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Das Rentenalter der Frauen steigt auf 65 Jahre
09.12.2022 – DENISE LACHAT
Die «Abstimmung des Jahres» endete für die Frauen spannungsreich. Sie sagten grossmehrheitlich Nein zur Reform der AHV. Doch sie unterlagen knapp. Sie müssen nun ein Jahr länger arbeiten, bis sie ihre Altersrente erhalten. Bereits steht die Reform des nächsten Vorsorgewerks an – und da sollen die Frauen bessergestellt werden.
Zuerst kam die Wut. Sie entlud sich am 26. September, am Tag nach der Abstimmung über die AHV-Reform, unter anderem auf dem Berner Bahnhofsplatz. Lautstark rief die Berner SP-Nationalrätin Tamara Funiciello vor mehreren Hundert demonstrierenden Frauen ins Mikrophon, dass dieses Abstimmungsresultat schlicht ein Hohn sei. «Alte, reiche und weisse Männer» hätten entschieden, dass die Frauen in der Schweiz künftig ein Jahr länger arbeiten müssten.
«Die Männer entschieden, dass die Frauen ein Jahr länger arbeiten müssen.» Tamara Funiciello, Nationalrätin, SP, Bern
Tatsächlich hat eine Mehrheit der Männer gegen den Willen der Mehrheit der Frauen für die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre gestimmt. Der Geschlechtergraben war bei dieser Abstimmung auffällig gross: Zwei Drittel aller stimmenden Frauen (63 Prozent) stellten sich gegen die Reform, während nur rund ein Drittel der Männer (37 Prozent) ein Nein in die Urne legten. Zum äusserst knappen Abstimmungsausgang hat aber auch eine Minderheit von – mehrheitlich bürgerlichen – Frauen beigetragen. Auch sie nahm Tamara Funiciello unter Beschuss. Nichts, aber auch gar nichts hätten die bürgerlichen National- und Ständerätinnen für die Gleichstellung getan, nur leere Versprechungen gemacht. Die verärgerte Reaktion bürgerlicher Politikerinnen liess nicht auf sich warten – kurz: Die Tage nach der Abstimmung waren von gegenseitigen Anfeindungen geprägt, die Rede war von einer Spaltung der Frauen in der Schweiz.
Situation der Frauen im Alter verbessern
Später rückten versöhnlichere Voten in den Vordergrund. Es gebe nicht nur eine alleinige Definition feministischer Politik, zudem dürften Frauen genauso wie die Männer untereinander uneinig sein, sagte Maya Graf in einem ausführlichen Interview mit der «Aargauer Zeitung». Graf, die grüne Baselbieter Ständerätin, leitet seit 2014 gemeinsam mit der grünliberalen Berner Nationalrätin Kathrin Bertschy die Dachorganisation der Frauen in der Schweiz namens Alliance F. Bei der AHV-Abstimmung gab es bei Alliance F sowohl ein Ja- als auch ein Nein-Komitee. In anderen Fragen herrscht Einigkeit, etwa bei der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit oder nach bezahlbarer Kinderbetreuung. Ganz wichtig nach der Debatte ums Frauenrentenalter ist zudem die Feststellung, dass die Frauen jeglicher politischer Couleur fordern, dass die Situation der Frauen im Rentenalter verbessert werden muss.
«Auch Frauen dürfen untereinander uneinig sein.» Maya Graf, Ständerätin, Grüne, Basel-Landschaft
Tatsächlich ist die Altersvorsorge bei vielen Frauen lückenhaft, doch daran ist nicht vorab die AHV schuld. Die erste Säule der Altersvorsorge enthielt notabene bei der letzten grossen AHV-Reform im Jahr 1997 wesentliche Verbesserungen für die Frauen: Es wurden Erziehungs- und Betreuungsgutschriften sowie das EhegattenSplitting eingeführt. Mit dem Splitting wird bei der Berechnung der Rente die während der Ehejahre erzielten Einkommen beider Ehegatten zusammengezählt und beiden je zur Hälfte gutgeschrieben.
