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Angesichts des Klimawandels wird vermehrt die in Seen gespeicherte Energie genutzt. So wird in Genf künftig eine der grössten hydrothermischen Anlagen der Welt Kälte und Wärme für Hunderte von Gebäuden liefern. Das Potenzial der Schweizer Seen ist beachtlich, ihr Zustand jedoch zugleich besorgniserregend.
Wärmetechniker Fabrice Malla nimmt uns mit an einen Ort 17 Meter unter dem Wasserspiegel des Genfersees bei Vengeron. Wir finden uns in einer 70 Meter langen Kathedrale aus Beton wieder. 2024 wird dieses Reservoir mit Wasser gefüllt werden, mit Wasser, das fast für drei olympische Schwimmbecken ausreichen würde. Das kalte Wasser wird zwei Kilometer vom Ufer entfernt aus 45 Meter Tiefe abgepumpt werden. Ab 2024 werden elektrische Pumpen das Wasser auf zwei Netze verteilen. Das erste ist ein geschlossener Regelkreis und wird einige Gebäude im Umfeld des Flughafens versorgen. Das zweite Netz wird direkt Gebäude im Stadtzentrum kühlen. Die von Services Industriels de Genève (SIG) eingebauten Wärmepumpen in 300 Gebäuden werden es zudem ermöglichen, Wärme aus dem Wasser zu extrahieren und zu verstärken, also die Gebäude zu beheizen.
«Wir werden die Hälfte des Kantons mit Kälte und Wärme versorgen.»
Wärmetechniker
Damit sind wir in der Welt der Hydrothermie angekommen, in der kaltes Wasser Wärme generiert. Fabrice Malla verweist auf Hydrothermie-Grossprojekte in Toronto und Honolulu. Die auf 100 Millionen Franken budgetierte Genfer Anlage dürfte aber zu einem der grössten hydrothermischen Netze der Welt werden. «Wir werden die Hälfte des Kantons mit Kälte und Wärme versorgen», sagt Malla, Ingenieur bei SIG. Die Anlage werde den Treibhausgasausstoss drastisch senken. Der für den Betrieb des Netztes benötigte Strom werde aus Wasserkraft stammen, sagt SIG-Sprecherin Véronique Tanerg Henneberg. Das ist ein wichtiger Aspekt, zu dem Martin Schmid, Forscher der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag), sagt: «Wärmepumpen verbrauchen Strom, der uns nicht in genügender Menge zur Verfügung steht. Die Abkehr von der Kernenergie bedingt einen Ausbau der Solar- und die Windenergie.» Aufgrund der Klimaerwärmung wird die sommerliche Nachfrage nach Kälte steigen. Diejenige nach Wärme hingegen wird dank besserer Wärmedämmung der Häuser sinken.
Die Anfänge der Hydrothermie in der Schweiz liegen in den 1930er-Jahren. Damals wurden Hunderte kleiner Anlagen fürs Beheizen von Gebäuden erstellt. Heute werden hingegen Grossprojekte in urbanen Zentren mit Seeanschluss vorangetrieben, so in Zug und Zürich. Und Luzern will mit Energie aus dem Vierwaldstättersee 3700 Haushalte im Zentrum energetisch versorgen. In Horw kommen weitere 6800 Haushalte dazu. Die Stadt Biel schliesslich, möchte ab Herbst 2022 hydrothermische Energie nutzen und will damit den CO2-Ausstoss um 80 Prozent reduzieren.
Die Energieressourcen der Schweizer Seen sind eine Art blaues Gold. Von den Zahlen könnte einem schwindlig werden. Laut Berechnungen der Eawag beträgt der gesamte jährliche Energieverbrauch der Schweiz ungefähr 820 Petajoule, das heisst 236 Terawattstunden (das Atomkraftwerk Gösgen produzierte 2021 rund 7,9 Terawattstunden Strom). Etwa die Hälfte dieser Energie wird für das Beheizen von Gebäuden und für industrielle Prozesse verwendet – und aus Gas oder Heizöl gewonnen.
