Gelesen
Gelesen
Gelesen
Gelesen
Gelesen
Gelesen
Gelesen
Gelesen
Neapel liegt auf grollendem, zitterndem Untergrund. Erdplatten reiben sich aneinander und erzeugen eine Unruhe, die sich auf die lebhafte, chaotische Stadt über diesem Untergrund überträgt. Nicht zuletzt daraus bezieht Neapel seine Anziehungskraft für Franco Supino, dessen Eltern aus dessen Umland stammen. In die Stadt am Vesuv zieht es im Roman «Spurlos in Neapel» auch den Ich-Erzähler, einen in der Schweiz wohnhaften Autor.
Vordergründig lässt er sich bei seinem «Meisterschneider» einen Anzug anmessen, insgeheim aber verfolgt er eine zweite Absicht. Er will einem geheimnisvollen Camorrista auf die Spur kommen: Antonio Esposito. Deshalb verbindet er seine periodischen Termine beim Schneider mit der Spurensuche nach O’Nirone, wie Esposito wegen seiner dunklen Hautfarbe auch genannt wird. In Neapel findet der unbescholtene Erzähler leicht Gesprächspartner, die ihm Geschichten über jenen feilbieten, denn die Camorra kann «auf den Geltungsdrang der Neapolitaner» zählen, wie ihm ein Freund erzählt, um hinter diesem Geraune ihr klandestines Gewerbe zu betreiben. Volkstümlichkeit, Verbrechen und Mythos gehen dabei eine typische Mischung ein.
Allmählich kommt der Erzähler der rätselhaften Figur O’Nirones näher. Woher aber nur rührt die dunkle Hautfarbe in einer «normalen» Camorra-Familie? Das ist die eine Frage, der er auf sich selbst gemünzt gleich eine zweite zugesellt: Was wäre aus ihm geworden, wären seine Eltern hier geblieben, oder hierhin zurückgekehrt? So gerät mit der Suche nach O’Nirone die eigene Biografie in den Blick. Der Erzähler erinnert sich an die frühen Sommerreisen mit den Eltern zurück «nach Hause», aber auch an die politische Aufregung in der Schweiz, als die «Tschinggen» per Initiative heimgeschickt werden sollten.
«Seine Biografie in einem fremden Leben zu suchen, ist kein harmloses Spiel», formuliert der Erzähler den existenziellen Kern, der diesen Roman antreibt. In O’Nirone spiegelt sich eine Möglichkeit des eigenen Lebens. Franco Supino legt mit «Spurlos in Neapel» einen klug komponierten Stadtroman vor, der zwischen Tatsächlichkeit und Fiktion pendelt und mit autofiktionalen Zügen auch von der Faszination erzählt, die von dieser Stadt ausgeht: Maradona, Pino Daniele, Massimo Troisi. Wie prägt der Zufall, wo jemand aufwächst, dessen Leben, fragt er sich. Und wie anders hätte es herauskommen können, wenn er nicht in Solothurn, sondern eben Neapel aufgewachsen wäre? Es ist eine Frage, die uns insgeheim alle trifft.
Kommentare