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  • Literaturserie

Rudolf Kuhn | Ein Atompilz über der Linthebene

19.01.2024 – Charles Linsmayer

In «Junge Kräfte grünen» liess es der Glarner Schriftsteller Rudolf Kuhn 1941 am oberen Zürichsee zu einer Kernexplosion kommen.

«Industrie gegen Bauerntum, Maschine gegen Mensch, das Buch eines Dichters und Menschengestalters» war 1934 auf dem Umschlag des Buches «Die Jostensippe. Roman aus der Gegenwart» zu lesen. Jörg Jost, Spross eines alten Glarner Geschlechts, ringt um die widersprüchlichen Kräfte des väterlichen und mütterlichen Erbes, stellt sich leidenschaftlich dem Maschinenzeitalter entgegen und kehrt zur sippen- und schollentreuen bäuerlichen Lebensweise seiner Vorfahren zurück. Die Tendenz stiess draussen im eben erst gegründeten «Dritten Reich» auf wohlwollende Zustimmung. Und die «Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums» stufte den Roman des am 16. Oktober 1885 in Netstal geborenen und am 23. Februar 1958 in Zürich verstorbenen Glarner Architekten und Schriftstellers Rudolf Kuhn 1935 denn auch als «beachtlich» ein. Dies, obschon ihr «das erotische Moment» als «nicht immer ganz gesund, sondern in mancher Hinsicht angekränkelt» erschien. Eduard Korrodi seinerseits urteilte in der NZZ: «Ein gross geschautes, kraftvoll gestaltetes Schweizer Zeitbild.»

«Junge Kräfte grünen»

Der Autor Rudolf Kuhn (1905 – 1958)

1937 stiess Rudolf Kuhn zum Architektenteam der Landesausstellung 1939, und als die Ausstellung eröffnet war, schrieb er auf einer Entlebucher Alp seinen zweiten und letzten Roman. Er erschien 1941 wie der erste im Eugen-Rentsch-Verlag, Erlenbach ZH, hiess «Junge Kräfte grünen», und die NS-Zensoren, deren Urteil allerdings nicht bekannt ist, haben wohl ihre liebe Freude daran gehabt. Liebe im Kornlager und auf blosser Scholle, Mädchen mit «breitwürfigen Hüften», die nackt durch die Wildnis reiten, Frauen, die Gebären als religiösen Akt begreifen – wenn überhaupt je ein Schweizer Buch dieser Jahre in Sachen Naturmystik, Fruchtbarkeits- und Heroenkult dem Blut-und-Boden-Ideal des «Dritten Reiches» restlos entsprach, dann dieser mit Schweizer Bundesmitteln geförderte Roman!

Allerdings zeigt das keineswegs etwa dilettantisch wirkende, atmosphärisch dichte Werk zugleich auch beispielhaft auf, welch seltsame Faszination trotz allem von dieser Art mystisch verbrämter, ins Monumentale gesteigerter Fruchtbarkeitsromantik ausgehen kann. Eine Reaktion, in der sich der durch dieses Buch nur allzu leicht irritierte heutige Leser noch bestärkt sieht, weil Kuhn es geschickt verstanden hat, den gefeierten und zuletzt sieghaften mütterlichen Erd- und Naturkräften die moderne technische Zivilisation in der schrecklichsten ihrer denkbaren negativen Konsequenzen gegenüberzustellen.

«Hütet euch», predigte Simon, «dass die Stille eurer Felder nicht vom Lärm der Welt zerbrochen wird und die Unrast des Krieges über euch komme, dazu die Gier nach Geld und Macht. Passt auf, dass das Gerassel der Maschinen nicht den Gesang der Lerchen auf dem Feld übertönt und der Lockruf der Unzucht den frohen Ruf der Jugend!»

Aus: Rudolf Kuhn, «Junge Kräfte grünen». Roman. Eugen-Rentsch-Verlag, Erlenbach 1941. Vergriffen.

Die Explosion einer Atombombe über der Linth-Ebene, drei Jahre nach Otto Hahns erster Uranspaltung und fünf Jahre vor Hiroshima mit visionärer Kraft und souveränem technischem Wissen beschrieben, bildet denn auch das Erstaunlichste an diesem äusserst problematischen, wenn auch gefährlich faszinierenden Schweizer Roman aus der dunkelsten Zeit des Zweiten Weltkriegs.

«Durch die Fenster drang eine ungeheure Lichtflut, der Boden schwankte wie bei einem Erdbeben, und dann brach der Donner über sie herein, als ob die Erde sich spalte.» Entsetzt starren die Überlebenden auf den «Todesbaum» weit über dem Tal, auf den Atompilz, der bald als Aschenregen auf sie niederkommen wird. Der Kern der Explosion musste beim geheimnisvollen Rüstungswerk des Ingenieurs Christian Unger liegen. Der Ingenieur selbst überlebt wie durch ein Wunder das Inferno in einem unterirdischen Stollen. Seine Frau Gertrud, eine leibhaftige Verkörperung der heilenden vegetativen Naturkräfte, erliegt zwar selbst den Spätfolgen der Explosion bzw. der Auswirkung der Radioaktivität, pflegt den Ingenieur aber vorher noch gesund und vermag ihn zu bestimmen, die Atomkraft in Zukunft nur noch friedlich zu nutzen.

Bibliografie: Rudolf Kuhns Romane sind nur noch antiquarisch oder in Bibliotheken greifbar.

Charles Linsmayer ist Literaturwissenschaftler und Journalist in Zürich

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