Das bedeutet, dass allein der Genfersee unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben bezüglich Hydrothermie theoretisch fast ein Drittel des jährlichen Energieverbrauchs der Schweiz liefern könnte. «Die Energie aus den Seen wird 30 Prozent unseres Heizbedarfs decken. Etwa jedes dritte Gebäude in einem dicht besiedelten Gebiet, das nahe genug an einem See liegt, wird von einem Fernwärmenetz profitieren, das mit erneuerbaren Energien versorgt wird, darunter auch die Hydrothermie», vermutet François Maréchal, EPFL-Professor und Spezialist für Energiesysteme. Der Forscher nennt die Hydrothermie eine «Super-Ressource, über die jedoch kaum gesprochen wird». Die Schweiz habe in dem Bereich jedoch einen Vorsprung, merkt Martin Schmid an.
Es bleibt die Frage nach den Auswirkungen dieser Verfahren, denn das entnommene Wasser wird – leicht abgekühlt oder leicht erwärmt – in die natürlichen Gewässer zurückgeführt. Im Hydrothermie-Kreislauf kann zum Beispiel Wasser, das mit 6°C aus dem Genfersee entnommen wurde, mit 3°C in die Rhone eingeleitet werden, die nur 1,5°C aufweist. Und im Sommer würde Wasser bei 8 °C am Seegrund entnommen und mit 13°C in ein fliessendes Oberflächengewässer eingeleitet, das bis zu 20 °C warm sein kann. Alle Studien dazu zeigen in dieselbe Richtung: Auch wenn der gesamte Wärme- und Kältebedarf der Schweiz aus den Seen gedeckt würde, wäre der Einfluss auf die Gewässer aufgrund der geringen Temperaturunterschiede zwischen abgepumptem und wieder eingeleitetem Wasser gering bis nicht existent. «Damit die Temperatur des Genfersees um nur ein Grad verändert würde, bräuchte es 100 Kraftwerke wie das in Vengeron», sagt Fabrice Malla.
«Eingriffe ins natürliche Gleichgewicht sind immer riskant.»
Pro Natura
In der Schweiz gelten Regeln. So darf die Temperatur eines Wasserlaufs in einem Forellengebiet um nicht mehr als 1,5 °C schwanken. «Werden die rechtlichen Vorgaben ordnungsgemäss berücksichtigt, ist die Nutzung hydrothermischer Energie grundsätzlich möglich», sagt Nicolas Wüthrich von Pro Natura. Das ohnehin bestehende Problem ist die Erwärmung der Seen im Zuge des Klimawandels. Im Genfersee verhindern milde Winter seit zehn Jahren die Durchmischung der tiefen Wasserschichten, denen ohne Sauerstoff der biologische Tod droht. Das Phänomen behindert auch die Erzeugung von Kälte aus Hydrothermie. Steigende Wassertemperaturen fördern ausserdem die Verbreitung invasiver Arten. Dies ist etwa bei der kleinen Quagga-Dreikantmuschel der Fall, deren Larven in die Trinkwasser- und Hydrothermie-Netze eindringen, was eine Chlorbehandlung erfordert. Unbehagen löst auch die Gefahr aus, dass Wasser, welches weit weg von der Entnahmestelle wieder eingeleitet wird, Nähr- und Schadstoffe dorthin transportieren könnte, hält die Eawag fest.
Insbesondere in Flüssen und Bächen können höhere Temperaturen gewisse Tierarten bedrohen, befürchtet Pro Natura. So kann etwa die Äsche bei Temperaturen über 25 °C kaum überleben. «Somit wird die Einspeisung grosser Mengen aufgewärmten Kühlwassers in Wasserläufe eine heikle Sache.» Die Ufer von Wasserläufen gut zu beschatten, würde laut Pro Natura helfen, die Temperaturen tief zu halten. Im Winter könnte die Einspeisung kälteren Wassers aus hydrothermischen Heizungen sogar einen positiven Effekt haben. «Eingriffe ins natürliche Gleichgewicht sind jedoch immer riskant», warnt Nicolas Wüthrich.
Kommentare
Kommentare :
Interesting. I have two remarks/questions:
- Is there a push for nuclear energy (Switzerland doesn’t have the space for adequate wind and solar power generation - nor are they really ‘green’)?
And, can CH rely on the neighbors for power supply (they all struggle)?
- Additional trees and agriculture need CO2 (CO2 really isn’t the main green house gas). Concentrate on pollution.