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  • Politik

Der ungewöhnliche Deal um Steuern und AHV

22.11.2018 – Jürg Müller

Es gilt als wichtigstes und folgenreichstes Geschäft der laufenden Legislatur: Die Reform der Firmensteuern, auf umstrittene Weise angereichert mit einer AHV-Finanzspritze. Das letzte Wort hat das Volk am 19. Mai 2019.

«Kuhhandel» war das meistverwendete Wort der Herbstsession 2018. Finanzminister Ueli Maurer (SVP) bezeichnete den gleichen Vorgang dagegen als «kleines Kunstwerk des politischen Kompromisses». Die unterschiedliche Wahrnehmung ist erklärbar. Denn was die einen ablehnten und die anderen guthiessen, war in der Tat ein etwas ungewöhnliches Parlamentsgeschäft: Zwei unterschiedliche Politikbereiche wurden in eine einzige Vorlage gepackt, nämlich eine für den Wirtschaftsplatz Schweiz wichtige Unternehmenssteuerreform und eine Finanzspritze an die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV). In der Herbstsession hat das Parlament das Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) abgesegnet.

Man muss etwas zurückblenden, um die spezielle Mechanik dieses Gesetzespaketes zu verstehen. 2017 scheiterten gleich zwei grosse Reformvorhaben in Volksabstimmungen: am 12. Februar die Unternehmenssteuerreform III und am 24. September die «Altersvorsorge 2020». Der Reformbedarf ist zwar in beiden Bereichen gewaltig. Die Steuerfrage steht vor allem deshalb unter enormem Zeitdruck, weil die Schweiz ohne Reform auf einer schwarzen Liste der Europäischen Union (EU) landen könnte; die EU-Mitgliedstaaten könnten für die Schweiz unangenehme Gegenmassnahmen ergreifen. Kommt dazu, dass auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in der gleichen Sache ebenfalls Druck auf die Schweiz ausübt.

Altbekanntes Problem

Aus heiterem Himmel gefallen sind die Probleme nicht. Sie sind bereits seit 2005 bekannt: Der EU sind gewisse Steuerpraktiken der Kantone ein Dorn im Auge, weil Erträge aus dem Ausland tiefer besteuert werden als inländische Gewinne, was in den Augen der Kritiker zu einem schädlichen Steuerwettbewerb führt. Die Schweiz verpflichtete sich, den steuerlichen Sonderstatus für Holdings und andere internationale Konzerne abzuschaffen. Denn dieses System machte die Schweiz attraktiv für sehr mobile Unternehmungen. Sie wurden gegenüber inländischen Firmen privilegiert. Mit der Steuerreform sollten alle Firmen steuerlich gleichgestellt werden. Um diesen bisher privilegierten Unternehmen Ersatz zu bieten, wollte man ihnen gewisse neue Steuerabzüge ermöglichen. Doch nach Auffassung der Sozialdemokratischen Partei (SP) packte das Parlament unnötigerweise weitere Steuerentlastungen in die ursprüngliche Vorlage des Bundesrates, worauf die SP das Referendum ergriff – und dann eben im Februar 2017 als Siegerin aus der Abstimmung hervorging.

Komplizierte Steuermechanik

Nun musste rasch eine neue Lösung her. Zum einen, weil die fraglichen international tätigen Unternehmen für die Schweiz nicht zuletzt auch steuerlich von erheblicher Bedeutung sind, liefern sie doch knapp 50 Prozent der Bundessteuereinnahmen der juristischen Personen ab; zum andern aber auch, weil der Zeitdruck zunahm. Ziel der Reform ist es, die Steuerbelastung für diese Gesellschaften mit Sonderstatus nicht dramatisch ansteigen zu lassen, weil man sonst ihren Wegzug befürchtet. Die Kantone werden ihre Gewinnsteuern also generell senken. Die Statusgesellschaften zahlen künftig etwas mehr, die heute nicht steuerprivilegierten Firmen, also vor allem die heimischen KMU, aber weniger. Das führt zu hohen Steuerausfällen, gewissermassen der Preis für die Gleichbehandlung aller Firmen. Um für die bisherigen Statusgesellschaften weiterhin attraktiv zu bleiben, werden neue, international akzeptierte Steuerprivilegien eingeführt. Stichworte sind dabei die Patentbox (tiefere Besteuerung von Erträgen aus Patenten), Sonderabzüge für Forschung und Entwicklung, sowie ein Abzug für Eigenfinanzierungen. Die Besteuerung von Dividenden bei Grossaktionären wird im Gegenzug wieder etwas erhöht. Der Bund überlässt den Kantonen zudem eine weitere Milliarde aus der direkten Bundessteuer – so erhalten sie mehr Spielraum für eigene Steuersenkungen. In den Grundzügen ist die aktuelle Reform ähnlich wie die im vergangenen Jahr abgelehnte, man hat jedoch die Mechanik so angepasst, dass die Steuerausfälle etwas kleiner werden sollten.

