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Zu spät eingetroffene Wahlzettel stellen Schweizer Gerichte vor die Frage, wie viel der Staat machen muss, um Auslandschweizern und Auslandschweizerinnen das Stimmrecht zu ermöglichen. Laut Staatsrechtlern verspricht das Gesetz etwas, das faktisch gar nicht machbar ist.
Wären die Stimmen aus der Fünften Schweiz rechtzeitig eingegangen, wäre bei den jüngsten Ständeratswahlen im Kanton Tessin wohl Filippo Lombardi (CVP) gewählt worden statt seiner sozialdemokratischen Konkurrentin Marina Carobbio. Das kantonale Verwaltungs- sowie das Bundesgericht befasst sich deshalb mit der Angelegenheit.
Im Fokus stehen dabei die Schwierigkeiten beim Wählen per Brief. Nur: «Was im Ausland postalisch passiert, ist nicht von den Schweizer Behörden zu verantworten», sagt dazu der emeritierte Rechtsprofessor und Experte für Stimmrechtsfragen Pierre Tschannen. Will heissen: Trifft das – rechtzeitig verschickte – Stimmmaterial zu spät ein, so haben nach geltender Rechtsprechung die Auslandschweizerinnen und -schweizer dieses Risiko zu tragen.
Doch wie liegt der Fall, wenn – wie im Tessin – die Behörden Wahlcouverts unnötig lange herumliegen lassen oder aus Spargründen als «Economy» frankieren, was gemäss Post je nach Land bis zu 25 Tagen Sendezeit bedeutet? «Wie es sich bei Verspätungen verhält, die ihre Ursache in der Schweiz selbst haben, weiss ich nicht – da könnte es bei sehr knappem Ausgang in der Tat anders aussehen», sagt Tschannen. Die Causa Lombardi hätte also das Potenzial zum Präzedenzfall.
Auch der Staatsrechtler und Demokratie-Experte Professor Andreas Glaser von der Universität Zürich schaut gespannt auf den Ausgang des Rechtsstreits im Tessin: «In den meisten Fällen betrifft es so wenige Stimmen, dass es im Ergebnis keinen Unterschied macht. Aber in diesem Fall könnten die verspäteten Stimmen relevant sein.» 200 Couverts sind nämlich zu spät aus dem Ausland zurückgekommen – und nur 46 Stimmen lagen zwischen Lombardi und Carobbio.
«Lösen kann man das Problem letztlich nur via E-Voting – aber gegen die elektronische Stimmabgabe gibt es bekanntlich gewichtige Einwände», sagt Tschannen. Und Glaser ergänzt: «Man hat gemeint, das Problem löse sich dank E-Voting.» Die jetzige Situation finde er unbefriedigend. Einerseits sei das Auslandschweizerstimmrecht in der Verfassung verankert, andererseits könne es wegen praktischen Hürden faktisch nicht umgesetzt werden.
*Sibilla Bondolfi ist Redaktorin bei Swissinfo. Der hier veröffentlichte Text ist ein Auszug aus einem längeren Beitrag, den Sie in deutscher und französischer Sprache unter swissinfo.ch finden.
Ist die Schweiz überhaupt verpflichtet, ihren Bürgerinnen und Bürgern im Ausland das Stimm- und Wahlrecht zu ermöglichen? «Es gibt keine völkerrechtliche Pflicht, Auslandsbürgern das Stimmrecht im Heimatland zu ermöglichen», sagt Tschannen. «Die Bundesverfassung indessen verpflichtet den Bund, Vorschriften über die Rechte und Pflichten der Auslandschweizer zu erlassen, namentlich in Bezug auf die politischen Rechte.»
Damit ergibt sich implizit aus der Bundesverfassung, dass Auslandschweizerinnen und -schweizer auf Bundesebene stimm- und wahlberechtigt sind. Das Stimm- und Wahlrecht ist auch im Auslandschweizergesetz verankert. Dieses hält fest, dass die Stimmabgabe persönlich, brieflich oder, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, elektronisch erfolgen kann.
«Die Schweiz leistet sich mit dem uneingeschränkten Stimm- und Wahlrecht einen Luxus zu Gunsten der Auslandsbürger», sagt Glaser. «Weil die Schweiz so grosszügig das Stimmrecht vorsieht, darf sie ihren Auslandsbürgern nicht etwas vorspiegeln, sondern muss das Stimmrecht gewährleisten», sagt Glaser. «Aber andererseits stossen wir an die Grenzen der Machbarkeit.»
«Ich sehe das Auslandschweizerstimmrecht kritisch und bin damit nicht allein», sagt dagegen Tschannen. Die Politik werde sich zwar hüten, etwas zu ändern, denn die politischen Rechte der Auslandschweizer seien ein Tabu. Trotzdem sage er: «Das Auslandbürgerstimmrecht widerspricht dem demokratischen Fundamentalprinzip, wonach an Wahlen und Abstimmungen eines Gemeinwesens nur teilnehmen darf, wer von den Beschlüssen eben dieses Gemeinwesens unmittelbar betroffen ist.»
Kommentare
Kommentare :
Viele Bürger ziehen auch wieder zurück in die Schweiz.
Dass man aber so schlecht behandelt wird und so wenig Respekt gegenüber den/unseren Bürgerrechte gezeigt wird, ist höchst fragwürdig und bedenklich für eine moderne Schweiz und noch viel fragwürdiger für die politische Schweiz. Ein sehr ähnliches, leidiges und trauriges Thema für uns Auslandschweizer ist die Unmöglichkeit, eine heimische Bankverbindung im Heimatland zu er-/behalten. Es wäre sehr angebracht, wenn sich diese Organisation viel mehr, energischer und wirkungsvoller für ihre Mitglieder, die Auslandschweizer, einsetzen würde. Was hier abgeht, ist der Schweiz nicht gebührend.