Porträt
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In seinem Buch «Die Kuh im Dorf lassen» schildert der Schriftsteller und Weinbauer Blaise Hofmann das harte Leben von Bäuerinnen und Bauern. Er fordert eine «menschengerechte» Schweizer Landwirtschaft.
Am Dorfeingang, wo der Familienbetrieb der Hofmanns liegt, steht der Wegweiser nach Villars-sous-Yens (VD) noch immer auf dem Kopf: Eine Erinnerung an die Demonstrationen vom Februar 2024. Damals forderten Westschweizer Landwirte mehr Anerkennung. «Die Welt steht Kopf», schreibt der Schriftsteller und Weinbauer Blaise Hofmann in seinem Buch «Die Kuh im Dorf lassen», einem 2023 veröffentlichten Essay über die Zustände in der Schweizer Landwirtschaft. In den letzten zehn Jahren sind in der Schweiz jährlich 1500 Bauernhöfe verschwunden, im Schnitt vier Betriebe pro Tag. «Damit geht ein wichtiger Aspekt unserer Welt verloren: Gesten, Gerüche, Geräusche, Geschmack, Know-how, soziale Gepflogenheiten. Doch die Leute verhalten sich so, als ob sich rein gar nichts geändert hätte», schreibt Hofmann, der Sohn und Enkel eines Bauern. Sein Urgrossvater hat Suizid begangen, wie viele andere Landwirte in den letzten Jahren.
Wir statten den Eltern von Blaise Hofmann auf ihrem Hof oberhalb von Morges einen Besuch ab. Walti und Anne-Lise empfangen uns mit breitem Lächeln. In ihrer Küche hängt der bekannte Farbdruck «Pflügen im Jorat» von Eugène Burnand. Darauf ist auch ein Mitglied seiner Familie zu sehen, sagt Blaise Hofmann, der 1978 geborene Literat und grosse Reisende, der früher als Journalist, Schafhirt, Pflegehelfer und Lehrer gearbeitet hat. Der Hof ist auch heute noch ein Landwirtschaftsbetrieb. Patrick, ein Cousin von Blaise, bewirtschaftet dort rund 40 Hektar.
Nur eines fehlt dort: Kühe und der entsprechende Mist! «Früher wurde auf dem Land die Mitgift anhand der Grösse des Misthaufens vor dem elterlichen Hof bemessen», schreibt Hofmann und erklärt, dass es in der Schweiz schon immer mehr Kühe pro Einwohner gab als anderswo auf der Welt. Heute verdient aber sein Cousin Patrick mit der Milch seiner Kühe nur noch vier bis sechs Franken pro Stunde. Das Erbe des Grossvaters gibt es nicht mehr.
Meistens werden Bauernhöfe innerhalb der Familie weitervererbt. So war es auch bei Blaises Grossvater, der 1937 mit seinen Kühen vom Belpberg (BE) nach Villars-sous-Yens zog, wo es «keinen einzigen freien Hof mehr gab». In dem waadtländischen Dorf gab es nur zwei Traktoren, einer davon gehörte ihm selbst: «Er half beim Pflügen, während viele Bauern zum Militärdienst eingezogen wurden, und konnte sich dadurch im Dorf besser integrieren», erzählt Walti bei einem Glas Chasselas aus den Weinbergen seines Sohnes.
«Die Kuh im Dorf lassen» vermittelt urbanen Leserinnen und Lesern die Denkweise eines hiesigen Bauern. Das Buch macht Lust darauf, die Männer und Frauen zu treffen, die unsere Nahrung produzieren. Im Essay dreht sich alles um diesen harten Beruf, das Gefühl der Verlassenheit, das ein Teil der Bauernschaft empfindet, – und auch um das Thema Suizid.
Und der Autor thematisiert die Wut einiger Landwirte über die «biologischen» Initiativen, die kommen und gehen, ohne dass ein Dialog zwischen den verschiedenen Seiten zustande kommt. Er beschreibt eine Welt, in der sich viele Bauern ihrer Freiheit beraubt fühlen und Kräften unterworfen sind, die sich ihrer Kontrolle entziehen. So mischen hier die Genossenschaften mit, die grosse Betriebe bevorzugen. Dann sind da die Akteure der Agrar- und Lebensmittelindustrie, die ihre marktbeherrschende Stellung ausspielen. Und schliesslich gibt der Bund den Betrieben vor, einen Teil ihres Landes brachliegen zu lassen. «Der Bauernverband erhält ein krankes System am Leben», urteilt Blaise Hofmann. Seiner Meinung nach ist es für die Schweizer Bauern an der Zeit, sich für eine «menschliche Landwirtschaft» zu wehren. Dazu müsse man sich den negativen Entwicklungen widersetzen, die zu einer «vertikalen Integration» der Bauern führen.
Er nennt etwa die Fenaco, welche «die Hälfte des nationalen Getreidemarktes (...), das UFA-Saatgut, die Landor-Düngemittel, die Landi- und Volg-Märkte, das Getränkeunternehmen Ramseier, die Agrola-Tankstellen und Dutzende anderer Unternehmen» kontrolliert. Blaise Hofmann kritisiert, diese Giganten gäben nicht nur die Preise, sondern auch die Produktionsbestimmungen vor.
Blaise Hofmann, Vater von zwei Töchtern, erwähnt auch die glücklichen Momente im Leben eines Landwirts. Kennen sie doch den Boden und seine Lebenszyklen in- und auswendig. «Kühe haben am Sonntag nicht frei, sie führen ein Leben ohne Unterbrüche, genau wie die Pflanzen, Insekten, Vögel und auch die Bäuerinnen und Bauern», sagt Hofmann.
«Die Kuh im Dorf lassen» weckt bei Städterinnen und Städtern zuweilen das Bedauern, vom Land abgeschnitten zu sein. «Selbst in der Kabine ihres Traktors sitzend gehören Bauern zu den letzten modernen Menschen, die eine Landschaft zu lesen vermögen», schreibt Blaise Hofmann. Bauernverbände aus dem rechten ebenso wie dem linken politischen Lager und auch Umweltgruppen wenden sich oft an ihn. Im Juni nahm er als Mediator an einer Diskussionsrunde mit dem Direktor der Migros Waadt teil. Das orangefarbene Duopol – Migros und Coop – nennt er «einen der Totengräber der Schweizer Landwirtschaft». Er streitet aber auch nicht ab, dass die Landwirtschaft in den letzten 60 Jahren katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt hatte.
Wo also liegt die Lösung? Als erstes müsse die Politik aktiv werden: Sie könnte Agrarimporte höher besteuern, insbesondere jene aus Marokko und Spanien, denn da seien die ökologischen und menschlichen Kosten enorm. Der Schriftsteller fordert zudem Obergrenzen für die Gewinne der grossen Detailhandelsunternehmen. Diese kommen etwa bei Milchprodukten auf eine Gewinnmarge von bis zu 57 Prozent.
Blaise Hofmann argumentiert, die Lösungen der Krise lägen nicht nur im Aufbau von Kleinstbauernhöfen. Nicht zuletzt sei der Einfluss von Konsumentinnen und Konsumenten auf die weitere Entwicklung der Landwirtschaft gross: «Sie sind es, die durch den Kauf von (...) perfekt aussehenden Äpfeln indirekt drei Viertel der Ernte eines Landwirtschaftsbetriebs aussortieren», schliesst Hofmann. Trotz allem träumt er von einer Welt, in der Kinder noch sagen: «Papa, ich will Bäuerin werden! Mama, ich will Bauer werden!»
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