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Genau ein Jahr nach der Volksabstimmung über Ernährungssicherheit geht es am 23. September 2018 erneut um Lebensmittel. Gleich zwei Volksinitiativen zur Lebensmittelproduktion kommen zur Abstimmung.
Landwirtschaftspolitik gehört zu den umstrittensten und emotionalsten Bereichen der schweizerischen Politik. Bäuerliche Anliegen und gesamtwirtschaftliche Interessen prallen nicht selten unversöhnlich aufeinander. Nun bereichern auch noch zwei Volksinitiativen aus dem linken und ökologischen Spektrum die ohnehin schon reich befrachtete Debatte um die Zukunft der schweizerischen Landwirtschaft. Sie kommen beide am 23. September 2018 vors Volk.
Ein Jahr zuvor, am 24. September 2017, hat das Volk mit fast 79 Prozent Jastimmen den Gegenvorschlag einer Volksinitiative des Bauernverbandes angenommen. Seit damals stehen die Grundsätze für die Ernährungssicherheit in der Bundesverfassung. Die Hauptpunkte: Sicherung der Produktionsgrundlagen, besonders des Kulturlandes, eine dem Standort angepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion sowie eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft. Weiter wird der Verschwendung von Lebensmitteln der Riegel geschoben. Bereits die damalige Vorlage enthielt Anliegen aus beiden nun zur Diskussion stehenden Initiativen – Fair Food und Ernährungssouveränität. Es gab gewissermassen eine gemeinsame Schnittmenge der drei Initiativen. Appelle, die beiden noch hängigen Initiativen seien nun zurückzuziehen, fruchteten nichts.
Mit der Volksinitiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel» (Fair-FoodInitiative) fordern die Grünen ökologische und soziale Standards für Importprodukte. Denn, so argumentieren die Initianten, die hohen Tierschutzanforderungen in der Schweiz verhinderten nicht, dass durch Importe Fleisch und Eier aus Massentierhaltung in den Verkaufsregalen landen. Selbst in Europa seien «skandalöse Arbeitsbedingungen» weit verbreitet. Die industrielle Landwirtschaft drücke durch die Handelsliberalisierung weltweit auf die Preise, was mit fairen Löhnen nur schwer vereinbar sei.
Die Initiative fordert deshalb, dass der Bund die Rahmenbedingungen für Lebensmittel von guter Qualität verstärkt. So soll etwa sichergestellt werden, dass diese umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen produziert werden. Importierte landwirtschaftliche Erzeugnisse müssten diesen Anforderungen genügen. Der Bund soll eingeführte Erzeugnisse aus fairem Handel begünstigen. Er soll Vorschriften zur Zulassung von Lebens- und Futtermitteln und zur Deklaration von deren Produktions- und Verarbeitungsweise erlassen. Dazu könnte der Bund auch Einfuhrzölle anheben. Ferner sollen die Verarbeitung und die Vermarktung regional und saisonal produzierter Lebensmittel gefördert und die Lebensmittelverschwendung eingedämmt werden.
Wie so häufig, unterstützt der Bundesrat diese Anliegen «grundsätzlich». Aber beim Vollzug sieht die Landesregierung dann vor allem Probleme. Es bräuchte neue, aufwändige und teure Kontrollen, wenn überprüft werden müsste, ob importierte landwirtschaftliche Produkte tatsächlich den Anforderungen der Initiative entsprechen. Zudem käme es zu handelspolitischen Konflikten. Das Volksbegehren sei schlicht unvereinbar mit den Verpflichtungen der Schweiz gegenüber der Welthandelsorganisation (WTO), der EU sowie mit Staaten, mit denen Freihandelsabkommen bestehen.
Im Parlament sieht man das mehrheitlich so wie der Bundesrat. Kommissionssprecher Hansjörg Walter, SVPNationalrat aus dem Thurgau, bezeichnet die Initiative ebenfalls wegen des internationalen Handelsrechts und wegen der ausufernden Kontrollen als nicht praktikabel. Für den Berner BDP-Nationalrat Heinz Siegenthaler ist die korrekte Produktedeklaration ohnehin wichtiger als Kontrollen. Die Konsumenten könnten schon heute gesunde und fair produzierte Lebensmittel kaufen. Es gehe bei dieser Initiative um mehr als nur um das Essen, findet die Zürcher FDP-Nationalrätin Regine Sauter. Das Volksbegehren könne Arbeitsplätze und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz gefährden. Der grüne Zürcher Nationalrat Bastien Girod sieht einen Systemfehler, wenn im Inland hohe Qualität verlangt werde, bei Importen von Lebensmitteln dagegen darauf verzichtet werde.
