Sport
Sport
Sport
Sport
Sport
Sport
Sport
Sport
Vor einigen Jahren schien es unwahrscheinlich, dass Beat Feuz eines Tages WM-Gold gewinnen sollte – nun wirkt es fast logisch, dass er Abfahrtsweltmeister ist. Im Februar will er eine Olympiamedaille.
Es gibt all diese Geschichten und Vorgeschichten um Beat Feuz, Geschichten einer gewissen Tragik. Immer wieder war er verletzt, immer wieder stand er auf. Es sind teils legendäre Geschichten, und doch gibt es immer wieder Leute, die sie zum ersten Mal hören und darüber staunen. Solche Leute nehmen überrascht zur Kenntnis, dass Feuz immer noch Skirennen fährt, trotz unzähliger Operationen am linken Knie. Einst drohte eine Unterschenkelamputation, im Herbst 2012 musste das Knie fünfmal unter Vollnarkose durchgespült werden. Diese Zeit brachte eine derart starke Zäsur, dass Feuz seine Laufbahn heute in zwei Phasen unterteilt: die Karriere bis 2012 und die Karriere nach dem Comeback Ende 2013.
Seit vergangenem Februar ist Beat Feuz Abfahrtsweltmeister, eine spektakulärere Wendung hätte es kaum geben können. Dennoch, Feuz verneint, wenn er gefragt wird, ob sich sein Leben seither verändert habe – vielleicht erkennen ihn noch einmal etwas mehr Menschen als zuvor, aber sonst: alles gleich. Obwohl es Zeiten gab, als nichts darauf hindeutete, dass Feuz eines Tages wieder zuoberst stehen würde, schon gar nicht an Weltmeisterschaften – trotz solcher Zeiten also wird seinem neuen Status mit einer seltsamen Selbstverständlichkeit begegnet. Weltmeister? Plötzlich wussten es alle schon immer.
Feuz wuchs im Emmental auf, im Schangnau, am einzigen Skilift in der Umgebung, den sein Grossvater vor bald 60 Jahren mitgebaut hatte. Die untere Liftsektion stand auf dem Grundstück von Rudolf Heinrich Feuz, der den Hof führte, auf dem später sein Enkel aufwachsen sollte. Im Februar 1987 kam Beat zur Welt, mit knapp zwei Jahren fuhr er schon Ski, selbstverständlich – aber niemand ahnte, dass es der Beginn dieser Selbstverständlichkeiten war, die den kleinen Beat durch eine Weltkarriere begleiten sollten. Feuz wird ein feines Gespür für Schnee nachgesagt, von dem niemand so richtig zu erklären weiss, was es bedeutet. Aber Feuz sei einfach an ein Rennen gegangen und habe gewonnen, so sagte es einmal ein prägender Trainer aus Juniorzeiten, nichts einfacher als das.
Das Image des übergrossen Talents verfestigte sich umso mehr, als Feuz früh im Ruf stand, eher zu wenig als zu viel Aufwand zu betreiben. Mehrere Wegbegleiter der verschiedensten Stufen erzählen, dass er dem Krafttraining durchaus mal fern blieb, er sei im Hotelzimmer geblieben und habe gerne etwas gefuttert, tendenziell: Süssigkeiten. Als er als Juniorenweltmeister zum Training mit Weltcup-Fahrern erschien, beschied ihm der Coach Sepp Brunner, wenn Feuz nicht zehn Kilogramm abnehme, brauche er gar nicht mehr wiederzukommen. Und Jahre zuvor, wenn die schnellsten Emmentaler Buben im Herbst Kondition trainierten, sei Feuz vor allem aufgetaucht, wenn ein Spielnachmittag mit Zvieri auf dem Programm stand.
Es sind wunderbare Geschichten, wahrscheinlich nicht einmal gross ausgeschmückt, aber eben doch nur Vorgeschichten. Denn Feuz wäre nicht Weltmeister geworden, wenn er ein Minimalist wäre. Es gab unzählige Situationen, in denen er hätte aufgeben können, von Verletzungen und Rückschlägen zermürbt, schon mit neun Jahren brach er sich beim freien Fahren beide Sprunggelenke, zwischen April 2007 und Oktober 2009 absolvierte er verletzungsbedingt kein einziges Rennen, ebenso in der Saison 2012/13. Wahrscheinlich hätten es die meisten Menschen verstanden, wenn Feuz resigniert hätte – aber womöglich ist es die andere Seite dieser Selbstverständlichkeiten: dass es Feuz gar nie ernsthaft infrage stellte weiterzumachen, sofern es der Körper denn zuliesse. Als sei er es seinem Talent schuldig, weiterhin nach Gold zu streben.
