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Keine höhere AHV-Rente, keine «grüne Wirtschaft» und mehr Kompetenzen für den Nachrichtendienst: So hat das Schweizervolk am 25. September entschieden.
Wer streckt nicht bereitwillig die hohle Hand aus, wenn man ihm Geld in Aussicht stellt? Bei der Abstimmung im September ging es um zehn Prozent mehr AHV-Rente. Doch die Schweizerinnen und Schweizer lehnten das Angebot ab. Fast 60 Prozent der Stimmenden sagten nein zur Volksinitiative «AHVplus» der Gewerkschaften und der Linksparteien. Die Initianten hatten die AHV im Gesamtsystem der Altersvorsorge stärker gewichten wollen. Bundesrat, Parlament und die bürgerlichen Parteien lehnten das Ansinnen vor allem mit demografischen Argumenten ab: Da in den kommenden Jahren die geburtenstarken Jahrgänge der Fünfziger- und Sechzigerjahre ins Rentenalter eintreten, würden sich die ohnehin bestehenden Finanzierungsprobleme bei Annahme der Initiative noch zusätzlich verschärfen. Zudem, so wurde von der Gegnerschaft argumentiert, sollten die nachfolgenden Generationen nicht noch weiter belastet werden.
Im Abstimmungskampf tobte neben den üblichen Links-rechtsGrabenkämpfen ein Expertenstreit um die Frage, welche der beiden wichtigsten Säulen der Altersvorsorge zu stärken sei: die staatliche AHV oder die berufliche Vorsorge, also die Pensionskassen. Die einen stellten aufgrund der demografischen Entwicklung vor allem die drohende Deckungslücke der AHV in den Vordergrund. Andere jedoch meinten, die AHV könne künftig die Finanzierungslücken besser schliessen als die Pensionskassen, dies vor allem wegen massiv sinkender Rendite auf den Kapitalmärkten. Cédric Tille beispielsweise, Wirtschaftsprofessor, Finanzmarktexperte und Bankrat der Nationalbank, unterstützte die Initiative: Man müsse die Bedeutung der zweiten Säule begrenzen und die erste Säule, also die AHV, ausbauen.
Obwohl die AHV im Volk äusserst hohes Ansehen geniesst, wurde die Initiative abgelehnt. Zum einen hat offensichtlich das Argument überzeugt, es gelte, diese Versicherung angesichts der kommenden Probleme zu stabilisieren, statt sie in einem heiklen Augenblick finanziell aufzustocken. Zum anderen stand das Parlament zum Zeitpunkt der Volksabstimmung mitten in der Debatte um das vom Bundesrat vorgelegte Reformpaket «Altersvorsorge 2020». Dieses bietet eine Gesamtsicht und umfasst nicht nur die AHV, sondern auch die Pensionskassen. Bei Annahme der Initiative wäre das gesamte Reformkonzept in Frage gestellt worden. Das Nein der Stimmenden zum Volksbegehren war somit auch ein Vertrauensbeweis ans Parlament, in der Hoffnung, dass die laufende Rentenreform in eine ausgeglichene und mehrheitsfähige Lösung münden werde. Bei Redaktionsschluss war der Ausgang des parlamentarischen Verfahrens allerdings noch nicht bekannt.
Keine Gnade gefunden hat auch die Volksinitiative «Grüne Wirtschaft», die sich «für eine nachhaltige und ressourcenorientierte Wirtschaft» stark machte. Die von den Grünen lancierte und von Linksparteien und zahlreichen ökologisch orientierten Organisationen und Verbänden getragene Initiative ist noch deutlicher gescheitert als die AHV-Initiative, nämlich mit 63,6 Prozent Neinstimmen. Das Volksbegehren wollte die natürlichen Ressourcen wie Wasser, Boden, Luft und Rohstoffe effizienter nutzen und damit besser schützen. Auch bei diesem Volksbegehren wurde, ähnlich wie bei der AHV-Initiative, mit der Sorge um künftige Generationen argumentiert, welche die negativen Folgen unseres Wirtschaftens zu tragen haben. Es sollte insbesondere die Wirtschaft dazu gebracht werden, Rohstoffe sparsam einzusetzen und möglichst wenig Abfall zu produzieren. Dieser wiederum sollte weiterverwertet und im Wirtschaftskreislauf wieder als Rohstoffe verwendet werden. Die Initianten wollten den Verbrauch bis 2050 so weit reduzieren, dass er die Kapazität unserer einen Erde nicht mehr überschreitet. Denn würden alle Menschen weltweit so viele natürliche Ressourcen verbrauchen wie in der Schweiz, bräuchte man längerfristig drei Erden.
