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Seit ihrer Gründung vor fast 100 Jahren verzichtet Migros auf den Verkauf von Wein, Bier und Schnaps. Das könnte sich bald ändern: Im Juni stimmen die 2,2 Millionen Genossenschaftsmitglieder über das Ende des Alkoholverbotes ab.
Für die einen ist er ein «alter Zopf», für die anderen gehört er zur DNA des grössten Schweizer Detailhändlers: der Verzicht auf den Verkauf von Alkohol und Tabak. Migros-Gründer Gottfried Duttweiler (1888–1962) schrieb das Verbot 1925 in die Statuten der Genossenschaft. Obwohl er selber gerne Wein trank und Zigarren rauchte, verzichtete Duttweiler aus Rücksicht auf die Volksgesundheit auf den lukrativen Verkauf legaler Rauschmittel. Gleichzeitig machte er alkoholfreie Getränke wie Apfelsaft durch Eigenproduktion und massive Preissenkungen zum Verkaufsschlager. Ob der einstige Migros-Patron Wein und Bier auch heute noch aus den Läden verbannen würde, darüber lässt sich nur spekulieren. Gemäss Tondokumenten aus den 1950er-Jahren zweifelte er den Sinn einer Beibehaltung zumindest an.
Umgangen wird das Alkoholverbot beim orangen Riesen bereits heute. Kundinnen und Kunden finden Bier, Wein und Schnaps im hauseigenen Online-Shop, in den Migrolino-Läden an Bahnhöfen und Tankstellen sowie bei der Migros-Tochter Denner. Der Discounter, der vom MigrosKonzern 2007 übernommen wurde, ist schweizweit der zweitgrösste Weinverkäufer – hinter Coop. Für den Detailhandel geht es dabei um viel Geld. Im Jahr 2020 gaben die Konsumierenden in der Schweiz insgesamt rund 2,6 Milliarden Franken für Alkoholika aus – das sind rund 8,6 Prozent des gesamten Umsatzes im Lebensmittelhandel. Wie viel die Migros mit dem Alkoholverkauf in den stationären Supermärkten zusätzlich verdienen könnte, ist offen. Skeptiker weisen darauf hin, dass der Umsatz auf Kosten desjenigen in Denner-Filialen gehen könnte. Gar nicht gut kommt die geplante Liberalisierung beim Blauen Kreuz an. Die Organisation, die sich für Abstinenz einsetzt, erachtet das Verbot als wichtigen Schutzwall für «trockene» Alkoholiker. Diese seien ständig in Gefahr, in die alte Sucht zurückzufallen, wenn sie beim Einkaufen mit Bier-, Schnaps- und Weinflaschen konfrontiert werden. Damit riskiere die Migros, ihren Ruf als soziales und gesell-schaftsverantwortliches Unternehmen zu verlieren, kritisiert das Blaue Kreuz.
«Die Bevölkerung liebt die Migros genau für diese Andersartigkeit.»
Werber
Bedenken äussert auch der Werber Thomas Wildberger, der für den Detailhandelsriesen die Image-Kampagne «Die Migros gehört den Leuten» entwickelt hatte. Der Verzicht auf den Verkauf von Alkohol und Tabak sei ein Alleinstellungsmerkmal, das die Migros populär gemacht habe, sagte Wildberger in einem Zeitungsinterview. «Die Bevölkerung liebt die Migros genau für diese Andersartigkeit.» Diesen strategischen Vorteil sollte man aus Sicht des Marketingexperten nicht leichtfertig aufgeben.
Das letzte Wort ist ohnehin noch nicht gesprochen. Die Migros lässt ihre 2,2 Millionen Genossenschafterinnen und Genossenschafter im Juni an einer Urabstimmung über die Aufhebung des Alkoholverbotes abstimmen. Den Weg dazu haben die Gremien der zehn regionalen Genossenschaften freigemacht. Für die Statutenänderung ist in jeder Region eine Zweidrittelsmehrheit der Abstimmenden nötig. Sie entscheiden letztlich, ob ab dem Jahr 2023 Bier, Wein und Spirituosen ins Sortiment der Migros-Filialen aufgenommen werden.
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