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Georg Kohler, emeritierter Professor für politische Philosophie der Universität Zürich, beobachtet und analysiert für die Auslandschweizer über das ganze Jahr 2015 den Wahlkampf in der Schweiz
Nach den ersten Entscheidungen im Jahr 2015 – den Wahlen ins Kantonsparlament von Basel-Land und Luzern – bestätigt sich die Vermutung, dass es beim eidgenössischen Urnengang im Herbst zum «Lagerwahlkampf» kommen wird: Bürgerliche gegen den Rest. Die Mitte soll auf der Strecke bleiben, aber auch die Grünen und die Linken sowieso. Was neben Letzteren vor allem die BDP, die Abspaltung der SVP, die mit vollem Namen Bürgerlich-Demokratische Partei heisst, und die Grünliberale Partei (GLP) nervös machen muss.
Doch was bedeutet eigentlich «bürgerlich»? Und was meint «Mitte-links»? Dieser Kampf- und Differenzbegriff von rechts dient vor allem dazu, den gegenwärtigen Bundesrat samt der von der SVP verfemten Bundesrätin Widmer-Schlumpf als ungenügend zu qualifizieren.
Im derzeitigen Bundesrat gehören vier Mitglieder dem bürgerlichen Verbund aus FDP, SVP und CVP an. Eveline Widmer-Schlumpf als links zu definieren, ist, nach den üblichen Kriterien der Politikanalyse, unmöglich. Den beiden Sozialdemokraten steht eine solide nicht sozialdemokratische Mehrheit gegenüber. Die Legislaturperiode 2012/2015 hat das Gremium recht erfolgreich über die Bühne gebracht. Gleichwohl: Diese gefährliche Mitte-links-Allianz sei abzuwählen, deklarieren die Wortführer der Bürgerlichkeit.
Die aktuelle Wahlkampfrhetorik und die bisherige Realität der eidgenössischen Politik sind nicht wirklich deckungsgleich. Wie lässt sich das erklären? Und was besagt diese Erklärung für die (gut)schweizerische Art, Staat zu machen? Besonders originell sind weder diese Fragen noch die Antworten; überflüssig sind sie dennoch nicht. Denn sie verweisen auf die Wirklichkeit der auch hierzulande verwandelten (Medien-)Öffentlichkeit. Eine Wirklichkeit, die dem lange gültigen Markenzeichen der politischen Nation Schweiz – mit ihrem wetterfesten Common Sense – nicht mehr ohne weiteres gerecht wird.
Warum also ein «Lagerwahlkampf» als Methode im Wettbewerb um Stimmen? Ganz einfach, weil er der Logik heutiger Medienkampagnen am besten entspricht. Zielsetzung ist die Vereinfachung samt zugehöriger Feindmarkierung. «Wir gegen die anderen», lautet das Motto. Das reduziert die Unsicherheit und gibt die Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen.
Die Methode ist so alt wie die Machtgesetze des Politischen. Verwendet wird sie von links bis rechts, von Lenin wie von Goebbels – und von vielen gewinnorientierten Wahlkämpfern in demokratischen Ländern. Aber passt sie zur besonderen Demokratie der Schweiz? Eigentlich ganz und gar nicht. Denn die schweizerische Verfassung und die durch sie bedingten Problemlösungsprozesse sind strukturell auf Kompromiss, Integration und darum auf vermittelnde, übergreifende, möglichst alle Interessengruppen berücksichtigende Ergebnisse gerichtet.
Um es in einem Gegensatzpaar zu fassen: Sie sind geeicht auf «bürgerliche» Vereinbarungen im Sinn republikanischer Gemeinsinnigkeit – und nicht primär interessiert an «bürgerlicher» Ordnung im Sinn minimalstaatlicher Wirtschaftsfreiheit.
Als Mitte-links erscheint der amtierende, von einem demokratisch gewählten Parlament demokratisch gewählte Bundesrat also bloss deshalb, weil er in den letzten vier Jahren dem bürgerlich-republikanischen Verfassungskonsens entsprochen hat – keineswegs erfolglos! «Unbürgerlich» ist er nur für diejenigen, die mit bürgerlich all das verbinden, was gut zu den Entweder-oder-Regimen einer parlamentarischen Majorz-Demokratie englischer Prägung passt, nicht aber zur Schweiz mit ihrer eigentümlichen, geschichtlich gewachsenen Konkordanz-Demokratie.
Um es zu wiederholen: Zum helvetischen System gehört – schon sehr lange und aus guten Gründen – die breite Lagerung der Macht, der Respekt vor der abweichenden Meinung und die prinzipielle Anerkennung der anderen Seite als dem legitimen Mitgestalter der gemeinsamen res publica.
Man wird einwenden, der moderne Wahlkampf habe nun einmal seine eigenen Gesetze. Das mag stimmen, ändert aber nichts an der Tatsache, dass das nicht gut ist für das vielleicht Beste der schweizerischen politischen Kultur: ihren Common Sense.
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