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Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr wird am 30. November über eine Zuwanderungsinitiative abgestimmt. Sie ist nicht nur radikaler als die im Februar angenommene Masseneinwanderungs-Initiative, sie enthält auch eine höchst umstrittene entwicklungspolitische Forderung.
Was hat die Zuwanderung in die Schweiz – vorwiegend aus Europa – mit der Familienplanung in Afrika zu tun? Für die einen wenig bis nichts, für die Initianten der Ecopop-Initiative aber sehr viel. Denn ihr Volksbegehren mit dem Titel «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» hat einen ökologischen Anspruch und einen globalen Ansatz: Weniger Menschen in der Schweiz und weltweit. «Die Initiative ist ein kleiner Schritt in eine Richtung, hin zu einer Welt, die auch mit einer stabilisierten und in ferner Zukunft sogar abnehmenden Menschenzahl vernünftig wirtschaften kann», sagt Ecopop-Vizepräsidentin Sabine Wirth.
Um dieses Ziel zu erreichen, fordert Ecopop zwei Dinge: «Die jährliche Nettozuwanderung in der Schweiz soll im Durchschnitt auf 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung beschränkt werden und zehn Prozent der staatlichen Hilfsgelder müssen zur Förderung der freiwilligen Familienplanung eingesetzt werden» (siehe auch Beiträge in der «Schweizer Revue» 2/2013 und 3/2014).
Die Initiative verlangt also einerseits sehr viel schärfere Zuwanderungsbeschränkungen als die am 9. Februar 2014 vom Volk knapp gutgeheissene «Masseneinwanderungs-Initiative» der SVP, weil sie ein starres Zahlenkorsett vorgibt. Anderseits verfolgt das Begehren bevölkerungs- und entwicklungspolitische Anliegen.
Sabine Wirth begründet die Forderung nach einer rigorosen Zuwanderungsbeschränkung damit, dass die Schweiz seit Einführung der vollen Personenfreizügigkeit jährlich um rund 1,2 Prozent wachse, zu 80 Prozent generiert durch Zuwanderung. «Bei diesem hohen Bevölkerungswachstum sind alle Anstrengungen zur Reduktion des Pro-Kopf-Verbrauchs und zur Steigerung der Technologie-Effizienz langfristig wirkungslos. Die Lebensqualität sinkt genauso wie die Umweltqualität.» Als Beispiele nennt Wirth Verkehrsüberlastung, Wohnkosten, Ausbreitung von Siedlungsflächen und Artensterben.
Wird die Einwanderung auf 0,2 Prozent gesenkt, entspricht das einer Nettozuwanderung von rund 16?000 Personen jährlich, statt der bisher rund 80?000. Damit würde der Spielraum für Verhandlungen mit der EU noch enger als er heute schon ist. Für die Personenfreizügigkeit gäbe es nicht mehr den Hauch einer Chance.
Im Parlament und bei den Parteien stösst die Initiative praktisch auf geschlossene Ablehnung – auch bei der Volkspartei. SVP-Migrationsexperte und Nationalrat Heinz Brand sagte in der Ratsdebatte, diese drastische Initiative sei aus praktischen Gründen nicht umsetzbar. Nationalrätin Tiana Moser (Grünliberale) findet das Volksbegehren «irreführend und schädlich», schädlich für die Wirtschaft und irreführend, weil so keine Umweltprobleme gelöst würden; der Pro-Kopf-Verbrauch sei entscheidender als die Anzahl Menschen.
Sehr umstritten ist nicht nur der Einwanderungsteil der Initiative, sondern die in der Öffentlichkeit weniger diskutierte Forderung nach familienplanerischen Massnahmen in der Dritten Welt. SP-Ständerat Paul Rechsteiner fragte in der Parlamentsdebatte: «Was würden wir sagen, wenn ein anderer Staat in seiner Verfassung bevölkerungspolitische Massnahmen in Form von Familienplanung für die Schweiz festschreiben würde?» So etwas sei «bedenkliches Herrenvolk-Denken».
