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Er ist der wohl berühmteste Clown der Schweiz. Und er scheint unverwüstlich: Mit 80 Jahren steht Dimitri noch immer allabendlich auf der Bühne. Im Gespräch zum runden Geburtstag erzählt der Wahltessiner von seiner Familiendynamik, einer Begegnung mit Charlie Chaplin und was er von moderner «Comedy» hält.
«Schweizer Revue»: Dimitri, im Herbst haben Sie Ihren 80. Geburtstag gefeiert – wie geht es Ihnen?
Dimitri: Mir geht es bestens, danke.
Sie stehen trotz Ihres stattlichen Alters noch immer auf der Bühne. Sie bewegen sich, springen, tanzen – wie schaffen Sie das?
Einerseits trainiere ich jeden Tag bis zu zwei Stunden. Ich übe meine Nummern, zum Beispiel das Jonglieren oder den Handstand. Auch den Kopfstand mache ich regelmässig, der so ganz nebenbei gut für die Durchblutung des Gehirns ist. Ich halte mich also körperlich fit. Andererseits absolviere ich noch immer etwa 150 Auftritte pro Jahr. Das ist sehr viel und hält mich entsprechend in Form. Und schliesslich habe ich schlicht und einfach das grosse Glück, noch immer gesund zu sein – und Erfolg zu haben.
Hält Erfolg fit?
Gewissermassen schon. Erfolg ist etwas sehr Schönes, er zwingt mich aber auch, in Schuss zu bleiben.
Sie sind aktuell mit dem Soloprogramm «Highlights» unterwegs. Haben Sie die alten Nummern alle noch drauf?
Die meisten schon, einige davon sind mittlerweile fünfzig Jahre alt. Ein paar besonders akrobatische Momente, die zum Beispiel Salti enthalten, lasse ich weg.
Sie treten nicht nur als Solokünstler, sondern auch mit dem Familienprogramm «DimiTRIgenerations» auf – zusammen mit Ihren zwei Töchtern Nina und Masha, Ihrem Enkel Samuel und einer Bühnenpartnerin von Nina. Können Sie die Familiendynamik bei der Arbeit ausblenden?
Können schon, aber es ist doch schön, wenn auf der Bühne eine gewisse Familiendynamik spürbar wird. Und wenn wir proben, sind wir professionell genug, um nicht daran zu denken, dass hier jetzt die Tochter mit dem Vater arbeitet. Da sind wir absolute Profis.
Wie äussert sich diese Dynamik auf der Bühne?
Wir haben eine gewisse Ausstrahlung, die zwischen den Zeilen durchdringt. Es sind die Blicke, es ist die Nähe. Ich glaube, wenn jemand fünf Schauspieler, die keinen Bezug zueinander haben, auf eine Bühne stellt und sie eine Familie spielen lässt, spürt man den Unterschied.
Das klingt fast schon idyllisch. Dringt in den Proben oder in Momenten, in denen es vielleicht mal nicht so läuft, nie die Vater-Tochter-Dynamik durch?
Nein, wir geraten wirklich kaum je in problematische Situationen. Unser Umgang ist sehr harmonisch, wir sind sehr tolerant. Was dabei sicher auch hilft, ist die Materie, mit der wir uns beschäftigen. Wir arbeiten zwar seriös und sind diszipliniert, aber wir lachen auch viel zusammen und geniessen die Arbeit. Der Humor trägt viel zur guten Stimmung bei.
Sie sind der Silberrücken der Familie. Bestimmen Sie, welche Nummern den Weg ins Programm finden, oder sind da alle gleichberechtigt?
Alle bringen sich mit Ideen ein, von daher ist es nicht einfach mein Programm und die anderen spielen mit. In gewissen Momenten treffe ich als alter Weiser aber schon die Entscheidungen. Wenn wir nicht weiter wissen oder uns uneinig sind, habe ich das letzte Wort und alle hören auf mich – wie auch ich auf jemanden hören würde, der viel mehr Erfahrung hat als ich.
Waren Sie ein guter Vater, als der Nachwuchs noch klein war?
Ich hätte sicher ein besserer Vater sein können. Ich war ja selber noch jung und unerfahren. Aber immerhin war ich ein lustiger Vater, das kann ich von mir behaupten. Wir hatten sehr viel Spass.
Sind Sie persönlich ein lustiger Mensch?
Ich glaube schon.
Sie sind seit 1959 mit Soloprogrammen unterwegs. Gibt es in Ihrem beruflichen Leben ein ganz bestimmtes Highlight?