Das Grundanliegen der Initiative wurde auch vom Bundesrat anerkannt. Er wollte gar einen Gegenvorschlag unterbreiten und das Umweltschutzgesetz modernisieren. Doch das Parlament lehnte das Vorgehen des Bundesrates ab, und so kam allein die Initiative vors Volk. Diese ging der Regierung, dem Parlament und vor allem weiten Teilen der Wirtschaft zu weit und wollte zu viel in zu kurzer Zeit. Einschneidende Massnahmen für die Wirtschaft, negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit, auf Wachstum und Beschäftigung wurden als Argumente ins Feld geführt. Zudem seien schon sehr viele Massnahmen eingeleitet worden.
Der von der gegnerischen Abstimmungspropaganda ins Feld geführte Konsumverzicht dürfte viele Stimmenden zu einem Nein bewogen haben. Die persönlichen Einschränkungen wurden zwar nicht selten überrissen dargestellt, aber ganz ohne spürbare Einschränkungen wäre die neue Verfassungsnorm wohl nicht konsequent umsetzbar gewesen. Hauptgrund der Ablehnung dürfte jedoch der Zeitgeist gewesen sein: Umweltanliegen belegen derzeit keine Spitzenplätze auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung.
Klar im Trend lag dagegen das neue Nachrichtendienstgesetz, das mit 65,5 Prozent Jastimmen klar angenommen wurde. Bereits der erste Satz in den offiziellen «Erläuterungen des Bundesrates» zur Volksabstimmung, im Volksmund Bundesbüchlein genannt, trifft den Nerv der Zeit: «Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) dient der Sicherheit der Schweiz. Sein Auftrag ist die Früherkennung von Bedrohungen, die beispielsweise vom Terrorismus ausgehen.» Der NDB soll künftig auch in Computer eindringen, Telefone abhören und Privaträume verwanzen können. Das sieht das neue Nachrichtendienstgesetz vor. Es regelt die Aufgaben, aber auch die Schranken und die Kontrolle des NDB. Vorgesehen sind neue Massnahmen zur Informationsbeschaffung – beispielsweise Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs – in den Bereichen Terrorismus, Spionage und Angriffe auf kritische Infrastrukturen. Der NDB unterliegt einer mehrstufigen Kontrolle durch Organe des Parlaments, der Verwaltung und des Bundesrates.
Ein «Bündnis gegen den Schnüffelstaat», vorwiegend aus kleinen Linksparteien und Jungparteien bestehend, hatte gegen das Nachrichtendienstgesetz das Referendum ergriffen. Die Gegner sprachen vom Ende der Privatsphäre: «Alle werden überwacht, nicht nur Kriminelle, wie häufig behauptet wird. Abhören von Telefongesprächen, lesen von E-Mails, Facebook-, Whatsapp- und SMS-Nachrichten sowie die Überwachung des Internets durch Stichwortsuchen sind Mittel der verdachtsunabhängigen Massenüberwachung.» Dabei habe die Erfahrung gezeigt, dass flächendeckende Überwachung «keinen einzigen Terroranschlag verhindert» habe, wie die Initianten im Bundesbüchlein festhalten.
Diese Argumente überzeugten die Mehrheit nicht – zu stark sind die Ängste, der Terror könne dereinst auch die Schweiz treffen. Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung verständlich, der neu aufgestellte Nachrichtendienst trage wenigstens ein klein wenig zu mehr Sicherheit bei.
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