Marianne Jenni | «Die Fünfte Schweiz ist wichtig für das Image der Schweiz»
11.04.2025 – Interview: Denise Lachat
Marianne Jenni ist seit dem 1. Januar 2025 Direktorin der Konsularischen Direktion (KD) im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Im Interview spricht sie über die notwendige Digitalisierung der konsularischen Dienstleistungen und ihr Engagement für die Fünfte Schweiz.
Marianne Jenni, eben noch waren Sie Botschafterin in Ecuador – und jetzt leiten Sie von Bern aus die Geschicke der Konsularischen Direktion. Welche Überraschungen brachte die Rückkehr in die Schweiz mit sich?
Marianne Jenni: Es gab keine Überraschungen, denn ich wusste bereits, was es heisst, in die Schweiz zurückzukehren. Während den drei Jahren als Botschafterin in Ecuador kehrte ich regelmässig in die Heimat zurück, zuvor hatte ich acht Jahre in Bern gearbeitet. Wer diesen Beruf ausüben will, muss anpassungsfähig sein. Ohne Flexibilität, Optimismus, eine positive Grundhaltung und Neugier wäre es schwierig, alle vier Jahre das Land zu wechseln und sich auf eine neue Sprache und Mentalität oder Kultur einzustellen. Für mich ist die Schweiz aber mein Zuhause geblieben, und mit dem EDA hatte und habe ich einen Schweizer Arbeitgeber – das ist nicht zu vergleichen mit der Situation von jemandem, der auswandert aus der Schweiz.
Marianne Jenni trat 1991 als konsularische Mitarbeiterin ins EDA ein. Sie war in Paris, Lagos, Rom, London, Bagdad, Kinshasa und Kapstadt tätig, bevor sie 2013 nach Bern zurückkehrte, wo sie für das Lokal- und Honorarpersonal im Ausland sowie für die Immobilien des EDA verantwortlich war. Von 2021 bis 2024 war sie Missionschefin in Quito, Ecuador. In der Konsularischen Direktion wird sie unter anderem die Optimierung der digitalen Dienstleistungen vorantreiben und an Präventionsmassnahmen arbeiten.
Die Erfahrungen von Auslandschweizer:innen kennen Sie trotzdem bestens, Sie lebten zuvor ja auch in Paris, Lagos, Rom, London, Bagdad, Kinshasa und Kapstadt …
Das Leben in einem neuen Land, das man nicht oder nur wenig kennt, ist eine Herausforderung, die man nicht unterschätzen darf. Die ersten Monate sind in der Regel nicht einfach, weil der Alltag neu organisiert werden muss.
«Die politische Teilhabe der Fünften Schweiz ist für die politische Schweiz wichtig.»
Wie einfach ist es denn, als Auslandschweizer:in die Bande mit der Schweiz aufrechtzuerhalten?
Die Veranstaltungen, die ich in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito organisierte – den 1. August, Jungbürgerfeiern und einen Anlass für Pensionierte – waren immer gut besucht. Heute erleichtern auch die modernen Kommunikationsmittel den Austausch mit der Schweiz. Das war vor einigen Jahrzehnten noch anders.
Allerdings sind die modernen Informations- und Kommunikationsmittel nicht garantiert. Zur Zeit nehmen in der Fünften Schweiz viele besorgt zur Kenntnis, dass swissinfo.ch, das digitale Informationsangebot der SRG, Sparmassnahmen des Bundes zum Opfer fallen könnte.
Die Information der Auslandschweizer:innen ist eine Aufgabe, die in der Bundesverfassung festgeschrieben ist und die es umzusetzen gilt. Hier arbeitet die KD mit der Auslandschweizer-Organisation und mit Swissinfo zusammen. Wir werden in der Vernehmlassung zu den Sparvorschlägen selbstverständlich unsere Argumente einbringen. Am Ende aber entscheidet die Politik.
In der Schweiz scheint sich die Stimmung gegenüber Auslandschweizer:innen abzukühlen, teils werden sie regelrecht als Schmarotzer dargestellt. Beunruhigt Sie das?
In meiner kurzen Zeit im Amt habe ich davon nichts gespürt. Aber diese Darstellung ist natürlich problematisch. Falls das so ist, werde ich mich dafür einsetzen, dieses Image zu korrigieren. Die Kritiker kennen die tatsächlichen Herausforderungen der Auslandschweizer:innen vermutlich nicht. In der Schweiz verlassen wir uns auf ein System, das wunderbar funktioniert und uns Sicherheit bietet. Das ist nicht überall auf der Welt so. Administrative Hürden, wechselnde Sicherheitslagen, ein fehlendes öffentliches Verkehrsnetz oder die Schwierigkeit, sich sozial abzusichern: Auslandschweizer:innen sind mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Wer die Zelte abbricht und in einem anderen Land neu aufbaut, nimmt ein Risiko auf sich.
Marianne Jenni, seit Anfang Jahr an der Spitze der Konsularischen Direktion, im Interview: «Wer die Zelte abbricht und in einem anderen Land neu aufbaut, nimmt ein Risiko auf sich.» Foto Danielle Liniger
Wie lautet Ihre Botschaft an die Fünfte Schweiz?
Ich möchte den Auslandschweizer:innen sagen, dass wir an sie denken und für sie da sind. Diesen Auftrag haben uns der Bundesrat und das Parlament in Form des Auslandschweizergesetzes erteilt, und diesen Auftrag nehmen wir ernst. Auslandschweizer:innen tragen Schweizer Merkmale wie Qualität und Zuverlässigkeit ins Ausland, sei dies in der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kultur oder der Gesellschaft. Die Fünfte Schweiz ist wichtig für das Image der Schweiz.
