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Seit kurzem sind Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken in der Schweiz als Nahrungsmittel zugelassen. Gastronomen und Detaillisten glauben an das grosse Geschäft mit den Insekten.
Natürlich schaut die Gruppe am Nebentisch etwas gar angestrengt hinüber, und natürlich nerven ihre Blicke. Wir sitzen im «Bug A Thai» in Basel, einem der ersten Restaurants der Schweiz, das Insekten serviert. Neben Pad Thai, Fried Rice und anderen asiatischen Gerichten stehen auf der Karte: ein Insektenburger, hergestellt aus zerstampften Heuschrecken. Und ein Spiess, an dem man die Heuschrecken ganz und gebacken erhält. Beides, der Burger und der Spiess, stehen jetzt vor uns auf dem Tisch. Wir zögern.
Seit dem 1. Mai sind Mehlwürmer, Grillen und Wanderheuschrecken in der Schweiz als Lebensmittel zugelassen. Und seither ist um die Tiere ein erstaunlicher Hype entstanden. Fast 250 Artikel verzeichnet die Schweizerische Mediendatenbank aus dem letzten halben Jahr zum Thema. Aus ganz Europa, den USA und Japan sind Fernsehteams in die Schweiz geflogen, um Beiträge zu drehen, in denen aufgeregte Reporter und Passanten an einem Mehlwurm knabbern oder in eine Grille beissen.
Das Interesse spürt auch Roger Greiner, Geschäftsführer des «Bug A Thai». Er ist glücklich darüber, wie das Geschäft mit den Insekten angelaufen ist. Bereits kurz nach der Eröffnung seines Restaurants verkaufte er gut zwanzig Burger am Tag – wobei er die Insekten nur abends anbietet. «Dann lassen sich die Leute eher auf so etwas ein als während der Mittagspause», sagt er.
Der Gastronom rechnet fest damit, dass viel mehr Leute die Tiere noch entdecken würden. «Das ist die Zukunft», sagt Greiner. Und seit Ende August gibt es die Tiere sogar beim Grossverteiler. Als erster Detaillist hat Coop zwei Produkte im Regal: einen Burger und eine Art Hackbällchen, beides hergestellt auf der Basis von Mehlwürmern. Eigentlich wollte Coop das alles schon viel früher verkaufen, doch mit dem Bezug der Insekten haperte es: Eine inländische Produktion gibt es erst in Ansätzen, und der Import von Tieren aus dem Ausland scheiterte anfangs an den Vorschriften des Bundes über den Lebensmittelschutz. Besonders bei den Mehlwürmern übersteigt die Nachfrage derzeit das Angebot noch immer.
Dank Züchtern aus Belgien sind die Insekten aber inzwischen im Verkauf angelangt – und bei Coop ist man mit dem Start zufrieden. Zahlen nennt der Detaillist keine, Sprecherin Andrea Bergmann sagt aber: «Das Interesse an den Insekten-Produkten ist sehr gross, die Produkte haben sich vom ersten Tag an sehr gut verkauft.» Hergestellt werden die Burger und Bällchen von der Schweizer Firma Essento. Deren Gründer Matthias Grawehr war auch massgeblich daran beteiligt, dass der Hype um die essbaren Tiere überhaupt entstand. Denn die Zulassung der Insekten verdankt sich der hartnäckigen, effektiven Lobbyarbeit einer Allianz aus Foodpionieren und Ökologen.
Politischer Kopf dieser Lobby ist die grünliberale Nationalrätin Isabelle Chevalley. In mehreren Vorstössen im Parlament forderte die Waadtländerin vom Bundesrat, Insekten als Lebensmittel zuzulassen. Ihre erste Interpellation hatte Chevalley noch alleine unterzeichnet, die zweite signierten bereits mehr als sechzig Nationalräte. Dazwischen lag ein medienwirksam inszenierter Insektenapéro im Bundeshaus. Für den «Blick» liess sich der damalige CVP-Präsident Christophe Darbellay fotografieren, wie er in eine karamellisierte Grille biss. Als der Bund kurz darauf damit begann, das umfangreiche Lebensmittelgesetz zu überarbeiten, erklärte sich der Bundesrat in Antwort auf einen weiteren Vorstoss Chevalleys bereit, die Zulassung von bestimmten Insekten zu prüfen.
Die Argumente, die die Insektenfreunde jeweils vorbringen, sind immer die gleichen: Die Tiere seien gesund, schmackhaft und ihre Produktion ökologisch nachhaltig, weil sie viel weniger Ressourcen verbrauche als jene von herkömmlichem Fleisch. Es sind Argumente, die offenbar auch bei den Kunden und Restaurantgästen verfangen. Man richte sich mit den Produkten an verschiedene Gruppen, sagt Coop-Sprecherin Andrea Bergmann: «Angefangen von den Neugierigen, die an neuen geschmacklichen Erlebnissen interessiert sind, über umweltbewusste Kunden bis hin zu Personen, die besonders proteinreiche Nahrung suchen.»
Ein bisschen Neugier: Das braucht es beim Testessen definitiv. Weniger beim Burger, dem man die Insekten nicht ansieht, aber beim Spiess mit Heuschrecken. Wir entfernen etwas angestrengt die Flügel vom Hinterteil des ersten Tiers, beissen hinein – und sind erleichtert. Es schmeckt nach Frittiertem, nach Popcorn oder Salzstängeli, aber irgendwo ist da auch noch ein fleischiger Nachgeschmack. Am Nebentisch starren sie noch immer.
Bild Heuschrecken sind ein neuer und gewöhnungsbedürftiger Anblick auf Schweizer Tellern. Foto Keystone
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