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  • Natur und Umwelt

Künftig sollen die Batterien von Millionen von Autos vernetzt werden

04.10.2024 – STÉPHANE HERZOG

Werden Autobatterien an ein gemeinsames Netz angeschlossen, können sie als Kraftwerk dienen. Das führt zugleich zu einem Wechselspiel zwischen Fotovoltaik und Elektroautos. Das Schweizer Carsharing-Unternehmen Mobility hat dazu einen umfassenden Feldversuch durchgeführt.

Die Schweizerinnen und Schweizer lieben ihre Autos. Doch die etwa 4,8 Millionen Personenwagen in der Schweiz stehen die meiste Zeit still. Sie stehen für bis zu 23 Stunden am Tag auf Parkplätzen und in Garagen. Ihre Batterien bleiben dabei von der Welt getrennt. Künftig können aber parkierte Elektroautos über intelligente Stromnetze mit­einander verbunden werden. Sie können so Speicher­kraft­werke bilden, vergleichbar mit dem Wasser, das in Stau­dämmen gespeichert wird.

«Mit dem bidirektionalen Laden, bei dem jedes Auto Energie senden oder empfangen kann, verfügt die Schweiz über einen riesigen Speichersee», sagt Volker Fröse, ein vom Carsharing-Spezialisten Mobility zitierten Experten. Abends, wenn die Nachfrage nach Strom explodiert, weisen die Netzbetreiber die Batterien an, Strom ins Netz abzugeben. Tagsüber speisen Solarpanels Strom in die Auto­batte­rien ein. Das Gesamtsystem folgt dem Prinzip «Vehicle to Grid» (V2G): ein Netz aus bidirektionalen Batterien, die Strom aufnehmen, speichern und in ein lokales oder globales Netz einspeisen können.

Über Nacht voll aufgeladen

«Eine Autobatterie kann im Schnitt 60 Kilowattstunden (kWh) speichern, während eine fest eingebaute Batterie in einem Haus mit Solarpanels nur 6 kWh speichert. Viele Leute haben Solarpanels, aber keine Batterie. Der Nutzen des Autos als Stromspeicher ist also offensichtlich», sagt der Walliser Ingenieur Arnaud Zufferey. Eine Ladestation mit einer Leistung von 7 kW kann eine Batterie in einer Stunde zu 10 % aufladen. «Dies bietet viel Flexibilität beim Auftanken, beispielsweise mittags, wenn die Solarproduktion am höchsten ist, oder nachts, wenn die Tarife niedrig sind», sagt Zufferey. Wann wird diese Revolution in der Schweiz, der Hochburg des Automobils und der Solarenergie, Einzug halten? Zwischen dem Herbst 2022 und dem Frühjahr 2024 hat Mobility einen umfassenden Feldversuch durchgeführt. Dazu nahm der Carsharing-Anbieter 50 Elektroautos mit bidirektionalen Batterien in seine Flotte auf. Der Feldversuch umfasste über die ganze Schweiz verteilte Autos, die mit verschiedenen Stromanbietern verbunden waren. 

Elektroautos können gemeinsam eine Art Stromspeicher bilden, vergleichbar mit dem Wasser, das in Stauseen ruht, bis man es für die Stromgewinnung nutzt.

Im Laufe des eineinhalbjährigen Versuchs legten rund 7000 Personen etwa 800 000 Kilometer zurück. Standen die Autos still, «verkauften» sie Strom aus dem Netz und generierten so Einnahmen von bis zu 2000 Franken pro Jahr und Fahrzeug, so Mobility. Das Unternehmen räumt jedoch ein, dass die Nutzung dieses V2G-Systems für ein Carsharing-Unternehmen derzeit noch nicht rentabel ist. «Das Zeitalter der bidirektionalen Elektroautos steht unmittelbar bevor, aber es wird noch einige Jahre dauern, bis diese Technologie weit verbreitet ist», sagt das Unternehmen. «Bidirektionalität ist kein Verkaufsargument, da das System noch nicht ganz ausgereift ist», sagt auch Zufferey. Tatsächlich gibt es heute laut dem Verkehrsclub der Schweiz (VCS) im Lande praktisch keine bidirektionalen Elektroautos. So fährt auch Ingenieur Zufferey zwar mit Solarenergie, aber sein System ist nicht intelligent: Die Batterie seines Autos kann keine Energie ins Netz einspeisen, wenn die Nachfrage am stärksten ist – und der Preis für die Einspeisung des Stroms am besten.

Die Vision der virtuellen Fabriken

Die Puzzleteile sind zwar alle da, aber es fehlt an Betreibern und Systemen, welche die Elemente miteinander verbinden. «Derzeit habe ich ein Auto X, eine Ladestation Y und einen Energie­produ­zenten Z», erklärt Arnaud Zufferey. Der sich entwickelnde Markt weckt den Appetit grosser Autohersteller. VW arbeitet an einem System, das Solarenergie, Ladestation und Auto miteinander verbindet; Tesla bietet seinen Kundinnen und Kunden bereits heute ein ganzes Ökosystem an.

Jede Marke wird versuchen, Tausende von Elektroautos zusammenzuschliessen, um virtuelle Fabriken zu schaffen. Der Betreiber wird die Ladestationen aus der Ferne steuern und das Stromnetz ausgleichen. Das Internet wird die Batterien mit dem System verbinden und die Energie je nach lokalem Bedarf verteilen. Braucht im Winter eine Touristendestination wie Crans-Montana mehr Strom, kann er geliefert werden, während Orte, die von Windturbinen oder einem Wasserkraftwerk versorgt werden, dies nicht nötig haben. Und in einem Gebäude kann erhöhter Strombedarf durch die parkierten und ans System angeschlossene Autos gedeckt werden. Handkehrum werden die Autos dann nachts vollständig mit Strom aus dem Netz aufgeladen, jedoch zu einem günstigen Tarif.

Frage der Rückverfolgbarkeit

Das neue Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, über das im Juni 2024 abgestimmt wurde, erleichtert die Einführung von V2G. Eine Neuerung verhindert zum Beispiel, dass Kundinnen und Kunden für die Übertragung von Energie in und aus ihren Autos doppelt bezahlen müssen. Die Umwandlung von Autos in virtuelle Kraftwerke erfordert auch neue Möglichkeiten zur Rückverfolgung von Energie. Zufferey: «Innerhalb eines Netzes wollen die Netzbetreiber sowie die Kundinnen und Kunden wissen, ob der Strom aus einem Kernkraftwerk, aus Solarenergie oder aus Windkraft stammt.»

«Wir sind bei der Innovation in Europa führend», versichert Fabien Lüthi, Sprecher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation. Er erklärt, dass der Bund eng mit der Europäischen Union zusammenarbeitet, um kompatible Standards zu entwickeln. Es ist eine Entwicklung in Etappen. Erstens muss die Steuerung des Stroms zwischen Fotovoltaikmodulen und Batterien dynamisch werden, was es möglich macht, Elektrizität zu speichern, anstatt Elektronen in bereits überlastete Netze zu leiten oder Energie aus dem Auto zu ziehen, wenn man eine Pizza backen will. Zweitens muss das V2G-System in der Lage sein, Angebot und Nachfrage auf der Ebene eines Quartiers, einer Stadt oder eines Kantons zu steuern. Das gesamte System wird teilweise auf fotovoltaisch erzeugter Elektrizität basieren. Dessen Anteil wächst in der Schweiz stark.

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