Wie sieht die Lage jenseits politischer Rhetorik aus? Unbestritten ist: Die demografische Entwicklung ist eine weltweite Herausforderung. Klar ist auch: Der Zuwachs findet fast nur in wenig entwickelten Staaten statt. Ecopop-Vizepräsidentin Wirth sagt: «In Ländern wie Mali, Niger, Burkina Faso haben die Frauen im Durchschnitt zwischen sechs und sieben Kinder, das erste meist als junge Teenager. Dies erschwert ein Entkommen aus der Armutsfalle.» Zudem sei freiwillige Familienplanung, also sexuelle Aufklärung und freier Zugang zu Verhütungsmitteln, seit 1968 ein Uno-Menschenrecht und gehöre zu den Millenniumszielen. «Die Uno will mit freiwilliger Familienplanung gleich mehrere Ziele erreichen: die Selbstbestimmung der Frauen stärken, die wirtschaftliche Entwicklung beschleunigen, Gesundheit und Lebensqualität der Betroffenen erhöhen, politisch-soziale Strukturen stabilisieren und nicht zuletzt, langfristig einen Beitrag zur Umweltqualität leisten.»
Damit spricht Ecopop einen wunden Punkt an, weil das rasche Bevölkerungswachstum in sehr armen Ländern die Entwicklungsperspektiven erheblich beeinträchtigt: Die Ernährungssicherheit ist nicht gewährleistet, die Infrastruktur ist hoffnungslos überlastet, Bildungs- und Gesundheitssysteme stehen unter Druck. Der springende Punkt ist jedoch, dass das Bevölkerungswachstum eine Folge dieser Defizite ist: Armut führt zu Kinderreichtum, weil Kinder in dieser Lage als zusätzliche Arbeitskräfte, als Unterstützung bei Krankheit und im Alter willkommen sind und damit der Existenzsicherung dienen.
Hier setzt die Kritik von Entwicklungsorganisationen ein. Alliance Sud, die Arbeitsgemeinschaft Schweizer Hilfswerke, hält fest, «dass der Entscheid, viele Kinder zu haben, selten auf Freiwilligkeit beruht, sondern Ausdruck einer wirtschaftlichen Zwangslage und Rechtlosigkeit ist. Hier gilt es anzusetzen». Mit anderen Worten: «Ecopop ignoriert die strukturellen Ursachen des Bevölkerungswachstums.» Die Entwicklungsorganisationen sind überzeugt, dass die wichtigste Voraussetzung für die Senkung der Geburtenraten in Afrika die Stärkung der Stellung der Frauen ist. Bildung für Mädchen und Frauen führt dazu, dass Frauen nicht zu früh Kinder kriegen. Auch die Senkung der Kindersterblichkeit durch bessere Gesundheitsversorgung führt nachgewiesenermassen zu kleineren Familien. Genauso bessere Beschäftigungsmöglichkeiten.
Der Bundesrat sieht es ähnlich, wie es in seinem Bericht über das Schweizer Engagement zur Gesundheits- und Sexualaufklärung in Entwicklungsländern (30. Mai 2014) heisst: «Seit der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Frühere Programme versuchten, die Dynamik von Bevölkerungen in den verschiedenen Ländern vordringlich durch staatlich verordnete Familienplanung und die Abgabe von Verhütungsmitteln zu beeinflussen. Dieser Ansatz hat sich entweder als problematisch oder als wenig wirksam erwiesen. Zu den bedeutendsten Faktoren einer positiven Beeinflussung der weltweiten Bevölkerungsentwicklung zählen vielmehr die wirksame und gezielte Armutsbekämpfung, die Gleichstellung der Geschlechter sowie der Ausbildung und Ermächtigung von Frauen. Die Schweiz handelt im Rahmen ihrer internationalen Zusammenarbeit aus diesem umfassenden Verständnis heraus und leistet damit zugleich einen Beitrag zur Kontrolle der Bevölkerungsdynamik.»
Die Ecopop-Initiative propagiert also Methoden, die das Pferd beim Schwanz aufzäumen, die sich nicht bewährt haben und in der Dritten Welt nicht gut ankamen oder gar kontraproduktiv waren. Problematisch bei der Ecopop-Initiative ist zudem die faktische Reduktion der globalen Umweltprobleme auf das Bevölkerungswachstum. «Dabei unterschlägt sie die riesigen Unterschiede im Ressourcenverbrauch», schreibt Alliance Sud. «Würde man die Forderung der Ecopop-Initiative zu Ende denken, müsste man die radikale Reduktion der Bevölkerung in den reichen Ländern und der vermögenden Eliten in den armen Ländern anstreben. Denn nicht die Zahl der Menschen ist für die Umweltbelastung entscheidend, sondern ihr Ressourcenverbrauch.»