Sozialer Ausgleich via AHV

Nun kommt die AHV ins Spiel. Auch die Renten gehören, wie die Steuern, zu den Grossbaustellen helvetischer Politik. Und auch die grosse Rentenreform fand 2017 keine Gnade vor dem Volk. Nun sind Politikerinnen und Politiker vor allem aus SP, CVP und FDP auf die Idee gekommen, im Sinne eines sozialen Ausgleichs neue Finanzmittel für die AHV in die Steuervorlage zu packen. Die geschätzten rund zwei Milliarden Franken Steuerausfälle aus der Steuerreform sollten durch Beiträge in der gleichen Höhe in die AHV kompensiert werden. Finanziert werden soll das durch erhöhte AHV-Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und durch mehr Bundesmittel an die AHV-Kasse. Eine Rentenreform ist das nicht, aber immerhin habe man ein wenig Zeit gewonnen für eine grundlegende Reform, sagen die Befürworter.

Leidenschaftliche Debatten

Das etwas ungewöhnliche Paket führte zu leidenschaftlichen Debatten in Parlament und Öffentlichkeit. So richtig zufrieden ist niemand. Es sei keine gute Vorlage, sagte etwa der Bündner FDP-Ständerat Martin Schmid; doch vor dem Hintergrund der gescheiterten Unternehmenssteuerreform III sei es die beste Lösung. Der Zuger CVP-Ständerat Peter Hegglin stimmte zu, «weil wir für ein ernsthaftes Problem eine tragfähige Lösung brauchen.» Und der Solothurner SP-Ständerat Roberto Zanetti bezeichnete die Arbeit der Kommission, welche die Vorlage ausgearbeitet hatte, gar als «Sternstunde des Parlamentarismus». Weniger euphorische Worte benutzte der Schwyzer SVP-Ständerat Peter Föhn, der vor der Verknüpfung zweier gescheiterter Vorlagen warnte. Kranke zu verheiraten habe noch nie zum Erfolg geführt, befand er.

Die SVP lehnte die Vorlage im Parlament denn auch ab, doch der Schulterschluss von SP, FDP und CVP setzte sich letztlich in beiden Kammern durch. Bloss: Dem Deal schlägt fast in allen politischen Lagern Skepsis entgegen. Diverse Gruppen haben unmittelbar nach der Herbstsession das Referendum angekündigt: die Jungparteien von SVP und Grünliberalen, aber auch die Grüne Partei, zusammen mit weiteren Organisationen aus dem grün-roten Spektrum. Die Vorlage, so lautet die linke Kritik, sei in den wesentlichen Punkten eine Kopie der Unternehmenssteuerreform III und heize den internationalen Steuerwettbewerb an. Dabei haben die Spitzen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) und der SP – in erster Linie die Ständeräte Paul Rechsteiner (SGB-Chef) und Christian Levrat (SP-Präsident) – im Parlament das Gesamtpaket wesentlich geprägt und ausgehandelt. Wie tief die Linke gespalten ist, zeigt der Positionsbezug von Gewerkschaften und SP: Der SGB hat Stimmfreigabe beschlossen, die SP-Basis hat sich zwar an einer Delegiertenversammlung hinter ihren Präsidenten Levrat gestellt, doch die heftige Debatte und das Abstimmungsresultat (148 Ja und 68 Nein) illustrieren den tiefen Graben innerhalb der Partei.

«Schweizer Wohlstand steht auf dem Spiel»

Auf der gleichen Seite wie Levrat kämpft für einmal Heinz Karrer, Präsident des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse. Beim Scheitern der Vorlage stehe «ein wichtiger Pfeiler des Schweizer Wohlstands auf dem Spiel», schreibt Karrer in der «Neuen Zürcher Zeitung». Der Unternehmensstandort Schweiz müsse alles tun, um das «katastrophale Szenario einer schwarzen Liste» zu vermeiden. Sollte das Kompromisspaket an der Urne scheitern, müssten die heutigen Steuerregeln rasch und ohne abfedernde Massnahmen aufgegeben werden, die Steuern würden für betroffene Firmen auf einen Schlag massiv steigen, was wiederum grosse Unternehmen dazu veranlassen könnte, die Schweiz zu verlassen.

Sollte das Referendum zustande kommen, muss der Steuer-AHV-Deal am 19. Mai 2019 vom Volk genehmigt werden. Der Ausgang ist offen. Die Befürworter der Vorlage sehen sich einer heterogenen Gegnerschaft gegenüber: linken Steuersenkungs-Gegnern, rechter Opposition gegen die AHV-Finanzierung sowie Gesetzes-Ästheten, die die Verbindung der Steuervorlage mit der AHV-Finanzierung nicht goutieren mögen.

Bild: Sie kämpften für den Steuer-AHV-Deal und müssen sich nun  mit einer skeptischen  Basis herumschlagen: Die SP-Ständeräte Christian Levrat und Paul Rechsteiner. Foto: Keystone

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