Im Parlament zeigte sich die SP gespalten. Die Luzerner SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimoz warnte, bei Annahme der Initiative könne der Druck auf die Schweiz steigen, ihre Standards bei Produkten zu senken. Zudem drohe die Gefahr höherer Lebensmittelpreise. Dem hielt die Schaffhauser SP-Abgeordnete Martina Munz entgegen, weltweit gebe es nur vier Länder, die im Verhältnis zur Kaufkraft weniger Geld für Lebensmittel ausgeben würden als die Schweiz. Der Basler SP-Vertreter Beat Jans schlug in einem Kompromissantrag vor, statt den Import gewisser Produkte zu verbieten, die Einfuhr nachhaltiger Lebensmittel mit tieferen Zöllen zu begünstigen. Dieser Gegenvorschlag hatte im Parlament ebenso wenig eine Chance wie die Volksinitiative selbst.
Auch die zweite Initiative stiess im Parlament auf viel Sympathie, fand aber dann doch kaum Unterstützung. Auslöser der von der Bauerngewerkschaft Uniterre eingereichten und von 70 Organisationen unterstützten Volksinitiative «Für Ernährungssouveränität» ist unter anderem das Unbehagen über den Strukturwandel der Landwirtschaft. «Täglich schliessen zwei bis drei landwirtschaftliche Betriebe ihre Tore. Das bäuerliche Einkommen hat sich in den letzten 30 Jahren um 30 Prozent verringert und über 100 000 Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Mit der Initiative für Ernährungssouveränität schaffen wir die dringend nötige Wende in der Agrarpolitik», argumentieren die Initianten.
Ziel des Begehrens ist «eine vielfältige, bäuerliche und gentech-freie Landwirtschaft, welche die natürlichen Ressourcen schützt.» Die Initianten wollen «faire Preise» und «ein gerechtes Einkommen» für Bäuerinnen und Bauern und landwirtschaftliche Angestellte. Regulierende Zölle sollen einen «gerechten internationalen Handel» ermöglichen. Zudem geht es «um die Stärkung kurzer Kreisläufe und darum, eine regionale Produktion zu ermöglichen und zu beleben». Der Bund solle ausserdem wirksame Massnahmen treffen mit dem Ziel, «die Erhöhung der Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen und die Strukturvielfalt zu fördern», wie es im Initiativtext heisst.
Die Initiative enthalte einerseits Forderungen, die mit der heutigen Landwirtschaftspolitik bereits berücksichtigt würden, anderseits im Widerspruch zur Agrarpolitik des Bundes stünden, befand der Bundesrat. Die Landesregierung lehnt «eine stärkere staatliche Strukturlenkung und zusätzliche Markteingriffe» ab. Der Berner SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal sieht in dieser Initiative «ein Zeichen aus der Not». Denn die Preise für Landwirtschaftsprodukte seien in den vergangenen Jahren gesunken, der Druck auf die Betriebe nehme zu. Trotzdem: Alle Fraktionen, mit Ausnahme der Grünen, sprachen sich im Parlament gegen die Initiative aus. Für FDP-Präsidentin Petra Gössi etwa ist das Begehren schlicht «rückwärtsgewandt» und gehe in Richtung Protektionismus und Planwirtschaft.
Vor allem im Nationalrat stand aber weniger die im Parlament ohnehin chancenlose Initiative im Vordergrund der Debatte, sondern die Agrarpolitik des Bunderates. Dieser hatte am 1. November 2017 kundgetan, dass er in der Landwirtschaftspolitik ab 2022 auf Freihandel zu setzen gedenke. Unverständlich seien solche Vorschläge, monierten vor allem Vertreter von SVP, CVP und linker Parteien. Dies vor allem, weil das Volk kurz zuvor, im September 2017, den bereits erwähnten Verfassungsartikel zur Ernährungssicherheit angenommen und damit demonstriert habe, dass es die Landwirtschaft stärken wolle.
Obschon ausser den Grünen praktisch alle Parlamentsfraktionen die beiden Volksinitiativen ablehnten: Der Abstimmungskampf wird Gelegenheit zu einer breiten Debatte über die Landwirtschaft im Allgemeinen bieten. Es wird aber auch ein Stimmungstest für die Agrarpolitik des Bundes im Speziellen sein.
Bild: Landwirtschaft im Fokus: Kartoffelernte im freiburgischen Kerzers. Bild Keystone
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