Literaturserie
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Auf der ganzen Welt zu Hause, geht Alexandra Lavizzari als Autorin ihren eigenen Weg.
Sie ist eine Auslandschweizerin per excellence, die am 11. August 1953 in Basel geborene Alexandra Lavizzari. Als hätte sie sich gezielt darauf vorbereitet, studierte sie Ethnologie und Islamwissenschaft, ehe sie ab 1980 als Ehefrau eines Schweizer Diplomaten – und Mutter von drei Kindern! – in Kathmandu, in Islamabad, in Bangkok und zuletzt zehn Jahre in Rom lebte, ehe sie sich 2008 mit ihrem zweiten Lebenspartner, einem britischen Germanisten, im ausgemusterten Bahnhof von Bishops Lydeard im englischen Somerset niederliess.
Einen Bezug zu ihren orientalischen Aufenthalten haben einzig die Artikel und Skizzen, die sie früh in der «NZZ» veröffentlichte, und ihr erstes literarisches Buch von 1992: «Warqa und Gulschah», die bisher einzige deutsche Übersetzung eines Werks des persischen Dichters Ayyuqi. Sonst aber öffnet ihr literarisches Schreiben Welten, die von einem persönlichen Umgang mit Dichtung, Kultur und Geschichte und – je länger, je deutlicher – von einer vitalen Fantasie und einer stupenden assoziativen Sprachkraft zeugen. So schuf sie 2001 mit «Gwen John – Rodins kleine Muse» ein bewegendes Romanporträt der walisischen Malerin Gwendolen Mary John (1876–1939), während sie 2008 und 2009 in «Annemarie Schwarzenbach und Carson McCullers» und «Glanz und Schatten. Die Freundschaft von Truman Capote und Harper Lee» einfühlsam ungewöhnlichen Literaten-Beziehungen nachging.
Erstmals Mut zu eigener Erfindung hatte Alexandra Lavizzari in «Ein Sommer» von 1999, einer Novelle um ein junges Mädchen, das seine Mutter ersticht. Sehr viel überzeugender war dann 2007 «Wenn ich wüsste wohin». Da flossen eigene Lebenserfahrungen in einen Roman ein, der ganz unspektakulär die Lebenskrise einer Fünfzigjährigen aufzeigt, die auf einmal wieder Schmetterlinge im Bauch spürt. Der Erzählband «Flucht aus dem Irisgarten» deutete 2010 die Wende hin zum Krimi an. Unversehens konnten sich da Abgründe öffnen, die das Geschehen ins Surreale wendeten. Ausgewachsene Kriminalromane in einem anspruchsvollen literarischen Sinn waren dann 2012 «Mädchen IV mit Leguan» – der Monolog einer jungen Frau, die allmählich das seelische Trauma überwindet, das von einem sexuellen Missbrauch herrührt – und 2013 «Somerset», wo es vor dem Hintergrund einer sich nach und nach als Verbrechersyndikat entpuppenden Apfelschaumwein-Produktionsgenossenschaft um eine Mutter geht, die ihre Tochter verzweifelt vor dem Verhängnis zu retten sucht. Ein Buch, das seine Authentizität nicht zuletzt von einer Landschaft bezieht, deren Schönheit, aber auch Unheimlichkeit sich die Autorin seit Jahren selbst aussetzt.
Als sei ihre Reiselust zumindest literarisch neu erwacht, spielt Lavizzaris jüngster, 2015 erschienener Roman «Vesals Vermächtnis», in die Zeit der Renaissance zurückversetzt, in Griechenland, Venedig und an weiteren Stationen zwischen der Poebene, dem Gotthard und Basel. Die Titelfigur, der berühmte Anatom Vesalius, stirbt gleich zu Beginn des Buches, aber wie ein Virus infiziert seine karge Hinterlassenschaft einen venezianischen Goldschmied mit einer aufklärerischen Passion, die ihn nach vielerlei dramatischen Abenteuern dazu bringt, auf den Spuren des Verstorbenen weiter zu forschen. Anschaulicher, packender und atmosphärischer als in diesem Roman einer Reise zu sich selbst hat Alexandra Lavizzari noch nie geschrieben, und es scheint, als habe sie damit nach Reisen und Aufenthalten in der ganzen Welt auch sich selbst als Autorin und Menschengestalterin endgültig gefunden.
«Der Boden ist weg und ich falle, falle, falle, bis ich an der erstbesten Erinnerung hängen bleibe. Meist ist es die Tätowierung. Sie erschreckt mich, ich will weiterfallen, tiefer. Niemand fängt mich auf und niemand ahnt, dass ich jetzt mit fremden Kindern ins Wasser tauche, auf dem die Asche der Toten schwimmt.»
Zytglogge-Verlag, 2010
Bibliografie: Alexandra Lavizzaris Bücher sind in den Verlagen Zytglogge, Basel, und Edition Ebersbach, Berlin, greifbar.
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