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Mit voller Saugkraft voraus

08.12.2023 – Dölf Barben

Schweizer Studierende beschleunigen ihr Elektro-Rennauto in Weltrekordzeit von null auf hundert. Der Schlüssel zum Erfolg ist – ein Powersauger.

Es ist ein seltsames Spektakel. Loszischen, abbremsen. Wie einmal ein- und ausatmen. Es dauert keine drei Sekunden und das Elektro-Rennauto mit seiner Fahrerin Kate Maggetti steht wieder still. Der Bolide brauchte bloss 0,956 Sekunden und eine Strecke von etwas über zehn Metern, um eine Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde zu erreichen.

Der Elektro-Flitzer der ETH beschleunigt doppelt so schnell wie ein Formel-1-Bolide.

Studierende der ETH Zürich und der Hochschule Luzern haben damit am 12. September auf dem Gelände des Innovationsparks in Dübendorf einen Weltrekord aufgestellt. Noch nie zuvor hat ein Elektrofahrzeug schneller von null auf hundert beschleunigt. Den bisherigen Rekord von 1,461 Sekunden hatte ein Team der Universität Stuttgart vor einem Jahr aufgestellt. Das Auto, das nun im Guinness-Buch der Rekorde eingetragen wird, trägt den Namen «Mythen» – wie die beiden Berggipfel im Kanton Schwyz. Es ist, inklusive Fahrerin, nur etwa 180 Kilogramm schwer und über 300 PS stark. Alle Komponenten, von den Leiterplatten bis hin zu den vier Radnabenmotoren und dem Chassis, sind von den Studierenden selbst entwickelt worden. «Sie haben in jeder freien Minute an diesem Projekt gearbeitet», sagt Matthias Rohrer vom Akademischen Motorsportverein Zürich.

Der 2006 gegründete Verein ermöglicht es Studierenden, jedes Jahr ein neues Fahrzeug zu entwickeln und damit an Wettbewerben teilzunehmen. Die Arbeit an diesen Autos sei sehr intensiv, mache aber auch viel Spass, sagt Rohrer. Damit lasse sich «in einem hochkomplexen technischen Umfeld» theoretisches Wissen in die Praxis übertragen.

Beim Rekordversuch ging es ebenfalls um Übertragung – um die Übertragung von Kraft. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, die Kraft des Motors möglichst wirkungsvoll auf den Boden zu bringen. Ohne besondere Vorrichtungen würden die Räder durchdrehen; viel Rauch und wenig Tempo wären das Ergebnis.

Der Schlüssel zum Erfolg: möglichst wenig Masse, die angestossen werden muss, kombiniert mit möglichst viel Bodenhaftung. Um die Haftung zu erhöhen, «haben wir ein komplett neues System entwickelt», sagt Rohrer. Es ist ein Saugapparat unter dem Auto, der sich ganz knapp über der Fahrbahn befindet. «Das System ist mit einem Staubsauger vergleichbar, der sich auf dem Teppich festsaugen will.»

Der Apparat zwackt nur einen Bruchteil der Motorleistung ab, erzeugt aber einen Anpressdruck von ungefähr 180 Kilogramm. Dieser Druck kommt zum Gewicht von Fahrzeug und Fahrerin hinzu. Die Reibkraft der Reifen wird dadurch ungefähr verdoppelt.

Der springende Punkt: Ein Saugapparat wirkt bereits auf dem ersten Meter. Bei einem Null-auf-hundert-Wettbewerb ist das wesentlich. Front- und Heckflügel wie bei den Formel-1-Rennautos würden dagegen nichts bringen; diese erzeugen ihren Druck erst ab einem gewissen Tempo.

Um aus ihrem Auto noch mehr herauszuholen, haben die Studierenden eine Traktionskontrolle eingebaut. Droht ein Rad durchzurutschen, wird die Leistung augenblicklich justiert, um es zu verhindern. «So konnten wir exakt ans Limit gehen», sagt Rohrer. Und schliesslich werden die Reifen vor dem Start aufgewärmt – so haften sie noch besser.

Mit dieser technischen Meisterleistung ist es gelungen, den bisherigen Beschleunigungsrekord sehr deutlich zu unterbieten. «Wir hoffen», sagt Rohrer, «dass wir ihn nicht so schnell wieder abgeben müssen.»

Es gilt, die Kraft des Motors auf den Boden zu bringen. Drehen die Räder durch, wäre das Ergebnis bloss viel Rauch und wenig Tempo.

Von null auf hundert in 0,956 Sekunden ist beachtlich. Formel-1-Boliden, Elektro-Rennautos und starke Sportwagen benötigen deutlich über zwei Sekunden dafür. Und doch gibt es Fahrzeuge, die noch schneller sind: Die sogenannten Dragster. Mit Motoren von 10 000 PS und riesigen Hinterrädern schaffen sie es in 0,6 Sekunden.

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Wie extrem solche Beschleunigungen sind, zeigt ein Gedankenspiel. Was wäre, wenn der «Mythen»-Flitzer nicht abbremsen müsste, sondern einfach immer weiter beschleunigen könnte? Zum Beispiel so lange, wie es dauert, um diesen Text zu lesen? Nach 150 Sekunden wäre Fahrerin Kate Maggetti bereits mit einer Geschwindigkeit von fast 16 000 Kilometern pro Stunde unterwegs und hätte die Schweiz – wäre sie in Genf gestartet – bei St. Margrethen am Bodensee gerade eben verlassen.

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Kommentare :

  • user
    Thomas Schneider, Bern/Schweiz 08.12.2023 um 12:31
    Spannend, dieses Saugprinzip! Das hat mich sofort an den Formel-1-Rennwagen von Lotus Ende der 70er-Jahre erinnert: Das Lotus-Rennteam hatte damals herunterklappbare seitliche Schürzen aus Hartgummi entwickelt, die auf dem Boden schleiften. Diese haben den Luftraum unter dem Fahrzeug abgedichtet, um einen maximalen Anpressdruck zu erzeugen – dreimal höher als bei den übrigen Rennwagen. Die bessere Haftung erlaubte höhere Geschwindigkeiten in Kurven. Der Lotus 78 war das schnellste Auto der Saison. Aber eben: im Stand und bei tiefen Geschwindigkeiten bringt das natürlich nichts. Der Saugapparat ist da die logische Weiterentwicklung. Genial, was die Studierenden da erschaffen haben!
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