Nein, ich könnte keinen einzelnen Höhepunkt nennen. Denn mein ganzes Leben ist ein Highlight. Ich habe an jede Stadt, in der ich aufgetreten bin, eine bestimmte Erinnerung. Mit jeder Bühne verbindet mich eine bestimmte Atmosphäre oder eine Anekdote. Ich habe kürzlich zum Beispiel bemerkt, dass zwei Frauen in der vordersten Reihe ständig tuschelten. Nach dem Auftritt kamen beide zu mir und es stellte sich heraus, dass die eine Frau blind war und die andere ihr während der Show erklärt hatte, was gerade passiert. Wenn ein Mensch, der nichts sieht, meinem Auftritt etwas abgewinnen kann, ist das ein wunderschönes Gefühl. Aber auch wenn ein kleines Kind nach der Aufführung ein Autogramm von mir will und sagt, «Du warst cool», ist das ein echtes Highlight für mich.
Dass auch Kinder auf Sie reagieren und nicht bloss Erwachsene, die Sie seit den 70er-Jahren kennen, zeigt, wie zeitlos Ihr Humor ist. Und Kinder sind ja immer ehrlich.
Absolut, Kinder sagen immer die Wahrheit. Und ja, ich denke, meine Kunst ist zeitlos. Sie funktioniert bei Menschen jeden Alters.
Apropos 70er-Jahre: Damals kam es anlässlich eines Auftritts von Ihnen im Circus Knie zu einer denkwürdigen Begegnung mit Charlie Chaplin. Wie war das?
Für mich war das ein echtes Erlebnis. Für jeden Artisten wäre es das gewesen, denn für uns Clowns und Komiker ist Charlie Chaplin der Allergrösste. Er ist quasi unser König. Und ich empfand ihn damals als wunderbaren Menschen. Er sah meinen Auftritt, danach plauderten wir im Wohnwagen des Circus Knie. Es war eine schöne Begegnung in ausgelassener Atmosphäre, und es freute mich, dass ihm mein Auftritt gefiel. Das war 1970. Als ich drei Jahre später nochmal im Knie auftrat, traf ich Chaplin erneut, und da wirkte er bereits wie ein stummer, älterer Herr. Er sprach kaum noch. So war ich im Nachhinein besonders glücklich, ihn zuvor noch als präsenten Menschen erlebt zu haben.
Sie sagen, Chaplin war der Allergrösste. War er auch für Sie persönlich ein wichtiger Einfluss?
Klar, wie könnte man Chaplin nicht verehren. Seine Stummfilme sind genial. Sie sind poetisch, menschlich, zeitlos – und sehr komisch.
Ihr grösstes Vorbild war aber der Schweizer Clown Grock.
Das stimmt, er war mein grösstes Idol. Es gibt aber auch einen zweiten Schweizer, der mir sehr wichtig ist: Er heisst Gaston und ist ein wunderbarer Artist, den man zur Weihnachtszeit jeweils im Circus Conelli in Zürich sehen kann. Er ist ein grosser Künstler, der als einer der wenigen noch die Tradition der zeitlosen Clowns weiterführt. Er müsste eigentlich weltberühmt sein, ist aber zu bescheiden dafür.
Was macht einen zeitlosen Clown denn aus?
Er ist liebenswert, poetisch und fein, auch naiv und kindlich. Und er ist nie vulgär oder aggressiv. Diese Merkmale zeichnen Grock und Gaston aus.
Ist der klassische Clown auch eine traurige, melancholische Figur?
Das würde ich eher als Klischee sehen. Natürlich gibt es diese melancholischen Figuren, die weinenden Clowns. Ich finde diese Eigenschaft aber nicht gleichermassen stilbildend wie die Liebenswürdigkeit und die Kindlichkeit.
Sie sehen sich selbst als lustigen Menschen. Aber sind wir Schweizer ein lustiges Volk?
Durchaus, der Schweizer hat viel Humor. Es gibt nicht umsonst unendlich viele grossartige Schweizer Humoristen, und das Publikum ist auch sehr gut.
Und gibt es einen typisch schweizerischen Humor?
Ich glaube nicht. Zwar gibt es in der Sprache feine Unterschiede zum deutschen Humor. Emil, mit dem ich befreundet bin, hat mir kürzlich erzählt, einige seiner neuen Nummern würden in Deutschland nicht wirklich funktionieren. Schuld sind vor allem die Finessen in der Sprache. Grundsätzlich lachen die Schweizer aber über die gleichen Dinge wie alle anderen in Europa auch.
