Literaturserie
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Alfred A. Häsler stellte mit «Das Boot ist voll» 1967 die beschämende Schweizer Flüchtlingspolitik der Jahre 1933 bis 1945 in ein helles Licht. 2021 wäre er hundert Jahre alt geworden, der am 19. März 1921 in Wilderswil (BE) geborene und am 7. April 2009 in Zürich verstorbene Alfred A. Häsler.
Wie kein anderer Schweizer Autor des 20. Jahrhunderts hat er Zeitung und Fernsehen genutzt, um den Menschen anhand des Beispiels grosser Vorbilder jene Mündigkeit und ethische Verlässlichkeit zu vermitteln, die unverzichtbare Voraussetzungen einer glaubwürdigen Demokratie sind. Mit Interviews für die Zeitung «Tat» und als Gesprächspartner von Karl Barth, Jeanne Hersch oder Carl-Friedrich von Weizsäcker am Schweizer Fernsehen ist Häsler für Generationen zum Begriff geworden.
Seine folgenreichste Leistung aber war das aus einer Artikelserie in der «Tat» hervorgegangene Buch «Das Boot ist voll», mit dem er 1967 die Schicksale der in die Schweiz geflüchteten und vielfach wieder an die Grenze gestellten Verfolgten des Naziregimes auf eine Weise aufarbeitete, die das helvetische Selbstverständnis grundlegend veränderte. «Das Boot istvoll» machte in der Verfilmung durch Markus Imhoof sogar bis nach Hollywood Furore.
Häsler, der 24 weitere Bücher zu sozialen, politischen und kulturellen Fragen veröffentlicht hat, gehörte keineswegs zu jenen, die erst im Nachhinein zu Kritikern der unmenschlichen Schweizer Flüchtlingspolitik wurden. Schon 1939 hatte der 18-jährige Typografenlehrling leidenschaftliche Plädoyers für eine Neubesinnung der Schweiz auf ihre humane Asyltradition publiziert. 1943, als die Zensur unerträglich wurde, gab er seine eigene Untergrundzeitung – die «Stimme der Wahrheit» – heraus. Und als die Grenzen wieder aufgingen, besuchte er unter tiefer innerer Erschütterung als einer der ersten Schweizer das KZ Auschwitz.
Bald schon bekam er Gelegenheit, das Engagement in die Praxis umzusetzen. Als Begleiter von Hilfssendungen reiste er immer wieder nach Osteuropa. Da lernte er auch seine spätere Frau Zofia Pawliszewska kennen, die während des Warschauer Aufstands eine grosse Zahl Juden vor dem Zugriff der Nazis gerettet hatte. Noch ist nicht wirklich aufgearbeitet, wie es geschehen konnte, dass Häsler 1948 wegen Spendenhinterziehung verhaftet und in einem eindeutig politischen Prozess zum Opfer von Kommunistenhetze wurde. Jedenfalls ist es «Tat»-Chefredaktor Erwin Jaeckle zu verdanken, dass Häsler nicht endgültig in der Versenkung verschwand, sondern für jenes Blatt seine Karriere als Interviewer lancieren konnte.
Was Häsler schrieb, was er dachte, wofür er sich einsetzte, stand lebenslang unter jenem moralischen Anspruch, dem er sich 1946 angesichts der Gräuel des Nationalsozialismus gestellt hatte. «In Auschwitz habe ich mir innerlich das Versprechen abgenommen», gab er 1997 zu Protokoll, «alles in meiner Macht Stehende als Schreibender und Redender zu tun, damit nicht wieder geschehen konnte, was im 20. Jahrhundert im christlichen Europa geschehen ist, geschehen konnte, weil zu viele Staatsmänner und Völker, auch wir Schweizer, weggeschaut haben. Aus dieser Schuld werden wir nie entlassen.» Obwohl der Mann, der nicht mehr als einen Primarschulabschluss vorzuweisen hatte, mit den führenden Intellektuellen und Denkern seiner Zeit von Gleich zu Gleich verkehrte, blieb er bis zuletzt seiner Devise treu: «In keinem Fall hatte ich die Absicht, wissenschaftliche Biografien oder kulturkritische Beiträge zu verfassen. Es ging mir lediglich darum, Menschen der Gegenwart in Umrissen sichtbar und womöglich den inneren Gleichklang hörbar zu machen.»
«In jedem Fall muss das Sich-Erinnern – und Geschichte heisst ja nichts anderes als das – ständig da sein und zu unserem Leben gehören. Natürlich mit der Konsequenz: Was heisst das für mich heute, und im Wissen, dass Ereignisse wie der Holocaust und der Zweite Weltkrieg mit seiner ungeheuren Verwüstung eben auch bis zu einem gewissen Grad von meinem eigenen Verhalten abhängen, davon, ob ich nein oder ja sage und damit nicht die zerstörerischen, sondern die schöpferischen Kräfte in meinem Leben und Verhalten dominieren lasse.»
In einem Interview mit der Zeitung «Der Bund» am 6. Mai 1995
Über Jahre stellte der Literaturwissenschaftler und Journalist Charles Linsmayer in der «Revue» Schweizer Autorinnen und Autoren vor, die Erfahrungen im Ausland gesammelt haben. Nun erweitert er das Spektrum und präsentiert künftig auch Schreibende, deren Lebensmittelpunkt in der Schweiz liegt.
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