Politik
Politik
Politik
Politik
Schwerpunkt
Politik
Politik
Politik
Seit 25 Jahren kennt die Schweiz eine Strafnorm gegen Rassismus. Sie schützt Menschen vor Verunglimpfung wegen ihrer Rasse, Ethnie und Religion. Ob dieser Diskriminierungsschutz künftig auch für Lesben und Schwule gelten soll, darüber entscheidet das Stimmvolk am 9. Februar 2020 an der Urne.
In der Schweiz müssen sich homosexuelle Paare längst nicht mehr verstecken: Gleichgeschlechtliche Liebe stösst auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Trotzdem erleben Schwule und Lesben immer wieder Anfeindungen oder gar gewaltsame Übergriffe. Für Schlagzeilen sorgte etwa der Fall eines schwulen Paars, das spätnachts mitten in Zürich von einer Gruppe junger Männer zusammengeschlagen und als «Schwuchteln» und «Missgeburten» beschimpft worden war. Die Organisation Pink Cross erhält nach eigenen Angaben pro Woche bis zu vier Meldungen über homophobe Übergriffe. Eine Statistik über Taten aufgrund der sexuellen Orientierung der Opfer existiert in der Schweiz nicht. Zudem bleiben viele Übergriffe im Dunkeln, weil die Betroffenen auf einen Gang zur Polizei verzichten.
Wer Hass gegen Homosexuelle sät, kann heute nur bedingt strafrechtlich verfolgt werden. Zwar kann jede Person, die persönlich verunglimpft wird, wegen übler Nachrede oder Verleumdung Anzeige erstatten. Der Ehrverletzungsartikel im Strafrecht kommt aber nicht zur Anwendung, wenn ganze Gruppen von einer Verunglimpfung betroffen sind, also zum Beispiel Schwule und Lesben generell. So durfte ein Appenzeller Lokalpolitiker der rechtsextremen PNOS auf Facebook Homosexuelle ungestraft als «demografische Deserteure» bezeichnen, ihnen «Pionierarbeit für Pädophile» unterstellen oder die «russische Lösung» propagieren (in Russland sind Schwule und Lesben Repressalien ausgesetzt). Eine Sammelstrafanzeige von Pink Cross wegen Ehrverletzung blieb ohne Folgen. Der Staatsanwalt stellte das Verfahren mangels Rechtsgrundlage ein.
Diese Lücke im Strafgesetz möchte der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard mit der Ausweitung der Rassismus-Strafnorm auf die sexuelle Orientierung schliessen. «Homophobie ist keine Meinungsäusserung und soll gleich wie Rassismus oder Antisemitismus als Delikt anerkannt werden», betont Reyard. Die Rassismusstrafnorm, die Menschen vor Verunglimpfung aufgrund ihrer Rasse, Ethnie und Religion schützt, ist seit 1995 in Kraft. 2013 reichte Reynard eine parlamentarische Initiative ein mit der Forderung, den Diskriminierungsschutz um die Kategorie der «sexuellen Orientierung» auszuweiten. Damit stiess der Nationalrat bei seinen Kollegen auf offene Ohren. Die grosse Kammer wollte sogar noch weiter gehen und auch das Kriterium der «Geschlechtsidentität» in die Bestimmung aufnehmen. Damit sollten nebst Schwulen und Lesben auch Bisexuelle und Transmenschen (LGBT) vor Hasskriminalität geschützt werden. Das ging aber wiederum dem Ständerat zu weit: Die «Geschlechtsidentität» sei rechtlich nicht klar fassbar, was zu Auslegungsproblemen führen könnte. Schliesslich einigten sich die beiden Kammern auf eine Ergänzung der Rassismusstrafnorm um die «sexuelle Orientierung».
