2. Die dynamische Rechtsübernahme
Mit dem Rahmenabkommen würde sich die Schweiz zu einer «dynamischen Rechtsübernahme» verpflichten. Das heisst: Führt die EU neue Vorschriften ein, hätte die Schweiz jeweils zwei Jahre Zeit, diese zu übernehmen. Die direktdemokratischen Prozesse blieben aber gewahrt: Kommt es zu einem Referendum, erhielte die Schweiz ein drittes Jahr Zeit zur Umsetzung. Will die Schweiz eine neue EU-Vorschrift nicht übernehmen, kann Brüssel vor einem neu einzurichtenden Schiedsgericht dagegen klagen. Dieser Mechanismus ist stark umstritten. Die SVP sieht dadurch gar die Souveränität der Schweiz in Gefahr und warnt vor «fremden Richtern». Bei einer öffentlichen Anhörung der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates bezeichnete Carl Baudenbacher, ehemaliger Präsident des EftaGerichtshofes, das Schiedsgericht gar als «Feigenblatt». Es drohe eine einseitige Abhängigkeit vom Europäischen Gerichtshof, an dessen Auslegung sich das Schiedsgericht bei EU-Recht halten müsste. Andere Expertinnen wie die Europarechtlerin Astrid Epiney bewerten die dynamische Rechtsübernahme als weniger problematisch: Damit werde im Gegenteil Rechtssicherheit geschaffen. Zudem erhalte die Schweiz Mitgestaltungsrechte und könne bei Bedarf auch selber das Schiedsgericht anrufen.
3. Die Unionsbürgerrichtlinie
Im Entwurf zum Rahmenabkommen ist die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie zwar nicht erwähnt. Sie wurde aber auch nicht explizit ausgeklammert, wie dies die Schweiz in den Verhandlungen gewünscht hatte. Die Frage einer Übernahme dieser Richtlinie könnte somit ein erster Fall für das Schiedsgericht werden. Mit der Unionsbürgerrichtlinie sichern sich die EU-Mitgliedsstaaten seit 2004 gegenseitig Bürgerrechte zu. Diese gehen weiter als die Personenfreizügigkeit, welche die Schweiz mit der EU vereinbart hat – etwa beim Anspruch auf Sozialhilfe, dem Recht auf dauerhaften Aufenthalt oder beim Schutz vor Ausschaffung. Darin sehen sowohl FDP wie CVP einen Stolperstein und fordern, die Unionsbürgerrichtlinie müsse ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Rahmenabkommens ausgeklammert werden.
Völlig vorbehaltlos hinter dem ausgehandelten Rahmenabkommen steht somit keine der Bundesratsparteien. Auch die Zustimmung des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse ist eher als «Ja, aber» zu verstehen. Zwar überwiegen für die Schweizer Wirtschaft die Vorteile des Marktzugangs klar. Trotzdem verlangt Economiesuisse «Klärungen» zur Auslegung des Rahmenabkommens, unter anderem zur Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie sowie zur Sozialpartnerschaft. Zu Letzterer soll klargestellt werden, dass das System paritätischer Kontrollen nicht eingeschränkt wird.
Nachverhandlungen fordert der Wirtschaftsdachverband nicht, denn solche hat die EU bislang ausdrücklich ausgeschlossen. Ob die Türen in Brüssel tatsächlich so geschlossen bleiben, wie es den Anschein macht, ist fraglich. Gemäss politischen Beobachtern könnte die Strategie des Bundesrates aufgehen, mit der innenpolitischen Konsultation Zeit zu gewinnen und doch noch Nachbesserungen zu erwirken. Die EU habe sich in heiklen Situationen immer wieder flexibel gezeigt und Ausnahmeregelungen für einzelne Staaten gewährt – dies könne auch im Umgang mit einem wohlgesinnten Nichtmitgliedsland erwartet werden.
Der Artikel deckt den Stand bei Redaktionsschluss von Mitte Februar 2019 ab.
Theodora Peter ist freie Journalistin in Bern
Schweizer in Grossbritannien nach Brexit geschützt
Nach dem Brexit behalten Schweizer Staatsangehörige in Grossbritannien und Briten in der Schweiz ihre bisherigen Rechte. Dafür haben beide Länder mit einem bilateralen Abkommen vorgesorgt. Nebst den Aufenthaltsrechten werden darin die Ansprüche auf Sozialversicherungen und Anerkennung von beruflichen Qualifikationen geregelt. Die gewährten Rechte gelten auf Lebenszeit. Sie gelten aber nicht für britische und Schweizer Staatsangehörige, die nach dem Wegfall des Freizügigkeitsabkommens neu zuwandern.
Bei einem ungeordneten Brexit tritt das Abkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien bereits am 30. März vorläufig in Kraft. Im Falle eines geordneten Brexits gilt bis voraussichtlich Ende 2020 eine Übergangsphase. Während dieser kommen die bisherigen Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens zur Anwendung. Ende 2017 lebten rund 34 500 Schweizer im Vereinigten Königreich und rund 43 000 Briten in der Schweiz.
Ebenfalls vorgesorgt haben die beiden Länder mit einem Abkommen zum Luftverkehr, um die bestehenden Verkehrsrechte zu sichern und lückenlos weiterzuführen. Zwischen der Schweiz und Grossbritannien verkehren täglich rund 150 Flüge.
Brexit-Vereinbarung
Das Rahmenabkommen in Kürze
Kommentare
Kommentare :
Also werden die EU-Wahlen zusätzliche Anti-EU-Kräfte nach der Europawahl im Brüsseler Parlament einziehen. Zudem dürfte es einen klaren Brexit geben, was den Untergang dieses grauenhaften Systems besiegeln wird.