Literaturserie
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Mit seinem «Mutterrecht» schuf der Basler Aristokrat Johann Jakob Bachofen ein Buch, das die Geschlechterdiskussion auf Jahrzehnte hinaus prägte.
Er gehörte fraglos zu den Grossen der Schweizer Literatur, heute aber ist er so gut wie vergessen: Johann Jakob Bachofen, Verfasser von «Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur».
Zwar ist die These, dass der Mann keineswegs seit jeher die Oberhand in Staat und Familie besessen, sondern sich erst vor etwa 2500 Jahren von der Herrschaft der Frau emanzipiert habe, längst unhaltbar geworden. Und doch hat die 1861 erschienene Abhandlung, in der Bachofen die Periode der Frauenherrschaft anhand von antiken Texten und Grabsymbolen zu dokumentieren suchte, erstaunlich lange nachgewirkt.
Das Buch, das die Ehe zu einem Verstoss gegen ein im Mutterrecht verankertes Religionsgebot erklärt, verkündet: «Nicht, um in den Armen eines Einzelnen zu verwelken, wird das Weib von der Natur mit allen Reizen, über welche es gebietet, ausgestattet.» Damit hat es nicht bloss der monogamen patriarchalischen Familie den Nimbus der einzig denkbaren gottgewollten Einrichtung genommen – und der Frauenemanzipation Argumente geliefert. Es hat auch neue, umfassendere Möglichkeiten im Umgang mit der Vergangenheit getestet.
Andererseits aber legt das «Mutterrecht», das gelegentlich einer schwärmerischen, gefühlvollen Frauenverehrung gleicht, die Frau auch sehr einseitig auf ihre Mutterrolle fest. Das dürfte heute bei den unmittelbar Betroffenen alles andere als Begeisterung auslösen. Und auch bei Bachofen selbst war diese Lesart weniger rational denn emotional und vielleicht sogar biografisch motiviert.
«Das Bienenleben zeigt uns die Gynaikokratie in ihrer klarsten und reinsten Gestalt. Jeder Stock hat eine Königin. Sie ist die Mutter des ganzen Stammes. Neben ihr steht eine Mehrzahl männlicher Drohnen. Diese sind zu keinem anderen Geschäfte bestimmt als zu dem der Befruchtung. Sie arbeiten nicht und werden darum, wenn sie die Bestimmung ihrer Existenz erfüllt haben, von den weiblichen Arbeitsbienen getötet. So stammen alle Glieder des Stocks von einer Mutter, aber von einer grösseren Anzahl Väter. An diese knüpft sie keine Liebe, kein Band der Anhänglichkeit. Durch die Befruchtung der Mutter haben die Väter ihren Beruf erfüllt und werden nun dem Untergang geweiht.»
Spross einer der reichsten Basler Familien, stand der am 22. Dezember 1815 geborene, leicht kauzige, ungeheuer belesene und unendlich fleissige Basler Rechtsprofessor, Richter und Privatgelehrte nämlich ungewöhnlich lange unter dem bestimmenden Einfluss seiner Mutter Valeria, einer starken, dominanten Persönlichkeit aus dem Geschlecht der Merian. Eine Konstellation, die sich nicht änderte, als der Fünfzigjährige 1865 die neunzehnjährige Elisabeth Burckhardt heiratete und mit ihr einen Hausstand gründete, den er, wie er selbst es formulierte, «nach imperialistischen Grundsätzen» leitete.
Bachofens «Mutterrecht», das «dem Andenken meiner Mutter, Frau Valeria Bachofen-Merian» gewidmet ist, war ein wechselvolles Schicksal beschieden. Von den Zeitgenossen ignoriert oder als Hokuspokus verlacht, wurde es um 1920 durch Ludwig Klages und Carl Albrecht Bernoulli zu Weltruhm gebracht, bis dann die Ethnologie die zentralen Thesen als irrig entlarvte.
Die zwischen 1943 und 1967 erschienene Bachofen-Werkausgabe brachte jedoch Sensationelles zutage: Zehn Jahre nach Vollendung des «Mutterrechts» hatte der Verfasser selbst seine Erkenntnisse anhand sämtlicher damals verfügbarer ethnologischer Forschungsresultate zu überprüfen und zu relativieren begonnen! Das eisige Schweigen, dem seine Arbeit in seiner Heimatstadt und in wissenschaftlichen Fachkreisen begegnete, liess ihn jedoch nach der Publikation von zwei bescheiden als «Antiquarische Briefe» betitelten Teilbänden endgültig resignieren. Als er am 25. November 1887 mit 72 Jahren starb, erschien ein einziger wissenschaftlicher Nekrolog: in russischer Sprache, in einer Pariser Exilzeitschrift ...
Bibliografie: Jakob Bachofens «Mutterrecht» ist als Suhrkamp-Taschenbuch Nr. 135 lieferbar.
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