Holz kann CO2 speichern und ist daher ein echter Renner im Bauwesen. Es wird sogar zur Errichtung von Wolkenkratzern verwendet. Das Schweizer Know-how kommt an. Die Nachfrage steigt. Doch es gibt auch Spannungen.
Höher, weiter, schneller, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Auf dem Weg zu den höchsten Holzbauten der Welt
Das Genfer Ingenieur- und Holzbauunternehmen «Charpente Concept» ist ein Mekka für Holz. Das 1991 von Zimmermeister Thomas Büchi gegründete Büro entwarf den «Broken Chair» auf dem Place des Nations in Genf, baute die Schutzhütte «Refuge du Goûter» an den Hängen des Mont Blanc aus Holz und konstruierte den «Palais de l’Équilibre», eine riesige Holzkugel, die 2002 an der Expo.02 gezeigt wurde, bevor sie im CERN aufgebaut wurde. Weiterer Stolz des Büros? Nach dem Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris wurde es mit einer technischen Analyse des Kirchenschiffs im Hinblick auf den Wiederaufbau beauftragt. Das Büro erhielt Einsicht in ein 600 Jahre altes Archiv – eine Reise ins Mittelalter, als zwischen Holzschlag und der effektiven Verwendung der Balken gut und gerne 20 Jahre vergehen konnten.
«Das Holz erobert sich nun seine Position zurück, die es im Laufe der Jahrhunderte durch die Verwendung von Stahl und später von Beton verloren hatte. Man hatte vergessen, welche Qualitäten dieses Material hat», sagt Rafael Villar, Vizepräsident des Unternehmens. Er erinnert sich an seine Anfänge, als die Befürworter von Holz noch als Spinner abgetan wurden. Das Büro hatte in Genf zwar gerade eine 300 Meter lange Ausstellungshalle aus Holz gebaut, aber der Grossteil der Aufträge konzentrierte sich auf Chalets und einige Dächer von Sporthallen. Heute wird Holz auch für den Bau von Wohngebäuden verwendet. «Innerhalb von 30 Jahren haben sich die Lieferzeiten für bestimmte Komponenten mehr als verdoppelt», bemerkt der Genfer. Das ist ein Indiz für die hohe Nachfrage. Die Festigkeit der Holzkomponenten kann vor der Bearbeitung mittels Ultraschall bestimmt werden. Der Zuschnitt erfolgt mithilfe digitaler Maschinen. Auf den Baustellen verkürzt das Zusammensetzen von vorgefertigten Holzelementen die Bauzeit im Vergleich zu mineralischen Wänden erheblich.
Itten Brechbühl AG / Kengo Kuma & Associates
2031 soll der weltweit höchste Holzturm in der Schweiz stehen
Die Bank UBS denkt gross. Ein Beispiel dafür ist ihr geplantes Hochhaus im Zürcher Stadtteil Altstetten. Mit seinen 108 Metern soll es 2031 den Rang als höchster Holzturm der Welt einnehmen. Es sei denn, ein anderes Projekt schafft es noch, ihn zu übertrumpfen: ein Holzhochhaus in Basel, in dem im selben Jahr die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich einziehen will. Die geplante Höhe? 122 Meter! (SH)
Die Zeit für Wolkenkratzer ist da
«Da Holz leicht ist, vereinfacht es die Stelzung von Gebäuden», betont Sébastien Droz, Sprecher von Lignum, dem Dachverband der Holzindustrie. Daher ist die Zeit für Wolkenkratzer aus Holz nun reif. Der «Rocket» im Winterthurer Stadtteil Lokstadt wird 100 Meter hoch. «Das in der Planung befindliche Gebäude wird eines der höchsten Wohngebäude aus Holz sein», sagt die Bauherrin Ina Invest. Der Turm benötigt 3300 Kubikmeter Holz für die tragende Struktur. «Wir verwenden Buchen- und Fichtenholz aus der Schweiz und den Nachbarländern», erläutert Pressesprecher Stephan Meierhofer und sagt: «Das Holz ist sehr widerstandsfähig und behält selbst im Brandfall seine Tragfähigkeit für lange Zeit bei.» Die Bauarbeiten beginnen diesen Frühling. Im Zürcher Stadtteil Altstetten plant die UBS sogar einen noch höheren Turm. Mit 108 Metern dürfte dieser Wolkenkratzer 2027 das höchste Holzgebäude der Welt sein. In den Büros werden dereinst 2800 Mitarbeitende beschäftigt.
Mit dem 100 Meter hohen Rocket-Hochhaus entsteht derzeit in Winterthur (ZH) das bald weltweit höchste Wohngebäude aus Holz. Visualisierung Ina Invest
Auch in der welschen Schweiz geht es hoch hinaus. Der 2024 begonnene Tilia-Turm (lateinisch für Linde) ist eine Kombination aus Holz und Beton. Dabei werden die Qualitäten von Laubbäumen wie der Buche genutzt, die eine höhere Festigkeit als Nadelhölzer aufweisen. Das 85 Meter hohe Gebäude entsteht im Stadtteil Prilly, im Westen von Lausanne. Und in der Nähe wird der Turm Malley Phare auf einem bestehenden Gebäude gebaut. Die 2000 Kubikmeter Holz, die für dieses Wohngebäude eingesetzt werden, bestehen aus Tanne und Fichte, von denen 95 Prozent aus der Schweiz stammen. Die Fertigstellung erfolgt noch in diesem Jahr.