In der demografischen Debatte ist der Begriff «Überbevölkerung» allgegenwärtig, so auch im Titel der Ecopop-Initiative. Dabei kann niemand präzise definieren, wann ein Gebiet überbevölkert ist. Ist Monaco mit einer Bevölkerungsdichte von 17?889 Einwohnern pro Quadratkilometer überbevölkert? Oder Deutschland mit 226 und die Schweiz mit 198 Einwohnern? Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, hat hingegen «nur» 165 Einwohner pro Quadratkilometer. Überhaupt Afrika: Der Kontinent ist eigentlich unterdurchschnittlich bevölkert: 36 Personen pro Quadratkilometer (südlich der Sahara), der weltweite Durchschnitt liegt bei 53 Personen.
Bild Weniger Kinder in Afrika durch mehr Geld für Familienplanung, dies wollen die Initianten von Ecopop
Kommentare
Kommentare :
La comparacion con Monte Carlo es ridiculo y absurdo, porque alla no hay una poblacion "normal" sino se trata de gente a la cual no gusta pagar impuestos (multimillionarios, deportistas, ladrones etc.).
Dazu schreibt der UNFPA: "1 Franken investiert in Familienplanung spart mindestens 2-3 Franken im Bereich Mütter- und Säuglingsgesundheit, zusätzliche Ersparnisse ergeben sich später in den Bereichen Bildung etc. Es ist erwiesen, dass Familienplanung eine der wirksamsten und kostengünstigsten Massnahmen im Gesundheitswesen ist" (State of World Population 2012 und Revised Cost Estimates for the Implementation of the Programme of Action of the International Conference on Population and Development: A Methodological Report, 2009)
Es steht also dank diesen Einsparungen letztlich MEHR Geld für andere - von Alliance-Sud genannte - Bereiche zur Verfügung als ohne Familienplanung.
Die Schweiz tut sehr wenig in diesem Bereich, vergleichbare Länder leisten deutlich mehr (N, S, Fin, DK, NL).
Diverse unter den Schwerpunktländern der DEZA gehören genau zu den Ländern mit den höchsten Geburtenraten (6-7 Kinder/Frau) und 28% „unmet need in family planning“: Benin, Burkina Faso, Mali, Mosambik, Tschad etc.
"Es sollten einzelstaatliche und BEVÖLKERUNGSPOLITISCHE Ziele und Programme aufgestellt und umgesetzt werden, die der auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Umwelt- und Entwicklungsplanung des Landes entsprechen und mit der Freiheit, der Würde und den persönlichen Wertvorstellungen des Einzelnen im Einklang stehen."
Zu "Ueberbevölkerung": Beispiel Nahrung. Die Schweiz kann sich, je nach Berechnungsart, zu 50% oder noch weniger selbst versorgen. Wir verlassen uns darauf, dass wir auch in Zukunft unseren harten Franken in Lebensmittel umtauschen können, werden immer abhängiger von Ländern mit teilweise fragwürdigen Regimes. Wenn jedes Land so wirtschaftet, geht es irgendwann nicht mehr auf; tut es eigentlich schon heute nicht, wenn wir ehrlich sind. Die UNO rechnet mit 12,3 Milliarden Menschen im Jahr 2100. Das werden heutige Kleinkinder erleben. Es ist kurzsichtig sich, gerade in Sachen Nahrung und Energie immer mehr in eine Abhängigkeit zu bringen. Gouverner c'est prévoir!
Warum sollten alle aus der 5. Schweiz wegen Ecopop zurück in die Schweiz müssen? Ich wohne in Dubai, und hier sind die Restriktionen noch viel schärfer als in der Schweiz. Es kommt kein Ausländer rein wenn er keinen Job hat! Ausser er kann sich über entsprechende Einkünfte oder Vermögen ausweisen. Stehen die darum lächerlich da? Wenn hier ein Ausländer kriminell wird, ist er schneller wieder aus dem Land als er rennen kann, und dies gleich beim ersten Mal. Diebstahl reicht.