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Mit dem Debütroman «Blutbuch» überzeugte Kim de l’Horizon in diesem Jahr die Jury sowohl des Schweizer wie des Deutschen Buchpreises: Mit der ebenso exzessiven wie reflexiven Spurensuche nach den gesellschaftlichen Normen und der eigenen non-binären Identität gewann Kim de l’Horizon beide Auszeichnungen.
Kim de l’Horizons Buch bewegt sich zwischen zwei Elementen. Zum einen ist da das Stämmige, Bodenständige, das sich in der Blutbuche manifestiert, die der Urgrossvater im heimischen Garten gepflanzt hatte, damals, als die Welt noch in Ordnung schien und es einfach zwei Geschlechter gab. Mit dem Stämmigen kontrastiert das Fluide, Entgrenzende, das Kim de l’Horizon mit einer Eigenheit der berndeutschen Mundart an der «Grossmeer» festmacht, der ozeanischen Grossmutter, der sich das erzählende Ich nahe fühlt, auch wenn sie ihm nicht ganz geheuer ist. An sie, die an Demenz leidet, gerichtet, schreibt es sich seinen Kampf mit dem Erinnern und dem Vergessen, der Scham und der Begierde, der Angst und der allgegenwärtig drohenden Gewalt von der Seele. «Ich töte meine Eltern nicht», heisst es einmal: «Ich bringe meine Mütter zur Welt» – und mit ihnen sich selbst.
In der weiblichen Familientradition, die von Vernachlässigung und Unterdrückung, aber auch von Eigensinn und Widerstand erzählt, fühlt sich das erzählende Ich besser aufgehoben als in der männlichen Geschichte der Namensgeber. So sammelt es die «vererbten Wunden» ein, um darin die eigene queere Existenz zu verankern. Dabei melden sich auch nagende Selbstzweifel, die auf das Schreiben ausstrahlen. Wie beginnen, und wo enden? Mehrfach setzt das Ich zu seinem Text an, um sich dann doch allzu willig wegtreiben zu lassen von seiner «ausgeprägten Libido», die Befriedigung in der Selbsterniedrigung findet.
«Blutbuch» ist kein leicht zugängliches Buch. Die vitale, exaltierte und stellenweise auch «schwubulierende» Autofiktion ringt mit der Sprache um einen Weg heraus aus den familiären und gesellschaftlichen Zwängen. Sie bewegt sich auf einem schmalen Grat. Mit schnellen Wechseln in der mal verletzlichen, mal sachlichen und mal, wie es einmal heisst, «aufgekratzten Erzählstimme» erzeugt Kim de l’Horizon eine sprachliche Intensität, die den Text trägt und beglaubigt. De l’Horizons Sprache stösst sich am Brüchigen der Existenz und verflüssigt die traditionelle Ordnung der Dinge auf eindrückliche Weise.
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