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Am 27. November kann das Schweizervolk die Atomkraftwerke abstellen, wenn es einer Initiative der Grünen zustimmt.
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 gilt als Anfang des langsamen helvetischen Ausstiegs aus der Atomenergie. Verschiedene Kantone und Städte haben jedoch schon vor 2011 Ausstiegsziele ins Auge gefasst und begonnen, sich von der Atomenergie zu verabschieden, so etwa die Städte Basel, Bern, St. Gallen, Luzern und Aarau. Und die Stadtzürcher haben im vergangenen Juni mit über 70 Prozent Jastimmen beschlossen, bis 2034 die Anteile der Stadt an den Atomkraftwerken Gösgen und Leibstadt, aber auch an den französischen Anlagen Bugey und Cattenom zu veräussern. Was die Linken und Grünen am Abstimmungstag als wegweisenden Entscheid einstuften, war für die FDP Symbolpolitik ohne Konsequenzen für den Betrieb der Atomkraftwerke.
Das mag kurzfristig richtig sein. Doch im Herbst steht ein Entscheid an, der sehr wohl Konsequenzen haben könnte. Am 27. November wird die kontrovers und phasenweise hitzig diskutierte Frage nach der Zukunft der Atomenergie in der Schweiz definitiv geklärt: Dann entscheidet das Stimmvolk über die Atomausstiegsinitiative der Grünen. Das Volksbegehren verlangt ein Bauverbot für neue Atomkraftwerke und will bestehende AKW maximal 45 Jahre am Netz lassen. Beznau I und II sowie Mühleberg müssten demnach bereits ein Jahr nach Annahme der Volksinitiative abgestellt werden, Gösgen 2024 und Leibstadt als letzte der fünf schweizerischen AKW im Jahr 2029. Bei Sicherheitsbedenken müssten die Kraftwerke auch früher abgeschaltet werden. Zudem fordert die Initiative Massnahmen zur Energiewende: Energiesparmassnahmen, Energieeffizienz und Ausbau erneuerbarer Energien.
Die Grünen sind nicht die einzigen, die sich für eine Begrenzung der Laufzeit der AKW einsetzen. Im Rahmen der Energiestrategie 2050 des Bundesrates hat sich auch der Nationalrat im vergangenen Jahr dafür ausgesprochen, die Laufzeit der ältesten AKW auf 60 Jahre zu beschränken. Da der Ständerat nichts davon wissen will und der politische Wind sich nach den Wahlen vom Herbst 2015 gedreht hat, hat der Nationalrat im März 2016 seinen früheren Entscheid umgestossen und will nun die Laufzeit der AKW nicht mehr begrenzen.
Vom einstigen Grundsatzentscheid von Bundesrat und Parlament zum Atomausstieg ist nach Auffassung von Jürg Bieri, Geschäftsleiter der atomkritischen Schweizerischen Energiestiftung (SES), nicht viel mehr übriggeblieben als «ein wackliges AKW-Neubauverbot im Energiegesetz». Er findet, ein geordneter Ausstieg bringe «auch Ordnung in den Ersatz der AKW durch erneuerbare Energien». Und ein im Voraus definierter Zeitpunkt für das Abschalten bedeute «Planungs- und Investitionssicherheit für einheimische Kraftwerke». Während der Debatte im Parlament erklärte die grüne Berner Nationalrätin Regula Rytz, ohne Laufzeitbeschränkung sei die Energiestrategie kein echter Atomausstieg.
Die bürgerlichen Gegner der Initiative argumentieren damit, dass die schweizerischen AKW zu den sichersten weltweit zählten. Auch die Versorgungssicherheit war während der Parlamentsdebatte ein Thema. Sollte die Schweiz ihre AKW zu rasch vom Netz nehmen, müsste mehr Energie importiert werden, und zwar Strom aus Atom-, Kohle- und Gaskraftwerken. CVP-Nationalrat Daniel Fässler aus Appenzell Innerrhoden nannte das einen «ökologischen und volkswirtschaftlichen Schildbürgerstreich erster Güte». Und der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen bezeichnete es als utopisch, 40 Prozent des schweizerischen Strombedarfs in zehn Jahren durch andere Energiequellen ersetzen zu wollen.
Wie auch immer das Volk am 27. November entscheiden wird, für eines der Atomkraftwerke steht der Abschalttermin bereits fest: Am 20. Dezember 2019 soll das AKW Mühleberg bei Bern seinen Betrieb einstellen. Die Bernischen Kraftwerke sind die ersten Betreiber, welche den Ausstieg konkret anpacken. Allerdings nicht aus politischen Gründen, sondern aus wirtschaftlichen. Die von der Atomaufsichtsbehörde Ensi geforderte Nachrüstung lohnt sich nach Einschätzung des Unternehmens nicht mehr.