Der Humor hat sich ganz allgemein gewandelt. Heute plaudert eine jüngere Generation von Komikern auf der Bühne lässig und scheinbar spontan aus dem Nähkästchen. Das nennt sich dann «Comedy». Was halten Sie davon?
Das ist nicht mein Ding, da meistens sehr schnell, ziemlich aggressiv und wenig poetisch.
Vielleicht ist dieser temporeiche Humor die Alltagspoesie unserer Zeit?
Sicher, dieser Humor ist aus dem Leben gegriffen und nimmt aktuelle Bezüge auf. Er hat durchaus seine Qualität, und ich will auch nicht den Stab über diesen Künstlern brechen. Sie entsprechen mir einfach nicht.
Sie gelten als umtriebiger Mensch, haben eine Familie, ein eigenes Theater und eine Theaterschule. Sie spielen zehn Instrumente und malen gerne. Ausserdem sind Sie politisch interessiert und sporadisch auch aktiv. Sind Sie bloss ein aktiver Mensch oder gar ein unrastiger?
Vielleicht bin ich eine unrastige Person, aber ich fühle mich wohl dabei. Ich mag einen gewissen Stress. Immerhin aber nehme ich mir jeden Tag meine Zeit, um die Zeitung zu lesen.
Auf Papier?
Ja, ich verstehe nichts von Computern.
Können Sie auch mal nichts tun und einfach sein?
Es gibt durchaus Momente, in denen ich nichts tue – aber sie sind kurz. Ich brauche keine Erholung.
Sie malen sehr gerne. Darauf angesprochen, sagen Sie immer, Sie seien kein Maler.
Ja, ich bin kein Maler, sondern ein malender Clown. Das ist eine wichtige Nuance. Ich male zwar viel und stelle meine Bilder auch aus. Aber wenn ich in Museen die Werke der grossen Maler sehe, masse ich mir nicht an, mich wirklich einen Maler zu nennen. Das ist kein Vergleich.
Sie sind einer der wichtigsten, wenn nicht der berühmteste Clown der Schweiz. Welchen Ratschlag würden Sie mit Ihren 80 Jahren einem jungen Artisten mit auf den Weg geben?
Ich sage jedem jungen Künstler, dass er sein grösstes Talent, seine ganz eigene Spezialität herausspüren und weiterentwickeln soll – sei es die Musik, die Akrobatik, der Seiltanz. Es ist besser, etwas richtig zu können als alles ein bisschen.
Haben Sie selbst Träume, die Sie noch verwirklichen möchten?
Es gibt viele Träume, Wünsche und Projekte, die ich gerne umsetzen würde. Aufgrund meines Alters beschränke ich mich jedoch auf jene Ideen, die noch realistisch sind. Eine davon ist ein Spielfilm. Der Gedanke eines eigenen Films geistert seit zwanzig Jahren in meinem Kopf herum – im laufenden Jahr werde ich mir diesen Traum erfüllen und den Film machen.
Ist das schon spruchreif?
Ja, ich habe den Regisseur, die Schauspieler und einen Produzenten gefunden und das Drehbuch ist auch schon fertig. Es wird ein komischer Spielfilm ohne Worte sein – mit mir in der Rolle eines Stationsvorstands namens Molinari. Bald geht’s mit den Dreharbeiten los.
Er ist Clown, Pantomime, Akrobat und Musiker. Die Karriere des am 18. September 1935 in Winterthur als Dimitri Jakob Müller geborenen Künstlers begann 1959, als er erstmals mit einem Soloprogramm die Bühne betrat. Der grosse Durchbruch gelang dem gelernten Töpfer 1970 mit seinem ersten Gastspiel im Circus Knie. Zugleich eröffnete er in Verscio im Tessin sein eigenes Theater, 1975 folgte die Theaterschule «Accademia Teatro Dimitri». Seit 2006 tritt der Vater von fünf Kindern auch erfolgreich mit der Familie auf, erst in «La Famiglia Dimitri» und nun in «DimiTRIgenerations». «La Famiglia Dimitri» war sogar am New Yorker Broadway zu sehen. 2014 erhielt Dimitri für sein Lebenswerk den Swiss Lifetime Award. Wenn er nicht gerade mit dem Familienprogramm oder dem aktuellen Soloprogramm «Highlights» unterwegs ist, verbringt Dimitri die Zeit gerne in seinem Haus im Tessiner Ort Borgnone.
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