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Der Bundesrat stellte sich nach anfänglichem Zögern entschlossen hinter alle EU-Sanktionen gegen Russland. Dies hat eine politische Debatte zur Neutralität der Schweiz entfacht.
Der Angriff Russlands auf ein unabhängiges europäisches Land sei «völkerrechtlich, politisch und moralisch» nicht hinzunehmen, erklärte Bundespräsident Ignazio Cassis vier Tage nach Kriegsausbruch Ende Februar vor den Medien. «Einem Aggressor in die Hände zu spielen, ist nicht neutral.» Mit diesen Worten begründete er, weshalb sich die Schweiz ohne Abstriche den harten Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union (EU) gegen Russland anschloss. Das waren neue Töne: Bislang hatte sich der Bundesrat darauf beschränkt, lediglich die Umgehung von Massnahmen durch Russland zu verhindern. 2014, nach der Annexion der Krim, hatte es die Schweizer Regierung mit Verweis auf die Neutralität noch abgelehnt, EU-Sanktionen direkt anzuwenden.
«Einem Aggressor in die Hände zu spielen, ist nicht neutral.»
Bundespräsident
Diese Kehrtwende aus Bern liess weltweit aufhorchen. Die «New York Times» titelte gar, die Schweiz gebe ihre Tradition der Neutralität auf. Das sei keineswegs der Fall, versichert das eidgenössische Aussendepartement EDA auf seiner Webseite: Weil die Schweiz keine Kriegspartei militärisch begünstige, befolge sie «die Neutralität im engeren Sinne» nach wie vor. Gemeint ist damit das sogenannte Neutralitätsrecht: Gemäss dem Haager Abkommen von 1907 verpflichten sich neutrale Staaten dazu, nicht an Kriegen teilzunehmen. Auch sollten bei Waffenlieferungen alle Kriegsparteien gleich behandelt werden.
In der Ausgestaltung ihrer Neutralitätspolitik ist die Schweiz hingegen nicht an internationale Abkommen gebunden. Die Bundesverfassung hält dazu einzig fest, dass Bundesrat und Parlament «Massnahmen zur Wahrung der Neutralität der Schweiz» treffen. Wie diese konkret aussehen, hängt im Einzelfall von der politischen Beurteilung der Lage ab. Gemäss dem Historiker Hans-Ulrich Jost war die Neutralität der Schweiz «schon immer dehn- und knetbar wie ein Kaugummi», wie er in einem Interview mit der «SonntagsZeitung» sagte.
Jost verwies als Beispiel auf den Zweiten Weltkrieg, als sich die Schweiz «praktisch in die deutsche Kriegswirtschaft integrierte». Damals gab man Deutschland sogar Kredite, um Munition und Waffen in der Schweiz zu kaufen. Weil die Eidgenossenschaft wirtschaftlich und finanziell stark mit dem Ausland verbunden ist, sei der «Mythos» der Neutralität mit der realen Politik oft nicht kompatibel. Insofern gebe es keine «ideale Neutralität», gibt der Historiker zu bedenken.
Die Vereinbarkeit der helvetischen Neutralität mit der Realpolitik steht auch beim Ukraine-Krieg zur Debatte. Die SVP kritisiert, mit der Übernahme der Wirtschaftssanktionen gegen Russland habe sich die Schweiz zur «Kriegspartei» gemacht. Die rechtskonservative Partei plant deshalb eine Volksinitiative, mit der eine «integrale Neutralität» in der Bundesverfassung verankert werden soll. Die anderen Parteien hingegen sehen angesichts des «Angriffs auf westliche Werte» das Ende der traditionellen Neutralität nahen. Bürgerliche Politiker von Mitte und FDP wollen gar Waffenlieferungen an befreundete Staaten erlauben. Selbst eine Annäherung an das Verteidigungsbündnis NATO scheint für einige kein Tabu mehr. Mit anderen Worten: Die Schweiz ist gerade dabei, ihre Neutralität neu zu erfinden.
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Sie sind geflüchtet. Und willkommen.
Kommentare
Kommentare :
Ich meine, dass Hans-Ulrich Jost den Umgang mit diesem schweizerischen Emblem treffend formuliert hat: "KAUGUMMI". Über Generationen kaut man im Bundeshaus nun schon auf diesem gleichen Kaugummi herum auf der Suche nach einer endgültig juristisch verbindlichen praktizierenden verpflichtenden logischen Norm-Formel, möglichst mit Patentschutz. Noch fehlt der Erfinder. Geduld ist angebrachet, denn aller Wahrscheinlichkeit nach wird dieses Genie zusammen mit dem Messias eintreffen.