Bild Sollte die Atomausstiegsinitiative angenommen werden, müsste unter anderem das AKW Beznau in einem Jahr abgeschaltet werden. Foto Keystone
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Ich rücke mal ein paar Fakten gerade:
Tschernobyl Block IV war primär ein Kernkraftwerk zur Energieproduktion. Dass aus den Brennelementen Plutonium für Atombomben extrahiert werden kann, ist bei Kernenergie unvermeidlich. Die militärische Zweitnutzung von Block IV war jedenfalls nicht ursächlich für dessen Kernexplosion.
Jedes Kernkraftwerk gibt laufend Radioaktivität in die Umwelt ab. Grösstenteils radioaktive Edelgase und Tritium. Bei den sporadisch auftretenden Pannen gelangen immer wieder bedenkliche Mengen anderer Stoffe in die Umwelt. In der Folge steigt die Radioaktivität in unserer Umwelt stetig an, da die Freisetzung neuer radioaktiver Stoffe schneller erfolgt, als deren Zerfall. Epidemische gesundheitliche Folgen sind zu erwarten und sind meines Erachtens in der Schweiz auch eindeutig nachweisbar (Krebs- und Sterberegister).
Kernkraftwerkgegener und die Grünen wollen Energie aus sauberen Quellen beziehen. Eine Energiewende in 10 Jahren ist machbar, indem die Hälfte des Kernkraftwerkstroms eingespart und der Rest durch Photovoltaik und Windenergie ersetzt wird. Ernsthaftes Sparen in Privathaushalten würde es sogar erlauben, die Schweizer Kernkraftwerke bis 2020 ersatzlos abzuschalten.
Bisher havarierten zivile Kernkraftwerke im Mittel alle 3000 Betriebsjahre per Tschernobyl-/Fukushima-Explosivstil (militärische Anlagen noch häufiger). Bei 400 laufenden Kraftwerken muss im Mittel alle 8 Jahre mit einem Totalschaden gerechnet werden, der gleich viel oder mehr Radioaktivität freisetzt wie alle Atombombentests zusammen.
Die Schweizer Kernkraftwerke sind nicht sicherer als andere Anlagen, weil die übliche Interessenverflechtung zwischen Aufsichtsbehörden und Kraftwerksbetreibern besteht. Ein Blick in die seitenlange und dauerhafte Mängelliste des KKW Mühlebergs reicht aus, um diesen Schluss zu ziehen.
Ein Kernkraftwerks-Totalschaden in der Schweiz würde 30-50% der Schweizer Wirtschaft und Teile des Mittellands auf Dauer stillegen. Die Schweiz würde danach vermutlich in mehrere Teile zerfallen. Die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Totalschadens liegt bei rund 1% bei Annahme der Ausstiegsinitiative für die knapp 30 Betriebsjahre Restlaufzeit; rund 2% bei Weiterbetrieb bis 50 Jahre Laufzeit; rund 5% bei Weiterbetrieb bis 60 Jahre Laufzeit. Da sich mit zunehmendem Alter der KKW die Fehler häufen, stellt ein Betrieb "so lange sie sicher sind" die zukünftige Havarie sicher.
Der radioaktive Müll kann bestenfalls für ein paar Jahrhunderte sicher verwahrt werden, bevor er sich in der Umwelt verteilen wird. Der global angehäufte Atommüll reicht längst aus, um die Erde in eine lebensfeindliche Wüste zu verwandeln, in der nur äusserst strahlungsresistente Bakterien und Insekten leben werden.
"Nach mir die Sindflut"-Anhänger mögen einwenden, dass wir sorglos weiter Atommüll produzieren können, falls das Endresultat sowieso schon feststeht. Ich möchte jedoch zumindest zu meinen Lebzeiten das Mögliche tun, um es nicht soweit kommen zu lassen. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist hierfür zwingend notwendig, aber nicht mehr als der erste Schritt.
TED Talk von Michael Shellenberger - How fear of nuclear power is hurting the environment
https://go.ted.com/CysY
Richard Walther, Frankreich
https://www.youtube.com/watch?v=tedHiFdqyZE#t=5770.1975216
Zu Zeiten der oberirdischen Atombombentests der USA und Sowjetunion gelangten die radioaktiven Spaltprodukte direkt in die Atmosphäre und wurden in grosse Höhen verfrachtet. In den über vierzig Jahren ziviler Nutzung von Kernenergie gelangte nur sehr wenig Radioaktivität in die Umwelt. Der Unfall im Militärreaktor von Tschernobyl hatte einen deutlich messbaren Anstieg an Radioaktivität in der Umwelt zur Folge. Im Vergleich zu den 50er und 60er Jahren war die Radioaktivität jedoch fast viermal tiefer.
Beim Unfall von Fukushima wurde regional punktuell stark erhöhte, ansonsten mässig erhöhte Radioaktivität gemessen. Die Radioaktivität in der Stadt Tokyo ist auch nach dem Unfall nur minimal höher als jene in New York und deutlich tiefer als etwa die natürliche Strahlung in Hongkong.