Editorial
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Ab und zu entstehen auch in Amtsstuben literarische Werke. Ein brillantes Beispiel amtlicher Dichtkunst ist zum Beispiel die Losung aus den frühen 1970er-Jahren: «Kluger Rat – Notvorrat!» Besonders in ihrer deutschen Urfassung überzeugt die poetische Miniatur: Sechs kurze Silben, die – mitten im Kalten Krieg – eine ganze Stimmungslage zusammenfassen. Sechs Silben, die vermitteln, dass es auch Konserven braucht, um den Gefahren zu trotzen. Und die Klugen – also wir alle – wussten, was es brauchte: einen ordentlichen Keller, bestückt mit soliden Holzgestellen. Kein Wunder gleichen viele Keller aus jener Zeit mit ihren dicken Betonwänden und massiven Panzertüren noch heute einem Bunker.
Doch der Slogan «Kluger Rat – Notvorrat» verblasste. Er wurde von der Globalisierung fast ins Lächerliche gekehrt. Angesichts der dichten, weltumspannenden Lieferketten erschien die Notvorrats-Mentalität komplett aus der Zeit gefallen. Vorräte anlegen wurde zum Spleen der Ewiggestrigen. Eine Pflicht blieb sie nur für Eichhörnchen. Die Moderne versprach immer überzeugender: Was der Mensch braucht, ist online rasch bestellt und wird «just in time» vor die eigene Türe geliefert.
Doch bereits während der Corona-Pandemie erlebte die Vorratskammer eine erste Renaissance. Es wurde wieder zum kollektiven Wettbewerb, über den Tag hinaus Vorräte anzulegen. Keineswegs nur WC-Papier. Inzwischen ist auch der Staat selbst wieder bei seiner über 50 Jahre alten Losung gelandet, diesmal unter dem Eindruck von Kriegen und Krisen, die eines lehren: Manchmal passiert das absolut Unvorstellbare.
Die typisch schweizerische Note punkto Vorratshaltung: Nach staatlicher Lesart zählt auch das Luxusprodukt Kaffee zu den lebenswichtigen Gütern, auf das Schweizerinnen und Schweizer selbst an sehr trüben Tagen nicht sollen verzichten müssen. Diese Kuriosität ist immerhin statistisch gut untermauert: Punkto Kaffeekonsum zählt die Schweiz zur weltweiten Spitzengruppe. Im Schnitt gönnen sich die Menschen hierzulande fast 1100 Tassen pro Jahr. Und genau wegen dem nächsten Tässchen Kaffee bleibt dieses Editorial eine Spur kürzer als sonst.
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