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  • Natur und Umwelt

Plastikschwemme in der Schweiz: Recycling ist nicht das Allheilmittel

20.10.2023 – STÉPHANE HERZOG

Die Schweiz verbraucht eine Million Tonnen Plastik pro Jahr. Der grösste Teil davon wird verbrannt, nur ein Bruchteil wird wiederverwertet. Etwa 14 000 Tonnen enden in der Natur. Zwar steigen die Recyclingkapazitäten, aber auch der Verbrauch nimmt zu.

Das Naturschutzgebiet Les Grangettes liegt im grossflächigen Rhone-Delta am Genfersee. Laut Pro Natura gedeihen hier Amphibien und Insekten in grosser Zahl. Die «Association pour la Sauvegarde du Léman» (ASL, Verein zur Erhaltung des Genfersees), die 25 Uferzonen rund um den See untersucht hat, spricht von mit Plastik kontaminierten Sumpfgebieten: «Der wertvollste Ort am Genfersee leidet auch am meisten unter Plastikmüll.»

«Die Schweiz verantwortet aufgrund ihres vergleichsweise hohen Verbrauchs an Kunststoffprodukten einen wesentlichen Beitrag an diesem global wachsenden Umweltproblem», fasst ein im September 2022 veröffentlichter Bericht des Bundesrats zusammen. Nach einer Modellrechnung beläuft sich in der Schweiz der Kunststoffverbrauch auf etwa eine Million Tonnen pro Jahr, was 120 Kilogramm Kunststoff pro Person entspricht. 

Der hohe Plastikkonsum in der Schweiz führt zu einem Abfallberg von jährlich 790’000 Tonnen. Die Recyclingquote steigt, aber ebenso der Plastikkonsum. Foto: Keystone

Die Schweiz steht letztlich vor einem Plastikmüllberg von 790 000 Tonnen, wobei fast die Hälfte davon aus Produkten stammt, die weniger als ein Jahr lang benutzt wurden. Dieses Problem muss angegangen werden. Mehr als 80 Prozent dieses Abfalls werden in Kehrichtverbrennungsanlagen verbrannt, die insbesondere Energie für Fernwärmenetze erzeugen. Ein kleiner Anteil – rund 15 Prozent – wird rezykliert oder wiederverwendet. Ein weiterer, kleiner Anteil landet im Boden, im Wasser und in der Luft. Alles in allem entgehen so jedes Jahr rund 14 000 Tonnen Abfall «einem gut funktionierenden Entsorgungssystem», sagt derselbe Bericht. Allein durch Littering werden jährlich rund 2700 Tonnen Plastikmüll achtlos entsorgt. Knapp 50 Tonnen Makroplastik gelangen durch Verluste infolge des Transports während der Abfallentsorgung in den Boden, so der oben zitierte Bericht. Zehn Tonnen Wattestäbchen und andere Hygieneprodukte, die über die Toilette entsorgt werden, landen in Oberflächengewässern. In dieser Summe enthalten ist auch Mikroplastik (siehe Kasten).

Treibhausgase und Recycling

Was kann dagegen getan werden? «Wie bei PET, das vollständig rezyklierbar ist, müsste die Kunststoffverarbeitung auf Bundesebene geregelt werden, von der Entwicklung des Materials bis hin zur Verarbeitung», sagt Jasmine Voide, Projektleiterin beim Dachverband Swiss Recycling. Denn die enorme Komplexität von Kunststoffen erschwere oder verhindere oft das Recycling. Swiss Recycling weist aber auch auf die geschätzten Eigenschaften von Kunststoff hin, insbesondere im Bereich Lebensmittelschutz. Greenpeace hingegen betont, dass beim Recycling schadstoffbelasteter Produkte die Schadstoffe ins Recyclingprodukt übergehen können. Wie auch immer: In der Schweiz entstehen immer mehr neue Sammelkanäle für Nicht-PET-Kunststoffe wie z.B. Getränkekartons, Fläschchen, Plastiksäcke und Gebinde aller Art.

