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Mit seinem Europarekord über 10 Kilometer vom Oktober 2018 in Durban zählt der Genfer Julien Wanders zu den schnellsten Langstreckenläufern der Welt. Seine Wahlheimat ist das Läuferland Kenia. Porträt eines äusserst bescheidenen Athleten.
Es ist die Geschichte eines Kindes aus einer mittelständischen Genfer Familie, das schon früh seinen Ehrgeiz entdeckte. «Ich wollte immer einer der Besten sein, im Tennis, im Fussball, in der Leichtathletik», erklärt Julien Wanders während eines Telefonanrufs aus dem kleinen kenianischen Dorf Iten, wo er schon seit vier Jahren trainiert. In seinen Jugendjahren machte er beim Laufen rasch Fortschritte und entschied sich deshalb für diesen – laut ihm – «einfachen» Sport. «Was mich bei Julien besonders beeindruckt hat, war diese klare und ehrgeizige Vision, die er schon mit 15 Jahren zum Ausdruck brachte: Er wollte in den Sport-Olymp aufsteigen, und man spürte, dass er das ernst meinte», erinnert sich sein Coach Marco Jäger, der ihn seit acht Jahren wie ein Familienmitglied begleitet.
Seit Julien Wanders am 14. Oktober 2018 bei einem Strassenrennen über 10 Kilometer einen neuen Europarekord aufstellte, ist er in den Medien präsent. Mit einer Zeit von 27:32 Minuten unterbot der 22-Jährige den Rekord aus dem Jahr 1984 und lief als Zweiter über die Ziellinie. Schneller war nur der Vizeweltmeister über 10 Kilometer, der Ugander Joshua Cheptegei, der ihn mit seinem Lauf zu dieser Spitzenleistung animierte. «In einigen Jahren kann ich vielleicht versuchen, ihn zu schlagen», analysiert der Genfer und unterstreicht damit die Bedeutung der Erfahrung; und er erklärt, es sei «zwecklos, die Dinge zu überstürzen».
Neben seinen Rekorden faszinieren an Julien Wanders sein asketischer Lebensstil und seine aussergewöhnliche Einstellung zum Laufen. Eine Einstellung, mit der er in Iten, dem Lauf-Mekka Afrikas auf 2400 Meter über Meer, das perfekte Zuhause gefunden hat. Die Grundidee bestand darin, mit den und «gegen» die ostafrikanischen Läufer zu trainieren, die ein Monopol auf Weltrekorde haben. Die zweite zentrale Idee: in einem einfachen, leistungsfördernden Umfeld zu leben. «Ich geniesse es, fliessendes Wasser und Strom zu haben! Hier freut man sich über die kleinen Dinge, und das ist förderlich für das Training. Erst unter schwierigen Bedingungen lernt man zu kämpfen. Auch einige der Kenianer, die im Laufsport erfolgreich waren und Millionen verdient haben, kommen manchmal in das Dorf zurück, um nochmals dieses einfache Leben zu spüren. Ein Leben in Luxus ist nichts für einen Läufer.»
Iten übt eine magische Anziehungskraft auf Athleten aus Afrika und dem Westen aus und bietet perfekte Laufbedingungen, bestätigt Jäger. Der Trainer verfolgt die Fortschritte seines Schützlings anhand von Telefongesprächen und Videos. So kann er auch aus der Distanz dessen Läufe analysieren. «Die Läufer trainieren die ganze Zeit in der Höhe. Das Klima ist angenehm, die Temperaturen zwischen 15 und 25 Grad. Es gibt zwar eine Regenzeit, aber es schneit nie. Ausserdem ist Julien von einer Gruppe kenianischer Profiläufer umgeben, die sich mit dem Laufen ihren Lebensunterhalt verdienen», resümiert der Schweizer Trainer. Er gibt aber zu, dass er auch immer an das denkt, was in Wanders’ Wahlheimat nicht funktionieren könnte. Er macht sich insbesondere Sorgen über die Versorgungsqualität im Fall einer Verletzung und über die politische Instabilität des Landes.
