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Die Schweiz kreist gleich doppelt um die Sonne

13.01.2015 – Marc Lettau

Wenn im Weltall Geschichte geschrieben wird, ist die Schweiz mit dabei. Das zeigte sich zuletzt bei der spektakulären Reise der Sonde Rosetta zum Kometen Tschury. Dank Technik aus der Universität Bern wissen wir: Tschury riecht ziemlich übel nach Pferdestall.

Helvetia ist überhaupt nicht anmutig, sondern gleicht einer unförmigen Kartoffel. Helvetia hat einen tollen Platz in der Sonne, ist aber eiskalt, tödlich kalt. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Helvetia ist der offizielle Name des 2002 entdeckten Kleinplaneten Nr. 113 390, einer etwa drei Kilometer grossen Himmelsknolle, die in einer mittleren Entfernung von 344 Millionen Kilometern um die Sonne zieht. Der Asteroid beflügelte im Jahr seiner Entdeckung auch die Fantasie und die Rhetorik schweizerischer Magistraten. Die Botschaft des damaligen Bundespräsidenten, Moritz Leuenberger, an die Nation war auf jeden Fall launig: «Im Weltall wurde Helvetia entdeckt und somit die Frauenquote unter den ­Asteroiden erhöht. Wahrlich ein kosmopolitischer Beitrag der Schweiz, der uns beweist: Das Universum ist so nah.» Was seit damals neu ist: Die Nation kreist dank der Schweiz und Helvetia gleich doppelt um die Sonne.

Ein grosser Schritt für Bern

Dass die International Astronomical Union überhaupt einen Himmelskörper mit dem neulateinischen Namen der Schweiz beehrt, ist ein Hinweis darauf, wie gross der Beitrag des kleinen Landes an die Erforschung des Alls ist. Ab und zu haben helvetische Weltraumforscher die Nase sehr weit vorn. Der 20. Juli 1969, ein Sonntag, liefert ein Beispiel: Noch bevor der Apollo-11-Astronaut Neil Armstrong seinen ersten, kleinen Hüpfer auf dem Mond, diesen «grossen Schritt für die Menschheit», feiern und zusammen mit Edwin Aldrin die US-Flagge in die Mondoberfläche rammen durfte, mussten die beiden ein bernisches Weltallexperiment ausführen. Aldrin entfaltete ein Sonnenwindsegel, ein Gerät, mit dem Partikel des Sonnenwindes eingefangen und später erforscht werden konnten. Das Experiment wurde vom physikalischen Institut der Universität Bern und dem dortigen Physiker Johannes Geiss geplant und ausgewertet. Im schweizerischen Bildgedächtnis hat sich das Sonnenwindsegel als Wegmarke eingeprägt – obwohl es sehr unspektakulär aussah, etwa wie ein Stück ausgerollte Haushaltfolie aus Aluminium.

Service-Mechaniker im All

Zwei Jahre zuvor war die Schweiz erstmals aus eigenem Antrieb in den Weltraum vorgedrungen. Auf Sardinien startete die schweizerische Rakete «Zenit» und erreichte eine Höhe von 145 Kilometern. Doch im Rennen der grossen Raumfahrtnationen konnte die Schweiz nicht mithalten. Ihren Platz im Weltall sicherte sie sich stattdessen als verlässliche Entwicklerin weltalltauglicher Bauteile. Spätestens der Erfolg mit dem Sonnenwindsegel war die Weichenstellung. Laut Peter Guggenbach, Präsident der Swiss Space Industries Group, kommt heute kaum mehr eine Mission ins All ohne Raumfahrttechnologie aus der Schweiz aus. Dank ihrer Rolle als Mitbegründerin und Mitträgerin der Europäischen Weltraumagentur ESA ist die Schweiz auch in grosse, gemeinsame Weltraummissionen eingebunden. Allerdings: Wer, wie bei Ariane, Raketenspitzen verkleidet oder hochkomplexe Messsysteme liefert, wie bei den Weltraumsonden Giotto und ­Ulysses, bleibt eher im Hintergrund. Fürs Gemüt und die Emotionen braucht es Personifizierung, also Gesichter – etwa jenes des bislang ersten und einzigen schweizerischen Astronauten, Claude Nicollier. Er schaffte 1992 den Sprung ins All als Astronaut der NASA. 1999 vervollständigte er das Bild des typisch helvetischen Astronauten: Er bewies sich als geschickter Weltall-Klempner und erledigte bei einem Aussenbordeinsatz am Hubble-Weltraumteleskop wichtige Reparatur- und Servicearbeiten.

