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«Il est arrivé perdu dans un manteau de laine. Sa valise à mes pieds, il a retiré son bonnet. Visage occidental. Yeux sombres.» Mit diesen Worten beginnt Elisa Dusapin ihren Roman «Hiver à Sokcho» und entführt den Leser sogleich in die Ferne. Wer ist dieser Mann, der sich mitten im Winter in den südkoreanischen Badeort verirrt?
Schauplatz ist die Hafenstadt Sokcho nahe der Grenze zu Nordkorea. Die junge Ich-Erzählerin ist nach ihrem universitären Studium an ihren Geburtsort zurückgekehrt und arbeitet dort in einem kleinen Hotel. Hier logiert nun Kerrand, ein französischer Comic-Zeichner, der auf der Suche nach Inspirationen zu einer neuen Geschichte ist. Sie nähern sich einander – allerdings aus unterschiedlichen Interessen – und unternehmen gemeinsame Ausflüge wie an die Grenze zwischen Süd- und Nordkorea oder durchstreifen die winterlich kalte Stadt, in der alles still zu stehen und zu warten scheint.
Die Geschichte hält den Leser bis zur letzten Seite im Bann. Fragen tauchen auf. Sucht die Protagonistin in Kerrand, der fast doppelt so alt ist wie sie, ihren unbekannten Vater, der ebenfalls aus Frankreich stammte, oder einen neuen Liebhaber? Wie kann sie sich von ihrer Mutter lösen, die Fischhändlerin und im Besitz der raren Lizenz ist, den potenziell hochgiftigen Fugu-Fisch zuzubereiten? Die Erzählerin möchte nach Frankreich reisen, eigenständig sein und zu sich selbst finden. Können ihr die Zeichnungen von Kerrand dabei helfen?
Mit wenigen Worten skizziert die Autorin das langweilige Leben in der Küstenstadt. Sie zeichnet ihre Figuren, wie der Comic-Zeichner mit fliessenden Pinselstrichen seine Figuren umreisst. Geschickt flicht sie aktuelle Themen ein wie den Koreakonflikt oder die Schönheitsoperationen, denen sich junge Koreaner unterziehen, um sich westlichere Gesichtszüge anzueignen. Die Sprache ist klar, mit den kurzen Sätzen fast protokollarisch und glänzt mit einem reichen, gewählten Wortschatz. Ein kleines Meisterwerk – wunderbar behutsam erzählt.
Elisa Shua Dusapin, 1992 als Tochter einer Südkoreanerin und eines Franzosen geboren, wuchs in Paris und Porrentruy im schweizerischen Jura auf und schloss 2014 das Literaturinstitut in Biel ab. 2016 wurde sie mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnet, der alle zwei Jahre abwechselnd an ein Erstlingswerk in deutscher oder französischer Sprache verliehen wird. «Hiver à Sokcho» ist ihr erster Roman. Bereits ins Koreanische übersetzt, wird er bald auf Spanisch erscheinen. Eine deutsche Ausgabe ist noch nicht geplant.
Elisa Shua Dusapin: «Hiver à Sokcho», Édition Zoé 2016, Seiten 144; CHF 22.–
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