Porträt
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Holzgedeckte Dächer – sogenannte Schindeldächer – prägen in den Schweizer Voralpen mancherorts das Bild. Sie sind das Werk einiger weniger leidenschaftlicher Handwerker, die die Tradition der Schindelmacherei lebendig halten. Einer von ihnen ist der Freiburger Tristan Ropraz.
Aus der Ferne sehen die Dächer der Chalets ganz weich aus, fast wie die sanft hügeligen Graslandschaft, in der sie stehen. Aus der Nähe betrachtet, erklären sich die augenfällige Beschaffenheit und die gerundeten Formen von selbst: Die Dächer sind mit kleinen, dünnen, dicht aneinander aufgereihten Holzbrettchen gedeckt, die sich gegenseitig überlappen. In der Schweiz sind solche «Schindeldächer» typisch für die Freiburger und Waadtländer Voralpen. Anzutreffen sind sie aber auch anderswo.
Die Schindelmacherei zählt zu den lebendigen Traditionen der Schweiz. Gleichzeitig beherrschen nur noch wenige diese Handwerkskunst. In der Westschweiz sind rund ein Dutzend Schindelmacher und Schindelmacherinnen am Werk. Die meisten von ihnen waren zunächst Zimmerleute oder Schreiner, bis sie die Leidenschaft in die traditionsreiche Nische führte. Oder die Berufung: Manchmal wollen Meister des Fachs ihr Wissen und Können weitergeben. So war es bei Tristan Ropraz der Fall: Der ausgebildete Zimmermann wurde vor sechs Jahren in die Kunst des Schindelmachens eingeführt.
Wir treffen Tristan Ropraz an einem kühlen Tag in seiner Werkstatt in Sorens (FR) an. Blickt er nach draussen, sieht er den Moléson, einen der Freiburger Hausberge. Blickt der 26-Jährige auf die anstehende Arbeit, sieht er Berge von Holz, das es zu spalten gilt. Mit dem Holzschlägel und dem Spalteisen spaltet er sogenannte Weggen – Schindelklötze – in sechs Millimeter dicke Schindeln. Diese legt er in der Reihenfolge, in der er sie gespalten hat, zusammen und beginnt wieder von vorne. Den ganzen Tag lang. Und die ganze Woche, von Mitte November bis Mitte April. Das ist die Zeit der Herstellung.
«Im Winter erholen sich Körper und Geist, man muss nicht mehr überlegen», sagt der traditionsbewusste Mann: «Man spaltet die Weggen, bindet sie zusammen und stapelt sie draussen.» Er sieht in dieser Arbeit nichts Langweiliges oder Mühseliges. Die Handgriffe sind zwar immer gleich, aber jede Schindel ist anders. «Man muss Augen an den Fingern haben, wie mein Lehrmeister sagt.» Die Schwierigkeit besteht darin, das Holz in Laufrichtung der Fasern zu spalten, um diese nicht zu beschädigen. So bleibt das Holz und damit das zukünftige Dach dicht. Jeder Schlag mit dem Holzschlägel muss sitzen.
Die Schindelmacher leben im Rhythmus der Jahreszeiten. «Wir sind wie Murmeltiere. Wenn es kalt wird, ziehen wir uns zurück, und wenn es warm wird, kommen wir wieder heraus», lacht der junge Mann mit dem sonnengebräunten Gesicht. Im Winter werden Schindeln gefertigt, im Frühling und im Herbst geht es auf die Baustellen im Tiefland, im Sommer auf die Baustellen in den Bergen. «In der warmen Jahreszeit nageln wir pausenlos»: Ein Schindelmacher schlägt jedes Jahr zwischen 150 und 200 Kilogramm Nägel ein, rund 1000 Nägel auf drei Quadratmetern Schindeln. «Aber man darf nicht zu viel rechnen, sonst wird man verrückt», sagt Tristan Ropraz.
Das Jahr der Schindelmacher beginnt im Herbst. Dann wählen sie im Wald die Bäume aus, die sie für die Herstellung der Schindeln brauchen. Im Kanton Freiburg handelt es sich dabei ausschliesslich um Fichten. «Das ist der schönste Moment, der Anfang der ganzen Arbeit», schwärmt Tristan Ropraz.
