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Davide Wüthrich ist in Italien aufgewachsen und kürzlich nach Lausanne gezogen. Ein Gespräch mit dem Präsidenten des Auslandschweizer Jugendparlaments zum Thema «Inland- und Auslandschweizer: eine Welt!»
Das Thema des nächsten AuslandschweizerKongresses lautet «Inland- und Auslandschweizer: eine Welt!» Es geht unter anderem darum, wie die Diaspora die Schweiz von aussen wahrnimmt. Sie selbst sind in Italien aufgewachsen. Haben Sie das Gefühl, dass die Schweizer in Italien ihr Land anders sehen als die Inlandschweizer?
Ja und nein. Menschen, die im Ausland geboren wurden und dort aufgewachsen sind, sehen die Schweiz mit anderen Augen als Inlandschweizer. Die Menschen, die in der Schweiz gelebt haben, erinnern sich genau an die Schweiz auf der Grundlage eigener Erfahrungen, während jene, die nicht diese Möglichkeit hatten, das Land über die Erzählungen der Eltern, Gespräche mit den Verwandten, Filme, Vereinsaktivitäten und sporadische Reisen im Sommer kennenlernen. So war es bei mir der Fall. Wir denken, die Schweiz zu kennen, wie ein Werk von Monet oder Seurat, das heisst, von Weiten haben wir den Eindruck, das Land in seiner Gesamtheit wahrzunehmen, eine globale Vision von ihm zu haben, aber wenn wir uns nähern, entdecken wir, dass nicht alles so ist, wie wir gedacht hätten.
Sie sind kürzlich nach Lausanne gezogen. Hat sich Ihre eigene Sichtweise der Schweiz seit dem Umzug verändert?
Als ich in die Schweiz zurückkehrte, musste ich die Eindrücke, die ich von der Schweiz hatte, mit dem Alltag in der Schweiz abgleichen. Mir wurde bewusst, dass die Schweiz weit mehr ist als Schokolade, Banken und Käse mit Löchern, wie man oft im Ausland glaubt. Die Schweiz ist ein Land mit einem riesigen Potenzial. Ich selbst hatte immer befürchtet, das Leben in der Schweiz würde zu beengend für mich sein, aber die Westschweiz war eine angenehme Überraschung, was Toleranz und Multikulturalität betrifft. Im Ausland glaubt man jedoch, die Schweizer seien alle reich, etwas Snob und individualistisch. Dieser Gemeinplatz stimmt überhaupt nicht. Hier habe ich Menschen kennengelernt, die bescheiden und freundlich sind und mit denen ich dauerhafte Freundschaften knüpfen konnte.
Was gefällt Ihnen besonders an der Schweiz – und was nicht?
Mir gefällt, dass die Schweiz jungen Menschen die Chance gewährt, sich eine stabile, blühende und auf dem persönlichen Verdienst basierende Zukunft aufzubauen, was in anderen Ländern immer schwieriger wird. Unter Chance verstehe ich eine stabile, gut bezahlte Arbeit, die es ermöglicht, langfristige Pläne zu schmieden, ohne sich Sorgen zu machen, ob am Monatsende noch genug Geld übrig ist. Es mag banal klingen, aber ich schätze auch die Landschaft und die Tatsache, dass die Menschen sich in der Freizeit gern im Freien aufhalten. Mir gefällt, dass die Menschen an den Umweltschutz denken und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. In dem stark familienfokussierten Lebensstil, der dazu führt, dass die Geschäfte am Sonntag geschlossen sind und es auch an Werktagen unmöglich ist, nach 19 Uhr einzukaufen, erkenne ich mich allerdings nicht. Der Schweiz fehlt in dieser Hinsicht die Vitalität der südlichen Länder, an die ich gewöhnt bin.
Gewisse Schweizer haben ein gespaltenes Verhältnis zur Diaspora. Sie fordern zum Beispiel die Abschaffung der Doppelbürgerschaft. Was halten Sie davon?
Meines Erachtens wäre es ein schwerwiegender Fehler, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen. Ich bin Italiener und Schweizer und sehe keine Unverträglichkeit zwischen den beiden Staatsbürgerschaften. Ein Schweizer bleibt immer ein Schweizer, ungeachtet der Tatsache, ob er im Ausland wohnt oder zusätzlich einen anderen Pass besitzt. Die Doppelbürgerschaft kann von einem ausländischen Elternteil übertragen werden. Ich finde es egoistisch, von Menschen zu verlangen, ihre eigene Identität aufzugeben. Zudem meine ich, wir wollten lernen, mit der Multikulturalität und doppelten oder gar dreifachen Staatsbürgerschaften umzugehen, weil die Lage sich angesichts der aktuellen Mobilität nur noch «verschlechtern» kann.
Andere finden, die Auslandschweizer sollten nicht abstimmen und wählen dürfen. Das Argument: Warum sollen sie in einem Land mitbestimmen, in dem sie gar nicht leben. Können Sie das nachvollziehen?