Derzeit führen viele Schweizer Gemeinden ein neues Sammelsystem für Plastikabfälle jeder Art ein. Das klare Ziel: eine wesentlich höhere Recyclingquote. Foto Keystone

So hat die Thurgauer InnoRecycling AG ein Netzwerk von über 500 Gemeinden im Jahr 2022 mehr als 7000 Tonnen Haushaltkunststoff gesammelt. Das Unternehmen gibt eine Recyclingquote von rund 63 Prozent an. Die Sammlung erfolgt über kostenpflichtige Sammelsäcke. Das Unternehmen arbeitet mit einer Sortier- und Verarbeitungsanlage in Österreich zusammen. Das aus den Kunststoffen gewonnene Granulat wird in Europa weiterverkauft. Die InnoRecycling AG plant den Bau einer Sortieranlage im Thurgau und strebt eine Sammlung von 20 000 Tonnen Kunststoffen pro Jahr an, sagt Sprecher Patrik Ettlin. Die Migros ihrerseits gibt bekannt, im Jahr 2022 rund 3200 Tonnen (Nicht-PET-)Plastikflaschen und mithilfe der Sammelsäcke 500 Tonnen Plastikabfall gesammelt zu haben.

Steigender Konsum

«Die Recyclingquote steigt, aber auch der Verbrauch. Hinzu kommt, dass dieser Prozess Energie verbraucht», stellt Florian Breider, Leiter des zentralen Umweltlabors an der EPFL, fest. Nach Angaben des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) entfallen etwa 5 Prozent des gesamten Treibhausgas-Fussabdrucks der Schweiz auf Kunststoff. «Wenn Ihre Plastikflasche zu einem Pullover, einer Giesskanne oder anderen Gegenständen verarbeitet wurde, sind diese nicht mehr rezyklierbar», schreibt Jacques Exbalin, Autor eines Buches über den Kampf gegen Plastik. Greenpeace stellt das Prinzip der Privatisierung von Recycling grundsätzlich infrage, da der Kunststoffbedarf der Recycling-Branche die Produktion ankurbeln dürfte – und dies in einer Zeit, in der die Elektrifizierung des Verkehrs die grossen Ölkonzerne dazu veranlasst, einen Teil ihrer Produktion auf Kunststoff umzustellen. Jedes Jahr werden mehr als 400 Millionen Tonnen Plastik produziert. «Die Botschaft, dass man Kunststoffprodukte und -verpackungen ruhig verwenden kann, wenn man sie nach dem Gebrauch trennt, ist falsch. Gegenstände aus Kunststoff müssen so hergestellt werden, dass sie für eine möglichst lange Lebensdauer vorgesehen und danach möglichst einfach zu rezyklieren sind», sagt Breider, der die enorme Verschwendung von Einwegartikeln anprangert. Nichts abgewinnen kann er den Mineralwasserflaschen: «ein vollkommen unnötiges Produkt, da Schweizer Leitungswasser eine sehr gute Qualität aufweist». Greenpeace hält die Massnahmen zur Verbesserung der Abfallsammlung für «reines Greenwashing». Die NGO befürwortet den Wechsel hin zu einem System mit wiederverwendbaren Verpackungen.

Mikroplastik im Boden, im Wasser und in der Luft

Reifenabrieb ist nach Erkenntnissen des Bundesamts Umwelt (BAFU) mengenmässig die grösste Quelle von Kunststoffen in der Umwelt (8900 Tonnen pro Jahr). Ausserdem gelangen jährlich etwa 100 Tonnen Kunststoffteilchen über Kompostdünger in den Boden. Mikroplastik entsteht beim Waschen und Tragen von synthetischer Kleidung. Auch rund drei Tonnen Mikroplastikkügelchen aus Kosmetika enden jährlich in der Natur. Diese Mikroplastikpartikel zu entfernen erweist sich jedoch als nahezu unmöglich. Den Preis dafür zahlt die Tierwelt: Geringe Mengen an Mikroplastik wurden laut einer Studie aus dem Jahr 2014 im Verdauungstrakt von Vögeln und Fischen auch in der Schweiz gefunden. Die Auswirkungen von Plastik auf den Menschen seien noch nicht bekannt, sagt EPFL-Experte Florian Breider, der an einer Studie zur Messung von Plastikvorkommen in der Lunge beteiligt ist. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Kunststoffe Zusatzstoffe, beispielsweise Weichmacher, enthalten. Allerdings «weisen die Hersteller nur dann vollständige Informationen über diese Zusatzstoffe aus, wenn dies marketingrelevant ist. Dies ist zum Beispiel bei Nuggis der Fall, die garantiert bisphenolfrei sind», betont der Experte. (SH)

