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Wer in der Schweiz Bundesrichterin oder Bundesrichter werden will, muss einer politischen Partei beitreten. Das wirft Fragen auf zur Gewaltentrennung im Bundesstaat. Radikale Änderungen fordert die Justiz-Initiative, die am 28. November zur Abstimmung kommt.
Das Bundesgericht in Lausanne ist die höchste richterliche Instanz in der Eidgenossenschaft. Es entscheidet abschliessend über die Rechtmässigkeit von Justizurteilen und die Auslegung von Gesetzen, die das Leben von Millionen Bürgerinnen und Bürgern in der Schweiz prägen. Als dritte Gewalt im Bundesstaat ist die Judikative einzig dem Gesetz unterstellt. Gewählt werden die obersten Richterinnen und Richter von der Vereinigten Bundesversammlung beider Parlamentskammern. Bei der Besetzung der Richterstellen nimmt die Legislative freiwillig Rücksicht auf die Stärke der politischen Parteien. Damit soll gewährleistet werden, dass das höchste Gericht die Gesellschaft angemessen repräsentiert und demokratisch legitimiert ist.
Dieses ungeschriebene Gesetz – eine Art Gentlemen’s Agreement – hat jedoch zur Folge, dass einer politischen Partei beitreten muss, wer in der Schweiz eine Richterkarriere machen will. Im Gegenzug müssen die Richter «ihrer» Partei einen jährlichen Obolus entrichten. Diese Mandatsabgabe beträgt je nach Partei zwischen 3000 bis 10 000 Franken pro Jahr – bei einem Bundesrichterlohn von 365 000 Franken. Diese Schweizer Besonderheit sorgt international schon länger für Kritik: Die Staatengruppe gegen Korruption des Europarates (GRECO) sieht in der Mandatssteuer einen Verstoss gegen den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit. Die Schweiz rechtfertigt die historisch gewachsene Tradition unter anderem damit, dass das Land im Gegensatz zum Ausland keine staatliche Parteienfinanzierung kennt.
Die GRECO kritisiert zudem, dass die Bundesrichter alle sechs Jahre vom Parlament wiedergewählt werden müssen. Dieses Prozedere berge die Gefahr einer Abwahl aus politischen Gründen. Tatsächlich kommt es in der Schweiz immer wieder zu Strafaktionen gegen unliebsame Richter. Im Herbst 2020 empfahl die SVP ihren eigenen Bundesrichter Yves Donzallaz zur Abwahl, weil dessen Werthaltungen der Parteilinie widersprächen. So war der Magistrat 2015 an einem höchstrichterlichen Urteil beteiligt gewesen, welches das Freizügigkeitsabkommen mit der EU über die vom Volk angenommene SVP-Masseneinwanderungsinitiative stellte. Als Bundesrichter wurde Donzallaz vom Parlament schliesslich komfortabel wiedergewählt – einfach ohne die Stimmen «seiner» SVP.
Für Schlagzeilen sorgte 1990 der sogenannte KruzifixFall: In einem Grundsatzurteil verbannte das Bundesgericht das Kruzifix als religiöses Symbol aus den Schulzimmern. Katholische Kreise witterten darin einen Akt der Christenverfolgung. Die beteiligten Bundesrichter wurden zwar wiedergewählt, erhielten aber durch tiefe Stimmenzahlen einen Denkzettel verpasst.
Dem Unternehmer Adrian Gasser ist die Vernetzung der Politik mit den höchsten Richtern ebenfalls schon länger ein Dorn im Auge. Gasser ist Urheber der Justiz-Initiative, die am 28. November zur Abstimmung kommt und einen radikalen Wechsel verlangt: Bundesrichterinnen und -richter sollen statt vom Parlament durch das Los bestimmt werden. Somit wären sie keiner Partei verpflichtet und dadurch unabhängiger. Die Kandidaturen würden einzig von einer vom Bundesrat eingesetzten Fachkommission auf ihre fachliche Eignung geprüft. Mit dieser Systemänderung will der Initiant verhindern, dass die Gerichte «still und leise zu einem Instrument der Parteien verkommen». Das Losverfahren sei schon in der Antike von den Griechen praktiziert worden, um Versuchen von Bestechung oder Beeinflussung entgegenzuwirken.
Das heutige System ist zwar nicht perfekt, doch das «institutionelle Immunsystem» hat Beeinflussungsversuche stets abgewehrt, wie der Fall Donzallaz jüngst wieder zeigte.
Präsident der parlamentarischen Gerichtskommission
Mit seinem Vorschlag stösst Gasser in der Politik auf wenig Gegenliebe. Sowohl Bundesrat wie Parlament empfehlen die Volksinitiative unisono und ohne Alternative zur Ablehnung. Eine Richterwahl dem Zufall zu überlassen, schwäche die demokratische Legitimation der Justiz und damit die Akzeptanz von Gerichtsurteilen in der Bevölkerung, argumentieren die Gegner. Das heutige System sei zwar nicht perfekt, räumt der Präsident der parlamentarischen Gerichtskommission, Ständerat Andrea Caroni (FDP/AR), ein. Doch das «institutionelle Immunsystem» habe Beeinflussungsversuche stets abgewehrt, wie der Fall Donzallaz jüngst wieder gezeigt habe.
Auch die Betroffenen lehnen das Losverfahren grundsätzlich ab. Die Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter sieht aber durchaus Verbesserungsbedarf. So könnte die Einführung einer einmaligen Wahl die politischen Druckversuche bei periodischen Wiederwahlen ausmerzen. Diese Praxis gilt heute bereits im Kanton Freiburg, wo Richter und Staatsanwälte auf unbestimmte Zeit gewählt werden, eine Abberufung aus wichtigen Gründen aber möglich bleibt. «Ein deutliches Zeichen für die Unabhängigkeit» wäre aus Sicht der Richtervereinigung auch die Abschaffung der Mandatsabgabe an die Parteien. Von der Ausarbeitung eines Gegenvorschlags zur Justiz-Initiative wollten Bundesrat und Parlament aber nichts wissen. Nun hat das Volk an der Urne das letzte Wort.
Die Schweiz soll mehr Pflegefachpersonen ausbilden und ihnen bessere Arbeitsbedingungen gewähren. Dies verlangt die Volksinitiative «Für eine starke Pflege» (mehr dazu siehe Schwerpunkt).
Bundesrichterinnen und Bundesrichter sollen künftig per Losentscheid bestimmt werden. Die Urheber der Justiz-Initiative wollen dadurch die Unabhängigkeit des höchsten Gerichtes sicherstellen.
Die «Freunde der Verfassung» bekämpfen erneut Corona-Massnahmen des Bundes an der Urne. Das zweite Referendum richtet sich insbesondere gegen das Covid-Zertifikat für Geimpfte, Genesene und negativ Getestete.
(TP)
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