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Poetische Nachrufe auf einsam Verstorbene

08.12.2023 – Beat Mazenauer

Begräbnisse sind traurig, erst recht, wenn niemand daran Anteil nimmt, weil ein Mensch ohne Angehörige oder Freunde verstarb. In der Stadt Zürich geschieht dies mehrfach jährlich. Die Betroffenen erhalten dann eine schlichte Bestattung im Gemeinschaftsgrab. Seit ein paar Jahren geschieht dies aber nicht mehr ganz ohne Anteilnahme. 2017 brachte die Dichterin Melanie Katz ein holländisches Projekt nach Zürich: «Das einsame Begräbnis». Namhafte Dichterinnen und Dichter begleiten einsam Verstorbene mit einem poetischen Nachruf auf ihrem letzten Gang und verabschieden sie in Würde. 37 der aus diesem Anlass entstandene Gedichte sind nun in einem Lesebuch dokumentiert, ergänzt um essayistische Texte über Einsamkeit, Tod und Bestattung.

Melanie Katz (Hg.): «Die einsamen Begräbnisse» Limmat Verlag 216 Seiten, 32 Franken

Der Dichter, schreibt Alexander Estis, reiht sich mit seiner Arbeit behutsam ein in den «Chor der Einsamkeiten». Wer einsam stirbt, hinterlässt oft «kleine schwarze Löcher», bemerkt Nathalie Schmid, welche durch Nachforschungen gefüllt werden müssen. Zu jedem der Gedichte gehört deshalb im Regelfall ein Bericht, in dem die Dichterinnen und Dichter erzählen, wie sie nach spärlichen Informationen suchten, die von den Verstorbenen Zeugnis geben. In vielen Fällen erwies sich dies als ein schwieriges Unterfangen. «Wie also durch diese Einsamkeit hindurch sprechen, ohne den Tatsachen zu widersprechen?», fragt Martin Bieri.

Das von Melanie Katz herausgegebene Buch gibt darauf eine Antwort. Es umfasst ganz unterschiedliche Gedichte und Berichte, die manchmal flüchtig und «notdürftig» ausfallen. «Wir wissen wenig über dich, / eigentlich nichts» beginnt Klaus Merz seinen Beitrag. Manchmal hat sich aber dennoch jemand gefunden, der etwas zu berichten wusste, was in den Nachruf einfliessen konnte. Auf diese Weise bewahrt das «einsame Begräbnis» eine Kultur des Abschieds, setzt es ein Zeichen «gelebter Solidarität», wie die Herausgeberin schreibt. Dabei entsteht ein Effekt, der das wundervoll respektvolle Projekt besonders auszeichnet. So sehr sich viele der Erinnerungen und Recherchen auf den ersten Blick gleichen, so persönlich fällt letztlich doch jedes der Porträts aus. Von allen der oft unter prekären Umständen Verstorbenen bleibt so etwas zurück, das sie einzigartig macht. Die individuelle Vielfalt dieses Chors wirft einen Schatten auf unsere oft fürchterlich betriebsame, zugleich unachtsame Gesellschaft. «Stille und Kraft sind kein Widerspruch», klingt dem eine Zeile von Michael Fehr nach.

BEAT MAZENAUER

https://einsamesbegraebnis.ch/

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