Tschury-Superstar

Und heute? Im Rampenlicht steht heute zweifelsfrei die Berner Astrophysikerin Kathrin Altwegg. Sie und ihr Team haben Rosina entwickelt, jenes Messinstrument an Bord der Sonde Rosetta, mit dem der Schweif des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko – Kosename Tschury – untersucht wird. Als Rosetta im November, nach einem Jahrzehnt des Anflugs, sich anschickte, ihre Landesonde auf den Kometen aufsetzen zu lassen, geriet auch die Schweiz schier aus dem Häuschen – allein schon wegen des Vordringens in neue Dimensionen: Tschury war damals rund 250 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Herausfinden will Altwegg mit ihren Messungen, ob einst auf die Erde fallende Kometen organische Moleküle – die Bausteine des Lebens – mit sich getragen hatten. Tschury dient ihr dabei sozusagen als konserviertes Überbleibsel aus der kosmischen Tiefkühl­truhe, als Objekt aus der Frühzeit unseres Sonnensystems. Der Komet, der einer durchs All torkelnden Badeente gleicht, ist ein weitgehend unveränderter Rest der gigantischen Staubscheibe, aus der vor 4,6 Milliarden Jahren unser Sonnensystem entstand. Dank der chemischen Analyse des Kometenschweifs weiss Altwegg bereits, was der Komet ausdünstet: Ammoniak, Methanol, Formaldehyd und Schwefelwasserstoff. Tschury riecht also arg nach Pferdestall, Alkohol und faulen Eiern. Was kümmert die Schweiz dieser kleine Stinker in unendlicher Ferne? Was nützt uns dessen Erforschung? Altwegg lächelt und sagt: «Es nützt uns eigentlich nichts.» Das heisst: Es geht einzig um die Schönheit des Wissens.

Marc Lettau ist Redaktor der «Schweizer Revue»

Helvetisches Himmelspersonal

 Der Luzerner Jesuitenpater Johann Baptist Cysat (1586–1657) entdeckt neue Doppelsternsysteme. Jean-Philippe Loys de Cheseaux (1718–1751), Gelehrter aus Lausanne, dokumentiert zahlreiche Sternhaufen und Gasnebel. Der Zürcher Rudolf Wolf (1816–1893) erkennt, dass der Zyklus der Sonnenfleckenaktivität mit dem des Erdmagnetfelds übereinstimmt. Der in Bulgarien geborene Glarner Fritz Zwicky (1898–1974) verändert in den USA mit seinen Theorien über extragalaktische Sternsysteme die Astrophysik. Paul Wild (1925–2014), Universität Bern, entdeckt über 90 Asteroiden und sieben Kometen, der wichtigste unter ihnen Wild-2.

1967 fliegt die von Hans Balsiger und Ernest Kopp entwickelte Rakete «Zenit» in den Weltraum. Johannes Geiss (geb. 1926) entwickelt an der Universität Bern das Apollo-11-Sonnenwindexperiment. Mathematiker Bruno Stanek (geb. 1943) macht mit Sendungen wie «Neues aus dem Weltraum» die Raumfahrt massenmedientauglich. Das Observatoire de Genève entdeckt beim Stern 51 Pegasi den ersten Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems. Claude Nicollier (geb. 1944) fliegt als NASA-­Astronaut 1992 erstmals ins All. 1999 unternimmt er einen Weltraumspaziergang. Markus Griesser (geb. 1949) entdeckt zehn Hauptgürtel-Asteroiden, 2002 den Kleinplaneten Helvetia. Kathrin Altwegg (geb. 1951) ist das aktuelle Aushängeschild der schweizerischen Weltraumforschung – dank ihrer Mitarbeit an Missionen wie Giotto und Rosetta.

The singing comet

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Kommentare :

  • user
    Gabriel 16.02.2015 um 00:17
    Nice article. Amazing to see how swiss scientists are involved in this quest to infinity and especially on these questions about the origins of life (with Rosetta) and existence of "extra-life".
    The discovery by Michel Mayor et Didier Queloz from L'Observatoire de Genève of the first exoplanet ever detected in 1995 is a big contribution of swiss astronomers to the astrophysics quest that isn't much emphasised here.
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  • user
    paul esposito 21.01.2015 um 17:17
    RICHTIG KONI...
    ABER ES GIBT IMMER WIEDER ZUHAUF MISSINFORMIERTE MITBUERGER DIE NACHPLAPPERN WAS ANDERE VORPLAPPERN...
    DIE WELT BESTEHT AUS ENDLOSEN VERSCHWOERUNGSTHEHORIEN VOLL VON DAVINCI CODES ..
    GRUSS AUS DEM MISSVERSTAENDNIS
    PAUL
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  • user
    Peter J. Schwerzmann 21.01.2015 um 03:42
    Ein grosser Schritt fuer Bern.....was ist eigentlich an dieser Geschichte wahr? Heute weiss man, dass ein Mondflug und zurueck jeweils 320'000 Km ist und wegen der hohen radioaktiven Strahlung im 800 Kilometer dicken Van Allen-Guertel, einer Schutzschicht der Erde und der Mondoberflaechen Strahlung ohne mindestens zweimeter dicke
    Bleiummantelung der Raumkapsel nicht lebend machbar. Keine
    Weltraummission hat den Van Allen-Guertel je durchquert.
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    • user
      Koni 21.01.2015 um 15:57
      Der Van Allen Gürtel in der Wikipedia:
      "Als Normwerte gelten im gesamten Van-Allen-Gürtel 0,7–1,5 mSv pro Tag"
      "Zum Vergleich: In Europa beträgt die mittlere Strahlungsdosis auf Meereshöhe etwa 2 mSv/tag"

      Aber Herr Sch(w)erzmann wird wahrscheinlich behaupten, dass die Angaben in der Wikipedia auch gefälscht sind und die Wahrheit von der Weltregierung unterdrückt wird oder so was ähnliches.
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