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Vor eineinhalb Jahren veröffentlichte Charles Linsmayer das opulente Lesebuch «20/21 Synchron» mit literarischen Texten aus der Schweiz. Ihm gesellt er nun ein weltliterarisches Pendant hinzu: «19/21 Synchron global».
Die Schweiz ist nicht die Welt, könnte sich Charles Linsmayer mit Blick auf seine Bibliothek gedacht und deshalb den Plan für ein Lesebuch zur Weltliteratur gefasst haben. Nun liegt es vor: ein schöner, seitenstarker Band, in dem, wie bei seinem Schweizer Gegenstück, 135 Texte von ebenso vielen Autorinnen und Autoren aus dem Zeitraum von 1870 bis 2020 versammelt sind.
Linsmayer steigt gleich mit einem starken Beitrag ein, der die leidenschaftliche Dringlichkeit von Literatur bezeugt: «Wie ich die Bücher entdeckte» von Richard Wright, einem Auszug aus «Black Boy» von 1945. Wright erzählt darin von seinen ersten Besuchen in einer Bibliothek. Eindrücklich schildert er, wie er als schwarzer Junge nur mit einem Trick Bücher ausleihen durfte und scheele Blicke aushalten musste, um sein Verlangen nach Lesestoff zu stillen. «Wie fremd, wie neu war mir diese Welt! Als ich das Buch fertiggelesen hatte und zuklappte, war ich dessen gewiss, etwas gesehen zu haben, das für mein Leben unendlich wichtig war», und das er «wie ein Verbrecher» mit sich herumgetragen habe. Wrights späteres Werk bezeugt, dass er all die Hindernisse überwand und schliesslich zum Schreiben fand.
Eine Anthologie wie «19/21 Synchron global» ist nicht (zwingend) dafür gemacht, dass sie von Anfang bis Ende durchgelesen wird. Vielmehr lädt sie ein, sprunghaft, lustvoll, launenhaft querbeet eigene Lesefährten zu setzen. Von Richard Wrights Auftakt beispielsweise führt eine solche Fährte möglicherweise zu Abdulrazak Gurnahs ätzendem Streitgespräch zwischen Kolonialisten, für die einheimische Afrikaner bestenfalls Wilde sind. Ihm möchte vielleicht Toni Morrison mit einem Text über Heimat und Migration entgegnen, von wo wiederum die Lesespur zum kindlichen Komplott gegen Hitler bei Carson McCullers, oder zu Camus' liebender Erinnerung an einen Jungen im maurischen Café, oder zu Nelly Sachs' «Schwer zu sagen, wie man lebt im masslosen Leiden» abzweigen könnte. In Wrights Bibliothekserlebnis steckt indes auch ein Zipfel von Hesses Bibliothek als Bewahrerin der «geistigen Welt», die gerade in Zeiten der Not bewahrt werden müsse.
Seit Jahren betreut Charles Linsmayer die Literaturserie der «Schweizer Revue», die von vielen Leserinnen und Lesern sehr geschätzt wird (letzter Beitrag seiner Literatureserie). Die Redaktion verlost drei Exemplare von Linsmayers neustem Werk. Für die Teilnahme an der Verlosung genügt eine Mail mit Betreff «Synchron» an revue@swisscommunity.org. Über die Verlosung wird keine Korrespondenz geführt. (MUL)
Auf vielfältige Weise erlaubt «19/21 Synchron global», dass die Leserschaft all den Namen, Themen, Geschichten entlang literarisch Witterung aufnimmt. Der Herausgeber hat dafür einen breiten Horizont abgesteckt: alphabetisch von Achmatova bis Zwetajewa – eine schöne Klammer der beiden Schicksalsgefährtinnen; zeitlich von Victor Hugo (*1802) bis Chimamanda Ngozi Adichie (*1977), in der Abfolge des Buches vom erwähnten Richard Wright bis zu David Malouf, und kulturell weltumspannend. Dabei setzt er nicht unbedingt auf die prominentesten Texte, sondern auf solche, die sich geschmeidig in seine thematische Struktur einfügen. Die 20 Kapitel bestreichen alle elementaren Themen von der Geburt bis zum Tod, vom Ernst des Kriegs bis zur bösen Satire, Motive wie Magie, Natur und Tierisches mit eingeschlossen. Mit seinem Buch zielt Linsmayer weder auf einen neuen Kanon noch auf Vollständigkeit ab. Die Sammlung enthält literarische Zeugnisse, die ihm wichtig sind. Das Persönliche sei dabei eine Notwendigkeit, schreibt er im Nachwort, denn angesichts der «weltliterarischen» Fülle ist ein Herausgeber «am Ende schlicht auf sich selbst, seine Leseerfahrung und sein subjektives Empfinden zurückgeworfen».
Ebenso persönlich wie pointiert fallen im Anhang die kurzen Porträts der erwähnten Autorinnen und Autoren aus, die jeweils mit einer Zeichnung von Claudio Fedrigo illustriert sind. Hier bietet sich «19/21 Synchron global» auch als kleines literarisches Kompendium an. Im Kern aber offeriert das Buch viele lesenswerte Amuse-Bouches aus auszugsweise präsentierten Lieblingswerken. Richard Wrights «Black Boy» etwa, um den Bogen zu schliessen, verdient unbedingt (wieder) eine Lektüre.
Mehr über Literatur in «Schweizer Revue»: revue.link/literatur
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