Obwohl ich diesen Standpunkt nachvollziehen kann, zumindest bis zu einem gewissen Grad, bin ich absolut nicht damit einverstanden. An gewissen Abstimmungen nehmen die Auslandschweizer weniger teil, aber für andere Themen (zum Beispiel Einwanderung oder Beziehungen zur Europäischen Union) interessieren sich die Auslandschweizer so stark wie die Inlandschweizer. Wahlen und Abstimmungen sollen die Zukunft eines Landes gestalten. Ein Auslandschweizer ist berechtigt, eines Tages in die Schweiz zurückzukehren und dort ein System vorzufinden, an das er glaubt und in dessen Idealen er sich wiedererkennt. Zudem ist Abstimmen und Wählen ein Recht, keine Pflicht. Wenn ich keine klare Meinung zu einem Thema habe oder mich nicht betroffen fühle, stimme ich nicht ab. Jeder muss diese Entscheidung selbst treffen. Ausserdem erinnert allein das Wahlrecht der Auslandschweizer die Politiker daran, dass wir existieren.
Sie sind Präsident des noch relativ neuen Auslandschweizer Jugendparlaments. Was sind Ihre wichtigsten Ziele?
Unser Hauptziel ist es, die jungen Auslandschweizer wieder dazu zu motivieren, an der internationalen Gemeinschaft teilzunehmen. Die Vereinsmitglieder in der ganzen Welt werden leider älter, es fehlt an Nachwuchs. Wir hoffen, einen Beitrag zur Verjüngung unserer grossen Familie zu leisten. Wir setzen die Kommunikationsmittel ein, die auch die jüngeren Generationen benutzen, wie Facebook und Internet, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Ziel ist es, die jungen Auslandschweizer mit politischen Themen vertraut zu machen (ohne jemals selbst Partei zu ergreifen), sie über die Ereignisse in der Schweiz zu informieren und die Kommunikation zwischen den Schweizern in der ganzen Welt zu erleichtern.
Ist der typische junge Auslandschweizer politisch interessiert und engagiert?
Manche ja, andere nein. In den beiden Jahren als Präsident des Auslandschweizer Jugendparlaments habe ich viele Menschen kennengelernt, die sich mit der Politik in der Schweiz auseinandersetzen, aber auch viele, die sich absolut nicht dafür interessieren. Ich habe den Eindruck, dass der Mangel an Interesse oft auf einen Mangel an Information zurückzuführen ist, oder auf das Gefühl, nicht direkt davon betroffen zu sein. Die Aktivitäten des Jugendparlaments sollen hier Abhilfe schaffen. Derzeit wollen wir in den einzelnen Ländern vor Ort Untergruppen bilden, wie sie bereits in Italien, Österreich oder Chile bestehen. Hoffentlich stehen bald mehr Länder auf dieser Liste.
Was haben Sie mit dem Jugendparlament bisher erreicht?
Wir sind eine junge Organisation, die noch nicht einmal zwei Jahre alt ist. Ziel des ersten Jahres war es, unsere Bekanntheit zu steigern. Wir müssen den Schweizer Vereinen zeigen, dass wir existieren, dass wir noch nicht viele Mitglieder haben, aber aktiv sind und ihre Unterstützung brauchen. Gleichzeitig bauen wir ein Netz junger Auslandschweizer auf, das wir in den nächsten Jahren vergrössern wollen, vor allem unsere Facebook-Gruppe. Eine Website ist ebenfalls geplant. Zudem ist es uns gelungen, einen Sitz im Vorstand der Auslandschweizer zu erhalten. Ab der neuen «Legislaturperiode» werden es sogar drei Sitze sein, was an und für sich bereits ein wichtiges Ziel darstellt. Gewiss braucht es Geduld und Einsatzfreude, um die jungen Auslandschweizer zu motivieren, aber wir haben sie und hoffen, dass unsere Anstrengungen bald Früchte tragen.
Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) weist häufig auf die Bedeutung der aussenstehenden Perspektive der Auslandschweizer für die Schweiz hin. Am Kongress vom 18. bis 20. August in Basel soll konkret aufgezeigt werden, inwiefern sich die Sichtweise der Auslandschweizer gelegentlich von derjenigen der Inlandschweizer unterscheidet, wie die Inlandschweizer darauf reagieren und welcher konkrete Nutzen durch die besondere Sichtweise entsteht. Hierfür werden verschiedene Standpunkte der Auslandschweizerinnen und -schweizer herangezogen.
Bild Davide Wüthrich ist 27 Jahre alt und in Turin aufgewachsen. 2010 hat er in der Fakultät für Ingenieurwissenschaften am Polytechnikum von Turin seinen Abschluss gemacht. Danach zog er nach Lausanne, um an der Eidgenössischen Technischen Hochschule einen Master in Wasserwirtschaft zu absolvieren. Davide Wüthrich ist auch Präsident des Auslandschweizer Jugendparlaments.
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