Lücke bei der beruflichen Vorsorge
Der grosse Unterschied zwischen den Geschlechtern klafft bei der zweiten Säule, der obligatorischen beruflichen Vorsorge (BVG). Weil Frauen häufig weniger verdienen als Männer, sind ihre Lohnbeiträge an die Pensionskasse tiefer. Wer Teilzeit oder in Branchen mit niedrigen Löhnen arbeitet, unbezahlte Betreuungsarbeit leistet oder für gleiche Arbeit schlicht weniger Lohn erhält, kann nur ein kleines Altersguthaben ansparen. Entsprechend klein fällt die auf diesem Guthaben basierende Rente aus, zumal tiefe Löhne nicht nur schlecht, sondern unter einem gewissen Jahreseinkommen (aktuell 21 510 Franken) nicht obligatorisch versichert sind. Darum richtet sich nach dem knappen Ja zur AHV-Vorlage der Fokus nun auf die BVG-Revision. Im Wesentlichen geht es darum, kleine Pensen und tiefe Einkommen beim privaten Sparen fürs Alter besserzustellen.
«Dini Mueter isch hässig» (Deine Mutter ist wütend): So lautete einer der Slogans, mit denen protestierende Frauen das Ergebnis der AHV-Abstimmung kommentierten. Foto Keystone
Allerdings hat die zweite Säule ähnliche Probleme wie die erste: Aufgrund der längeren Lebenserwartung gibt es ein Finanzierungsproblem, das durch die tiefen Zinsen noch verschärft wird. Die Vorsorgeeinrichtungen erzielen nicht genügend hohe Renditen, um die Altersguthaben der Versicherten auf lange Frist in gleich hohe Renten wie heute umzuwandeln. Es ist also eine weitere komplexe Dauerdebatte, bei der noch gänzlich unklar ist wann – und ob – da wirklich eine «Revision für die Frauen» erfolgt.
Dass der seit den Wahlen von 2019 grössere Frauenanteil im Parlament nichts bewirkt haben soll, bestreiten die Co-Präsidentinnen von Alliance F. Als Beispiele nennen sie unter anderem die im Herbst 2021 organisierte Frauensession, die zwei Dutzend Petitionen vors Parlament gebracht hat. Frauen hätten zudem die Behandlung von weiteren parlamentarischen Geschäften geprägt, die Individualbesteuerung, die Finanzierung der Kinderbetreuung, die Revision des Sexualstrafrechts, die Ehe für alle mit dem Zugang zur Fortpflanzungsmedizin, die Finanzierung eines Programms für die Prävention von häuslicher Gewalt. Die grossen Geschäfte, sagt Maya Graf in der «Aargauer Zeitung» weiter, seien unterwegs. Dazu gehört auch die BVG-Reform.
Das Rentenalter der Frauen
Nicht zum ersten Mal war das Rentenalter der Frauen in einer AHV-Reform der zentrale Streitpunkt. Dabei galt 1948, als die AHV eingeführt wurde, Rentenalter 65 sowohl für Männer als auch für Frauen. Dass es vom Parlament 1957 einseitig auf 63, im Jahr 1964 auf 62 Jahre gesenkt wurde, entspricht aus heutiger Sicht einem antiquierten Rollenbild. Frauen seien früher anfällig für Krankheiten, ihre Kräfte liessen früher nach – so argumentierten die Männer anno dazumal. Der «Tages-Anzeiger» nannte es eine «patriarchale Machtdemonstration», um die oft ein paar Jahre jüngeren Ehefrauen rechtzeitig auf die Pensionierung der Männer wieder im Haus und am Herd zu haben. Wie auch immer: 2001 und 2005 wurde das Frauenrentenalter wieder schrittweise erhöht, auf 63 und auf 64 Jahre. Drei weitere Versuche der Angleichung scheiterten an der Urne oder bereits im Parlament. Nach dem vierten Anlauf vom 25. September 2022 steht es nun wieder bei 65 Jahren für beide Geschlechter.
Die drei Säulen der Altersvorsorge
Aktuell beträgt die AHV-Maximalrente 2390 Franken pro Monat und pro Person, die Minimalrente in den meisten Fällen 1195 Franken. Diese AHV-Rente allein reicht in der Schweiz nicht zum Leben. Dafür braucht es zwei weitere Säulen. Neben der staatlichen Vorsorge aus AHV und Ergänzungsleistungen (1. Säule) gibt es seit 1985 die berufliche Vorsorge über die Pensionskassen (2. Säule). Und seit 1987 existiert die gesetzlich geregelte private Vorsorge (3. Säule). Dieses 3-Säulen-Prinzip hat zum Ziel, den gewohnten Lebensstandard im Alter aufrechtzuerhalten.
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