Feuz führt ein anderes Leben als vor dem grössten Rückschlag im Herbst 2012. Er trainiert zum Beispiel weniger, nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Vorsicht, dem Körper zuliebe. Wenn die Kollegen in der Saisonvorbereitung fünf Tage am Stück trainieren, legt er am dritten Tag eine Pause ein. Er geht sparsam und dosiert vor, nicht nur leichten Herzens. Das grösste Ziel des Skirennsports hat er aufgegeben, den Gewinn des Gesamtweltcups. In der Saison 2011/12 verpasste er diesen Erfolg um 25 Punkte. Damals erlitt er einen knappen Monat vor Saisonende eine Knieverletzung, «da gab es einen Zwick, und am nächsten Tag war das Knie geschwollen», erzählte er einst. Doch Feuz verweigerte sich einer näheren Untersuchung, weil er ahnte, dass ihm die Ärzte ohnehin geraten hätten, sofort keine Rennen mehr zu absolvieren. Und so fuhr Feuz noch zehnmal. Dreimal stand er auf dem Podest, die Saison beendete er hinter dem späteren Serien-Gesamtsieger Marcel Hirscher auf Platz zwei. Es war eine weitere Facette der Feuz’schen Selbstverständlichkeit: um seine Chance zu kämpfen, aus dem Wissen heraus, was er mit seinem Körper schon durchgestanden hat und was er ihm zutrauen darf.
Heute weiss Feuz, dass sein Körper nicht mehr den Belastungen standhalten würde, einen Winter lang fast jedes Rennen zu fahren. Er jagt die Siege an prestigeträchtigen Orten, Wengen und Kitzbühel, Weltmeisterschaften und Olympische Spiele. Er ist zum Eintages-Spezialisten geworden und gewissermassen auch zu einem Einzelgänger – und zu einem Auslandschweizer. Wohnsitz hat er in Österreich genommen, in Aldrans, einem kleinen Ort nahe Innsbruck, in der Heimat seiner österreichischen Partnerin Katrin Triendl, einst ebenfalls Rennfahrerin, heute Physiotherapeutin.
Die Österreicher scheinen ihn zu mögen, die legendäre Austria-Schweiz-Ski-Rivalität macht vor ihm Halt, ein Gasthaus in der Region benannte etwa ein Cordon bleu nach ihm – eines mit Emmentaler Käse. Feuz wiederum pflegt seiner Freundin zu sagen, er sei nicht Österreicher, sondern Emmentaler, verwurzelt im Schangnau, dem Ursprung all der Selbstverständlichkeiten. Und so macht er sich auch in diesem Winter quasi von Österreich aus auf den Weg, für die Schweiz Medaillen zu gewinnen. Im Februar finden in Südkorea die Olympischen Winterspiele statt.
Bis Anfang Herbst lief die Vorbereitung plangemäss, man könnte sagen: keine Selbstverständlichkeit im Fall von Feuz. Immer wieder schob sich etwas dazwischen in den letzten Jahren. Es kam auch schon vor, dass er sich mit bloss einer guten handvoll Skitage im Weltcup-Zirkus zurückmeldete. «Es gibt also keine Garantie», sagte er in einem Gespräch im September. Er meinte seine Gesundheit – und schob nach: «Und es gibt keine Garantie, dass ich schnell bin.» Als wolle er der landläufigen Meinung Einhalt gebieten, dass er wie selbstverständlich in Form kommt, einfach so.
Falls er nach der Olympia-Abfahrt vom 11. Februar 2018 auf dem Podest stehen wird, werden weniger Leute seine Geschichte zum ersten Mal hören und darüber staunen. Und die meisten werden behaupten, sie hätten es doch schon immer gewusst.
Kommentare
Kommentare :