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Kommentare :

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    A.Heggli, USA 12.04.2024 um 01:09
    Native Swiss do not litter or drop trash in their environment. Who is creating this travesty against nature, Guests?
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  • user
    Beat Odermatt, Australia 15.12.2023 um 08:06

    We had a similar problem in South Australia but we were lucky in getting the support of both major political parties to tackle the problem. A container deposit scheme was introduced which provides an incentive to recycle all cans, bottles, and drink containers for fruit juices, etc. The deposit applies to all containers, steel, aluminum, plastic, or paper.


    The Government also banned all one-way plastics such as plastic cutlery.


    I noted that the recycling scheme in Switzerland is made not to offend major soft drink manufacturers. South Australia and the Northern Territory were exposed to major legal challenges by the soft drink industry.


    Switzerland can do a lot better in reducing plastic waste. The main target must be the use of one-use plastic and the huge amount of plastic bottles. Migros, Coop, and other retailers have also a duty of care to reduce plastic waste. There is no need for example to p[pack toilet paper in plastic bags. Switzerland was once a leader in environmental management but lately has become a major polluter.

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  • user
    Albane de Linares, Casablanca, Maroc 09.11.2023 um 07:55

    Le plastique envahit la Suisse et le recyclage ne résoudra pas tout… Votre article sur le plastique m’a intéressé, mais pas vraiment étonné. Vivant au Maroc, chaque fois que je rentre en Suisse et que je me rends au supermarché, je suis atterrée par le nombre de produits emballés dans du plastique; de la pizza, aux pommes en passant par les produits en promo réempaquetés, tout est sous plastique. Sous couvert d’hygiène on va finir par étouffer sous le plastique.

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  • user
    Renato Besomi, Spanien 22.10.2023 um 23:52

    Ganz einfach: Verbietet die Herstellung von Plastik. Warum werden mehr und mehr Getränke, Olivenöl, Ketchup, Honig, usw. in Plastikflaschen abgefüllt? Früher gab es diese Artikel nur in Glasflaschen und meistens mit Pfand. Muss man heute überall mit einer Wasserflasche oder mit einem Kaffee unterwegs sein? Das ist unsere neue Wegwerfgesellschaft.

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  • user
    Silvia Flury, l'Ametlla de Mar, Spanien 22.10.2023 um 09:11

    So hat es früher hier an den Stränden ausgesehen, vor ca. 20, 30 Jahren. Hier wird seit dieser Zeit in Containern an der Strasse Karton mit Papier, Plastik mit Aluminium, Glas, organische Abfälle und in einem Restabfälle gesammelt. Jeder kann jeden Tag seinen Müll direkt entsorgen. Wenn ich in der Schweiz bin, befremdet mich das schon, wenn ich im Haushalt meiner Tochter den Plastikabfall in den Müll schmeissen muss. Die Strände sind so sauber wie nie. Ich wundere mich, wie sauber die Strände nach Unwettern sind. Neuerdings werden bei allen Milchtüten und zum Teil schon Petflaschen die Deckel mit einem Band verbunden, damit die mitentsorgt werden. Die findet man nämlich noch nach Unwettern an den Stränden. Was ich noch erwähnen muss. Immer während der Sommersaison sind die Container voller gemischten Sachen, weil die Touristen einfach alles irgendwo reinschmeissen.

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