweiz in den Verhandlungen gewünscht hatte. Die Frage einer Übernahme dieser Richtlinie könnte somit ein erster Fall für das Schiedsgericht werden. Mit der Unionsbürgerrichtlinie sichern sich die EU-Mitgliedsstaaten seit 2004 gegenseitig Bürgerrechte zu. Diese gehen weiter als die Personenfreizügigkeit, welche die Schweiz mit der EU vereinbart hat – etwa beim Anspruch auf Sozialhilfe, dem Recht auf dauerhaften Aufenthalt oder beim Schutz vor Ausschaffung. Darin sehen sowohl FDP wie CVP einen Stolperstein und fordern, die Unionsbürgerrichtlinie müsse ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Rahmenabkommens ausgeklammert werden.
Völlig vorbehaltlos hinter dem ausgehandelten Rahmenabkommen steht somit keine der Bundesratsparteien. Auch die Zustimmung des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse ist eher als «Ja, aber» zu verstehen. Zwar überwiegen für die Schweizer Wirtschaft die Vorteile des Marktzugangs klar. Trotzdem verlangt Economiesuisse «Klärungen» zur Auslegung des Rahmenabkommens, unter anderem zur Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie sowie zur Sozialpartnerschaft. Zu Letzterer soll klargestellt werden, dass das System paritätischer Kontrollen nicht eingeschränkt wird.
Nachverhandlungen fordert der Wirtschaftsdachverband nicht, denn solche hat die EU bislang ausdrücklich ausgeschlossen. Ob die Türen in Brüssel tatsächlich so geschlossen bleiben, wie es den Anschein macht, ist fraglich. Gemäss politischen Beobachtern könnte die Strategie des Bundesrates aufgehen, mit der innenpolitischen Konsultation Zeit zu gewinnen und doch noch Nachbesserungen zu erwirken. Die EU habe sich in heiklen Situationen immer wieder flexibel gezeigt und Ausnahmeregelungen für einzelne Staaten gewährt – dies könne auch im Umgang mit einem wohlgesinnten Nichtmitgliedsland erwartet werden.
Der Artikel deckt den Stand bei Redaktionsschluss von Mitte Februar 2019 ab.
Nach dem Brexit behalten Schweizer Staatsangehörige in Grossbritannien und Briten in der Schweiz ihre bisherigen Rechte. Dafür haben beide Länder mit einem bilateralen Abkommen vorgesorgt. Nebst den Aufenthaltsrechten werden darin die Ansprüche auf Sozialversicherungen und Anerkennung von beruflichen Qualifikationen geregelt. Die gewährten Rechte gelten auf Lebenszeit. Sie gelten aber nicht für britische und Schweizer Staatsangehörige, die nach dem Wegfall des Freizügigkeitsabkommens neu zuwandern.
Bei einem ungeordneten Brexit tritt das Abkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien bereits am 30. März vorläufig in Kraft. Im Falle eines geordneten Brexits gilt bis voraussichtlich Ende 2020 eine Übergangsphase. Während dieser kommen die bisherigen Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens zur Anwendung. Ende 2017 lebten rund 34 500 Schweizer im Vereinigten Königreich und rund 43 000 Briten in der Schweiz.
Ebenfalls vorgesorgt haben die beiden Länder mit einem Abkommen zum Luftverkehr, um die bestehenden Verkehrsrechte zu sichern und lückenlos weiterzuführen. Zwischen der Schweiz und Grossbritannien verkehren täglich rund 150 Flüge.
Kommentare
Kommentare :
Also werden die EU-Wahlen zusätzliche Anti-EU-Kräfte nach der Europawahl im Brüsseler Parlament einziehen. Zudem dürfte es einen klaren Brexit geben, was den Untergang dieses grauenhaften Systems besiegeln wird.