Bei liberalen Juristen im Parlament herrschte grundsätzliche Skepsis gegenüber zusätzlichen Diskriminierungsverboten. So gab der Appenzeller FDP-Ständerat Andrea Caroni zu bedenken, das Strafrecht sei «eine zu grobe Keule» für solche Fälle. Er berief sich auf die Meinungsäusserungsfreiheit und warnte davor, künftig auch noch Diskriminierung aufgrund der Sprache, der Nationalität oder des Geschlechts unter Strafe zu stellen. «Das hört nie auf.» Auch die «Neue Zürcher Zeitung» warnte in einem Kommentar vor neuen Verboten und rief dazu auf, Schwulenhasser mit Zivilcourage und klaren Worten zu stoppen.
Fundamentaler Widerstand gegen die Ausdehnung der Rassismus-Strafnorm auf Schwule und Lesben kommt von der christlich-konservativen Partei EDU, der Jungen SVP und der Arbeitsgruppe Jugend und Familie. Ein gemeinsames Komitee sammelte unter dem Slogan «Nein zum Zensurgesetz» 67 500 gültige Unterschriften für ein Referendum. Deshalb wird die Vorlage nun am kommenden 9. Februar dem Stimmvolk zum Entscheid vorgelegt.
Die Gegner kritisieren eine aus ihrer Sicht unverhältnismässige Einschränkung der Gewissensfreiheit. EDUPräsident Hans Moser befürchtet, dass künftig Pfarrer ins Visier der Justiz geraten, «wenn sie biblische Wahrheiten zitieren». Für viele Freikirchen ist die gleichgeschlechtliche Liebe mit einem Leben getreu der Bibel unvereinbar. Sich mit Homosexualität öffentlich kritisch auseinanderzusetzen, müsse ein «legitimer Standpunkt» bleiben, schreibt das Komitee. Meinungen dürften nicht kriminalisiert werden, und es bestehe die Gefahr von «Gesinnungsjustiz». Die Junge SVP ihrerseits will verhindern, dass «die Meinungsfreiheit noch mehr eingeschränkt wird». Die Partei nimmt damit die Rassismus-Strafnorm grundsätzlich ins Visier, deren Abschaffung sie wiederholt forderte.
Bereits vor 25 Jahren bei der Einführung der RassismusStrafnorm stellten die Gegner die Frage der Meinungsäusserungsfreiheit in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gegen das «Maulkorbgesetz». In der Volksabstimmung vom Herbst 1994 nahmen schliesslich rund 55 Prozent der Stimmenden die Vorlage an. Damit wurde der Weg frei, damit die Schweiz als 130. Staat dem UNO-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung beitreten konnte.
Die Frage, ob man denn «nicht mehr alles sagen darf», wird seither immer wieder aufgeworfen. Ist die Meinungsäusserungsfreiheit in der Schweiz tatsächlich in Gefahr? Die Juristin Vera Leimgruber hat im Auftrag der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) die bisherigen Gerichtsurteile zur Rassismusstrafnorm analysiert. Dabei kam Leimgruber zum Schluss, dass der Gesetzesartikel bislang sehr zurückhaltend angewendet wurde, und die Richter bei Grenzfällen dem Argument der Meinungsäusserungsfreiheit grosses Gewicht gaben. Kein Grenzfall seien jedoch Aussagen, welche die Menschenwürde herabsetzen. Die Menschenwürde gilt als Wurzel der unantastbaren Grundrechte.
So verurteilte 2017 das Bundesgericht zwei SVP-Funktionäre wegen der Publikation eines Inserates mit der Schlagzeile «Kosovaren schlitzen Schweizer auf». Die Partei griff damit im Rahmen der Kampagne zur Masseneinwanderungsinitiative den Fall eines Täters kosovarischer Herkunft auf, der in Interlaken einen Schweizer mit einem Messer angegriffen hatte. Die obersten Richter kamen zum Schluss, dass mit dem «Pauschalurteil» im Inserat die Kosovaren als Ethnie herabgesetzt und als minderwertig dargestellt würden. Zudem werde so ein Klima des Hasses geschaffen.
jazumschutz.ch
www.zensurgesetz-nein.ch
www.ekr.admin.ch
Kommentare