Julien Wanders hat sich in Iten in einen schmucklosen, aber leistungsfördernden Kokon gehüllt. Seine Freundin ist Kenianerin, einige seiner Laufpartner sind zu Freunden geworden. Er vergisst aber nie, woher er kommt: «Wir kommen aus verschiedenen Welten. Ich weiss, dass ich mehr besitze als sie, und sie erinnern mich daran. Aber ich lebe wie sie und versuche, sie im Rahmen meines Trainingsprogramms zu unterstützen.» So lädt der Schweizer regelmässig kenianische Läufer nach Europa ein, damit sie an Rennen teilnehmen und etwas Geld verdienen können, zum Beispiel an der Escalade de Genève, an der Wanders schon seit dem Alter von fünf Jahren teilnimmt und die er 2017 sowie 2018 gewonnen hat.
Die Einstellung der Afrikaner zum Laufen unterscheidet sich von derjenigen westlicher Sportler. «Die Läufer setzen sich keine mentale Zeitlimite. Sie laufen ohne Pulsmesser und kommen deshalb weiter. Ihre Herangehensweise ist instinktiver. Sie brauchen keine Gadgets, sie verstehen ihren Körper auch so. In Europa, wo alles zu haben ist, überlegen wir manchmal zu viel.» Der Genfer glaubt nicht an eine angeborene Überlegenheit der Afrikaner im Laufsport: «Wer dies glaubt, hat schon von vornherein verloren, denn gegen Gene hat man keine Chance. Für die Langstreckenläufer ist Training das Wichtigste. Und man kann sehr weit kommen, auch wenn man genetisch vielleicht nicht speziell dafür geschaffen ist. Ich glaube an die Anpassungsfähigkeit des Körpers.»
Marco Jäger kann deshalb für seinen Zögling anspruchsvolle Trainingseinheiten zusammenstellen. «Erfolg ist eine Kombination aus Talent und harter Arbeit. Der Trainer verlangt einen gewissen Aufwand, der den Sportler antreiben soll. Die Qualität der Leistung des Athleten zeigt sich dann darin, wie er diesen Aufwand umsetzt.» So stellte sich heraus, dass Julien Wanders sich rasch erholt und unentwegt Fortschritte macht – ganz zur Freude seines Trainers. Der Rest ist von der mentalen Stärke abhängig. «Die Leidenschaft für den Sport und der Spass am Laufen geben Julien Kraft. Für Leistungssportler sind sie unabdingbare Voraussetzungen. Ausserdem setzt er sich keine Limiten und geht so weit wie möglich.» Das Schweizer Ausnahmetalent hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Er hofft, bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2019 in Katar und an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio eine Medaille zu holen. Aber Leistungssport ist eine Lebensaufgabe und definiert sich nicht über ein oder zwei einzelne Erfolge. «Olympiasieger? Warum nicht. Dies ist aber zu eng gefasst, denn eine solche Medaille hängt von nur einem einzigen Rennen, von einem einzigen Tag ab», wendet Jäger ein, der sich mit 21 Jahren aus dem Spitzensport zurückgezogen hat. «Wenn ich laufe, versuche ich, in genau diesem Augenblick präsent zu sein», erklärt Wanders, der auch regelmässig meditiert. «Ich stelle mir vielleicht das Ziel vor, jedoch niemals die Distanz, die es noch zu überwinden gilt.»
Julien Wanders’ Tage auf dem kenianischen Hochplateau folgen immer dem gleichen Rhythmus: Der Tag beginnt um 5.30 Uhr und endet gegen 20.30 Uhr. Die Abende sind kurz, auf Ausgang und Alkohol verzichtet er komplett. Trainer Marco Jäger plant für jede Woche Trainingsläufe, Muskelaufbau, Flexibilitätstraining und Ruhetage, an denen der Langstreckenläufer zum Beispiel eine Runde Velo fährt.
Der junge Westschweizer hat ein multidisziplinäres Team im Rücken. Dazu zählen in Genf ein auf Biomechanik spezialisierter Therapeut, ein Arzt, ein Mentalcoach und ein Ernährungsberater. In Kenia stehen ihm Masseure und ein Physiotherapeut zur Seite. Unterstützt wird der Genfer, dessen jüngste Erfolge die Aufmerksamkeit mehrerer Sponsoren geweckt haben, von verschiedenen schweizerischen Strukturen und einem internationalen Management.
Julien Wanders im Interview mit Sportjournalist Jürg Wirz
Bild: Julien Wanders vor seinem bescheidenen Zuhause im kenianischen Iten. Bild Jürg Wirz (Fit-for-life)
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