Literaturserie
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Mit ihrem Erstling «Um im Februar zu sterben» rebellierte Anne-Lise Grobéty auf subtile Weise gegen die selbstzufriedene Schweiz der 1960er-Jahre.
Er war die literarische Sensation des Jahres 1969, der Roman «Pour mourir en février», der den Wettbewerb um den Prix Georges Nicole gewann und 1970 bei den Cahiers de la Renaissance Vaudoise als Buch erschien. Verfasserin war die am 21. Dezember 1949 in La Chaux-de-Fonds geborene Anne-Lise Grobéty, die den Roman mit 18 Jahren als Literaturstudentin an der Universität Neuchâtel geschrieben hatte. Presse und Publikum reagierten euphorisch, und der Dichter Maurice Chappaz gab neidlos zu: «Der Roman hat mich wie einen Anfänger auf meinen Platz verwiesen.»
Erzählt wird da aus der Optik der sensiblen 18-jährigen Aude von der Freundschaft, die sie mit der um einiges älteren Gabrielle verbindet. Eine Freundschaft, die am Widerstand der verständnislosen, spiessigen Umgebung zerbricht, obwohl die Ältere der Jüngeren hätte beibringen können, wie das Leben hätte gelebt werden können, das nun, wie der Titel andeutet, nur noch im Tod Erfüllung finden kann. Spektakulär war weniger die Handlung des Romans, aufhorchen liess die darin zum Ausdruck kommende, ins Extreme gesteigerte, schliesslich in Resignation mündende Auflehnung eines Individuums gegen die lebensfernen Konventionen und Gesetze der Gesellschaft. Etwa, wenn Aude auf die Klage ihrer Mutter, sie sei eine «aufbegehrende Natur», in ihrem Bericht antwortet mit: «Genau, aufbegehrend gegen ihr Geflüster, ihr Getuschel, ihre engherzige bürgerliche Schäbigkeit, den samstäglichen Einkaufsbummel, das Fussballspiel im Fernsehen, die nette Musik von Strauss, aber ich will doch atmen können!»
Heute, an diesem 17. Februar, möchte ich mit dem Schnee hinabsinken und auf der Strasse liegen bleiben, dort schmelzen, verschwinden, kalt und unlösbar, dem Asphalt beigemengt ... Ich möchte Spuren hinterlassen auf meinem Weg ins Innerste des glühenden Erzes, um dich wiederzufinden, meine Brandwunde!
Fünf Jahre ging es, bis Anne-Lise Grobéty, inzwischen Ehefrau und Mutter dreier Töchter und auf vielfältige Weise politisch engagiert, einen zweiten Roman vorlegte. Sein Titel «Zéro positiv» meinte die Blutgruppe, die Laurence, 28-jährig und unglücklich verheiratet, keinesfalls an ein Kind weitergeben will. Sie ergreift die Flucht, erkennt aber nach einem unerquicklichen Seitensprung in Amsterdam, dass sie weit weniger aus ihrer Ehe als vielmehr vor ihrem Alkoholismus davonlaufen wollte und dass sie sich im Grunde doch nach einem Kind sehnt.
Weibliche Lebensentwürfe, die keineswegs nur einem feministischen Schema zu folgen brauchten, dominierten auch die zwölf weiteren Romane und Erzählungen, die Anne-Lise Grobéty nebst unzähligen Rezensionen und Kolumnen bis zu ihrem frühen Tod am 5. Oktober 2010 veröffentlichte. Mit ihrer Freude am Surreal-Grotesken und dem oftmals Rätselhaften ihrer Erfindungen erinnerte sie an den nouveau roman, bekannte aber auch: «Ich schreibe nicht nur mit dem Kopf, sondern mit allen Sinnen, mit den Augen, mit den Ohren.» Am eindringlichsten lässt sie einen das im Roman «La Corde de mi» («Die C-Saite») von 2006 nachfühlen. Nicht nur in der einfühlsamen Beschreibung der Landschaft zwischen Neuchâtel und La Chaux-de-Fonds, sondern vor allem auch in der Art und Weise, wie da eine Tochter in deren letzten Lebenswochen endlich ihren längst verloren geglaubten Vater und seine tragische Lebensgeschichte kennenlernt und die Erinnerung an einen Menschen mit sich nimmt, der mit Leib und Seele der Musik verschrieben war.
Bibliografie: Deutsch ist «Um im Februar zu sterben» bei der Edition pudelundpinscher, 6682 Linescio, greifbar, französisch ist «Pour mourir en février» bei Payot, Lausanne, lieferbar.
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