«Wie kann Holz im Hinblick auf Umwelt und Biodiversität optimal genutzt werden? Diese Frage muss man sich stellen», sagt Ernst Zürcher, Forstingenieur und emeritierter Professor für Holzwissenschaften. Ein Kubikmeter Stahlbeton verursacht zwischen 350 und 400 kg CO₂, während ein Kubikmeter Holz 1000 kg CO₂ bindet. «Anstatt Holz in Form von Kubikmetern für spektakuläre Strukturen zu verwenden, wäre es vorteilhaft, wenn man es in Quadratmetern einsetzen würde», sagt er. Mit anderen Worten: Holz könnte Flächen bedecken, anstatt das Skelett für sehr grosse Bauwerke zu bilden. Der Fachmann führt als Beispiel die Steinmauern von Bündner Häusern an, in denen Holz auf die Innenwände gelegt wird, wodurch Isolierung und Komfort deutlich erhöht werden. Mit diesem Ansatz könnte ein Teil des Gebäudebestandes isoliert werden: zum Beispiel Hochhäuser, Industriegebäude und Schulen. «Einen neuen Wolkenkratzer zu bauen ist so, als würde man zurück in die Vergangenheit gehen, als dies ein Ausdruck der Macht war. Viel besser wäre es, bestehende Gebäude zu renovieren und sie mit dem wertvollen Material Holz komfortabel und biokompatibel zu machen», erklärt der Wissenschaftler.
Ein früher Versuch, in die Höhe zu bauen: Historisches Holzhaus in La Sage (VS). Es ermöglichte auch eine erste Form des Stockwerkeigentums. Foto Cortis und Sonderegger, 13Photo
Wald nutzen und erhalten
Die Schweiz hat ein einzigartiges Waldgesetz, das ins Jahr 1903 zurückreicht. «Der Wald wird genutzt, um ihn gleichzeitig instand zu halten», sagt Rafael Villar. Allerdings deckten die Einnahmen aus dem Holzverkauf die Kosten für die Instandhaltung der Wälder nicht. Die Bäume müssten zudem auf optimale Weise gefällt werden, wie etwa im Rahmen eines Projekts für eine Turnhalle in Aigle (VD), an dem sein Büro beteiligt war. Das Büro wählte in Waadtländer Wäldern vom Borkenkäfer befallene Bäume aus. Dieses Insekt ernährt sich vom Saft der Bäume, wobei durch die Einwirkung auf die Rinde ein Pilz entsteht, der das Holz blau färbt. «Durch das Fällen des Baumes kann das Holz gerettet und der Baum sinnvoll genutzt werden», erläutert der Ingenieur.
In der Schweiz wird jedoch nicht das gesamte gefällte Holz auf sinnvolle Weise genutzt und endet zum Teil als Brennholz, stellt Ernst Zürcher fest. Ein Grund dafür sind die steigenden Preise für fossile Brennstoffe. Eine «Kaskadennutzung» des Holzes wäre besser, es also zuerst für Gebäude, dann für Verbundwerkstoffe, dann für Papier und erst dann für die Verbrennung zu verwenden. «In der Schweiz werden Sägewerke aufgrund mangelnder Nachfrage geschlossen. Und wir exportieren sogar Holz und importieren es nach der Verarbeitung wieder», bedauert Ernst Zürcher. Er betont die Vorzüge einer lokalen Nutzung der Wälder. «Wenn 5000 Personen im Wald arbeiten, schaffen wir Arbeit für mehr als 50 000 Menschen in der Holzindustrie. Das Verbrennen von Holz hingegen bringt nur einen geringen Mehrwert», vergleicht er. Gegenwärtig sind in der Schweizer Holzwirtschaft 85 000 Menschen beschäftigt.
Haben wir genug Holz? Das natürliche Wachstum der Schweizer Wälder erzeugt jedes Jahr 10 Millionen Kubikmeter Holz. Im Durchschnitt werden 5 Millionen Kubikmeter pro Jahr entnommen, wovon 25 Prozent für Heizzwecke verwendet werden. Das verfügbare Potenzial beläuft sich auf 3 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Es gibt also viel Raum für Verbesserungen bei der Verwendung von Schweizer Bauholz. Und an Projekten mangelt es nicht, wie Sébastien Droz feststellt und auf den Lignum-Preis verweist, der 2009 ins Leben gerufen wurde. «Seither hat die Qualität, die Vielfalt und das Volumen der Projekte deutlich zugenommen», sagt er.
Ein Beispiel dafür ist der 500 Meter lange Baumwipfelpfad aus Holz, die sich durch das Kronendach eines Waldes im Toggenburg in der Nähe von St. Gallen schlängelt. Diese Leistung zeigt, wie stark die Holzbaukultur in der Schweiz ist.
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