Die Suche nach geeigneten Bäumen beginnt auf 1000 Metern Höhe. «Je höher oben die Bäume wachsen, desto weniger Nährstoffe sind für sie vorhanden – und desto langsamer wachsen sie; das ergibt trockenere und langlebigere Schindeln.» Die Schindelmacher bevorzugen Bäume von den Talböden und von windgeschützten Schattenlagen mit geradem Wuchs. Nur eine Fichte von tausend eigne sich für das Spalten, sagt Tristan Ropraz. Fürs laufende Jahr wird er 25 bis 30 Bäume benötigen. «Ich habe grosse Achtung vor diesen Pflanzen. Sie waren lange vor uns da und werden auch noch lange nach uns auf den Dächern liegen», sagt er. Und: «Mit Holz zu arbeiten, das 150 Jahre alt ist, ist eine Ehre und macht demütig.» Die Bäume werden Mitte November gefällt, im letzten Viertel des abnehmenden Mondes, wenn die Säfte sich zurückgezogen haben und das Holz sich im Ruhezustand befindet. In diesem Zustand locken sie auch keine Holzschädlinge an.
«Ein Schindeldach hält 35 bis 40 Jahre. Das entspricht etwa der beruflichen Laufbahn eines Schindelmachers. Es kommt deshalb selten vor, dass ein Handwerker noch arbeitet, wenn eines seiner Werke erneuert werden muss.»
Während er an diesem Vormittag seine Tannenduft verströmenden Weggen spaltet, zeigt Tristan Ropraz auf einen Wald an den Hängen des Moléson. «Dieses Holz kommt von dort drüben», sagt er. «Für eine neue Skipiste wurde eine Schneise in den Wald geschlagen, darin befand sich gutes Schindelholz. Das sahen mein Schindelmachermeister und ich mit Sorge. Also sind wir hingefahren und konnten sechs Stämme retten.» Da das Holz aber zur falschen Zeit geschlagen wurde, ist es voller Saft. «Wir werden es so rasch wie möglich auslegen, damit es trocknen kann.»
«Es ist immer ein bewegender Moment, wenn ich meine Schindeln verlege», erklärt der junge Mann. Emotional sei es auch, wenn er die letzte Schindel auf dem Dachfirst eines Chalets aufgenagelt habe: «Ich setze mich hin, schaue zum Horizont und denke an diese Schindeln, von denen ich jede einzelne gefertigt und aufgenagelt habe.»
Man muss den Beruf aber nicht verklären. «Viele sehen nur die Chalets, die Ruhe und die Natur. Sie denken nicht an die Arbeit, die dahintersteckt. Die Schindelbündel steigen nicht von selbst auf das Dach. Das ist anstrengende Arbeit», sagt Ropraz, der früher als talentierter Schwinger andere ins Sägemehl legte. Ausserdem sei es auch nicht einfach, vom Schindelmachen zu leben. Der Preis für den Quadratmeter liegt bei rund 175 Franken und beinhaltet das Holz, die Anfertigung, den Transport und das Verlegen. Sorgfältig ausgeführt, hält ein Schindeldach im Mittel für 35 bis 40 Jahre.
Der junge Schindelmacher, über den seine Freunde wegen seines aus der Zeit gefallenen Berufs spotteten, ist davon überzeugt, ein Handwerk mit Zukunft auszuüben: «Heute reden alle über Nachhaltigkeit. Holz ist ein ökologischer Baustoff, und unsere Bäume stammen aus nahegelegenen Wäldern des Greyerzerlandes. Besser kann man es fast nicht machen.»
*Martine Brocard ist Redaktorin der Zeitschrift «Die Alpen» des Schweizerischen Alpenclubs (SAC), wo eine erste Version dieser Reportage erschienen ist.
Kommentare
Kommentare :
Merci pour ce bel article. J'admire toutes ces personnes qui s'efforcent de prolonger de si belles traditions. J'adorais les chalets mais par cette connaissance du travail et respect du bois, c'est avec une envie plus grande que j'aimerais y vivre avec une construction aussi artistique et chaleureuse.