Wie werden Sie der Fünften Schweiz den Puls fühlen?
Eine meiner Prioritäten wird sein, an möglichst vielen Treffen mit Auslandschweizer:innen und an ASO-Konferenzen teilzunehmen, um zu erfahren, was die Auslandschweizergemeinschaft beschäftigt, denn das ist von Land zu Land verschieden. Gleichzeitig möchte ich daran erinnern, dass die Auslandschweizer:innen auch selbst dazu beitragen können, dass ihre Interessen in der Politik vertreten sind, indem sie sich in den Auslandschweizerrat wählen lassen und ihre Erfahrungen einbringen.
Viele Auslandschweizer:innen können ihr Recht, in der Schweiz abzustimmen und zu wählen, gar nicht nutzen: Die Unterlagen dazu treffen oft viel zu spät ein. Ein grosses Ärgernis.
Absolut einverstanden. So gehen wichtige Stimmen verloren. Die politische Teilhabe der Fünften Schweiz ist für die politische Schweiz wichtig.
E-Voting könnte dazu beitragen. Werden Sie sich bei den Kantonen, die damit zögern, für E-Voting stark machen?
Es wird einen Austausch mit den Kantonen geben. Dabei wird E-Voting ein Thema sein.
«Wenn wir gebraucht werden, sind wir da, das haben wir in der Vergangenheit bewiesen, und das wird auch in Zukunft so sein.»
Die Konsularische Direktion ist die zentrale Anlaufstelle für «konsularische Dienstleistungen» auf der ganzen Welt. Was heisst das in der Praxis?
Eine Vertretung in einer Botschaft oder einem konsularischen Generalkonsulat ist mit einer Gemeindeverwaltung vergleichbar. Sie nimmt die Anmeldung von Schweizer:innen entgegen, prüft Personalien, nimmt Anträge für Pässe und Indentitätsausweise an, übermittelt die Unterlagen für Heiraten und Scheidungen, stellt im Falle von Passverlust ein «Laisser-passer» aus, unterstützt bei Notfällen, hilft bei Todesfällen bei der Organisation der Rückreise, hält Kontakt zur Familie, stellt Visa aus; letztes Jahr nicht weniger als 700 000. Es gibt auch Fälle, in denen Anträge auf Sozialhilfe geprüft werden: Schweizer:innen im Ausland, die völlig mittellos sind und beispielsweise keine Familien haben, die sie unterstützen, können ein entsprechendes Gesuch stellen. Jeder Einzelfall wird anschliessend auf der Grundlage strenger gesetzlicher Kriterien geprüft. Sind die Voraussetzungen gegeben, ist eine Unterstützung denkbar, welche das Existenzminimum des jeweiligen Aufenthaltslandes deckt.
Wie gut ist denn das konsularische Netz der Schweiz?
Die Schweiz bietet in einem dichten konsularischen Netz mit rund 170 Vertretungen und 200 Honorarkonsulaten Dienstleistungen auf einem hohen Standard. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an uns. Wenn wir die Qualität unserer Dienstleistungen trotz steigender Zahl von Auslandschweizer:innen wie auch von Auslandsreisen bei gleichzeitigen Sparvorgaben von rund zehn Prozent aufrechterhalten wollen, brauchen wir digitale Lösungen. Diese müssen einen Mehrwert für beide Seiten bringen, in Form von Effizienz und Kundenfreundlichkeit.
«Wer die Zelte abbricht und in einem anderen Land neu aufbaut, nimmt ein Risiko auf sich.»
Mehrwert, Effizienz und Kundenfreundlichkeit: Was dürfen sich Auslandschweizer:innen darunter konkret vorstellen?
Wir denken über die Schaffung eines digitalen Konsular-Hubs nach, den ich aktuell noch nicht im Detail vorstellen kann. Ziel ist es, Kontakte rascher abzuwickeln als heute. Hingegen soll aktuell keine Vertretung geschlossen werden, das hat der Vorsteher des EDA, Bundesrat Ignazio Cassis, mehrfach bestätigt. Das ist wichtig für uns. Wir möchten mit dem Aufbau des Konsular-Hubs die Eigenverantwortung der Auslandschweizer:innen wie der Auslandsreisenden fördern.
Der Bund will sich demnach ein Stück weit zurückziehen?
Nein. Wenn wir gebraucht werden, sind wir da, das haben wir in der Vergangenheit bewiesen, und das wird auch in Zukunft so sein. Schweizer:innen, die ins Ausland reisen oder sich dort niederlassen, sollen sich aber im Sinne des im Auslandschweizergesetz verankerten Prinzips der Eigenverantwortung vorbereiten. Dazu braucht es Präventionsarbeit, die das EDA bereits leistet, die wir kommunikativ künftig aber noch stärker begleiten wollen. Das EDA bietet zahlreiche Informationen als Hilfe zur Selbsthilfe. Für die Auslandschweizergemeinschaft gibt es die App SwissInTouch.ch, die den Kontakt zu den Vertretungen erleichtert. Auslandsreisenden stehen die Reisehinweise zur Verfügung, und sie können sich auf Travel Admin, der Reise-App des EDA, registrieren. Die Folgen der zunehmenden Reisetätigkeit nach Covid, häufigeren Privatbuchungen und nicht zuletzt der Sicherheitslage auf der Welt spiegeln sich in den Zahlen: Letztes Jahr gingen über 55 000 Anfragen auf der Helpline des EDA ein, insgesamt gab es 1087 Konsularschutzfälle, 17 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Wir erleben tatsächlich eine Krise nach der anderen.
Sind Sie selbst eigentlich rund um die Uhr erreichbar?
Grundsätzlich ja. Das Smartphone macht dies heute möglich.
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