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Am 25. November 2018 entscheidet das Volk über ein scharfes Gesetz gegen den Missbrauch im Sozialversicherungsbereich. Eine Kleinstgruppe hat das Referendum gegen die Sozialdetektive ergriffen.
Erschlichene Beiträge von Sozialversicherungen auf Kosten der Allgemeinheit sind keine Kavaliersdelikte. Kommen solche Fälle an die Öffentlichkeit, lösen sie verständlicherweise grosse Empörung aus. Etwa in jenem Fall, wo eine Frau gemäss ärztlichem Attest kaum gehen konnte, dann aber trotzdem in High Heels davongestöckelt sei, wie sich CVP-Nationalrätin Ruth Humbel in der Parlamentsdebatte ausdrückte. An den Tag gebracht haben den Vorgang Überwachungsbilder.
Doch wie weit darf diese Observation gehen? Diese Frage musste das Parlament bei der Beratung der neuen gesetzlichen Grundlage für die Überwachung von Versicherten beantworten. Nötig wurde das, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Schweizerische Bundesgericht die ungenügende gesetzliche Grundlage für Überwachungen gerügt hatten. Diese Art von Versicherungsbetrug ist zwar nicht allzu stark verbreitet: Gemäss Bundesamt für Sozialversicherung wurden 2017 bei der Invalidenversicherung (IV) 630 Missbrauchsfälle aufgedeckt. Das sind 0,3 Prozent von gesamthaft 220 000 IV-Bezügerinnen und –Bezügern. Zwei Drittel der Fälle sind nicht durch Überwachung ans Licht gekommen, sondern unter anderem durch wiederholte medizinische Abklärungen. Trotz allem hat das Parlament ein recht scharfes Gesetz erlassen.
Die Versicherungen – also IV, AHV, Krankenkasse, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung, Taggeldversicherung, Ergänzungsleistungen – können «eine versicherte Person verdeckt observieren und dabei Bild- und Tonaufzeichnungen machen und technische Instrumente zur Standortbestimmung einsetzen», wie es im neuen Gesetz heisst. Veranlassen kann diese Massnahmen ein Direktionsmitglied der zuständigen Versicherung, eingesetzt werden dürfen auch «externe Spezialistinnen und Spezialisten», also Privatdetektive. «Technische Instrumente zur Standortbestimmung», also GPS- Tracker oder Drohnen, müssen von einem Gericht bewilligt werden.
Rechtsprofessoren warnten im Vorfeld der Parlamentsdebatte vor einem allzu weitgehenden Gesetz. Und auch der Bundesrat wollte GPS-Ortung gar nicht zulassen. Innenminister Alain Berset wies auf den Schutz der Privatsphäre und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit hin. Doch im Parlament setzte sich die harte Linie durch. SVP-Ständerat Alex Kuprecht erklärte, er vertraue den Praktikern mehr als den Rechtsprofessoren. GPS-Tracker seien nötig, sagte CVP-Ständerat Pirmin Bischof, um Personen lokalisieren zu können, schliesslich hielten sich gerade jene Leute, die Missbrauch betrieben, nicht immer an ihrem Wohnort auf.
Auch die Kritiker der Vorlage bekannten sich zur Missbrauchsbekämpfung, allerdings unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze. Wegen ein paar Hundert Delinquenten, so argumentierte SP-Nationalrätin Silvia Schenker, dürfe man doch nicht alle unter Generalverdacht stellen. SP-Ständerat Hans Stöckli erinnerte daran, dass das Parlament kürzlich eine Gesetzesverschärfung für Steuerdelinquenten abgelehnt habe.
Trotz aller Kritik im Parlament wollte die Linke dann doch nicht das Referendum ergreifen. Die SP fürchtete eine Debatte über «Sozialschmarotzer» und sprang erst auf, als eine kleine Gruppe um die Schriftstellerin Sibylle Berg und den Kampagnen-Spezialisten Dimitri Rougy (siehe «Herausgepickt», Seite 31) erfolgreich eine internetbasierte Unterschriften-Sammelaktion gestartet hatte. «Noch nie», so halten die Gegner des Überwachungsgesetzes fest, «hat ein Gesetz so tief in die Privatsphäre von uns allen eingegriffen. Es ist sogar erlaubt, ins Schlafzimmer zu filmen, wenn dieses von aussen einsehbar ist.» Die Referendumsführer stören sich vor allem daran, dass die Versicherungen selber entscheiden können, ob und mit welchen Mitteln sie ihre eigenen Kunden und Prämienzahler überwachen. Verbrechensbekämpfung, Ermittlungen und ganz speziell Observationen seien alleinige Aufgabe der Polizei und nicht der Versicherungen. Ein Sozialdetektiv, der im Auftrag einer Versicherung arbeite, stehe unter einem gewissen Druck, jene Bilder zu liefern, welche die Versicherungen erwarten. Und «die Versicherung möchte so wenig wie möglich bezahlen», heisst es im Argumentarium der Gesetzesgegner.
Bild: Schriftstellerin Sibylle Berg (ganz rechts), Nationalrätin Silvia Schenker und Dimitri Rougy bei der Einreichung der Unterschriften. Foto Keystone
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