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In der Zirkuswelt gibt es in der Schweiz viele grosse und noch mehr kleine Akteure. Eine Geschichte über vom Zirkusvirus befallene Artisten und über glamouröse Klans.
Wer Leute in der Schweiz fragt, welche Schweizer Zirkusse sie kennen, erhält eine Antwort garantiert: Knie. Der Zirkus der Familie Knie ist der Bekannteste und Grösste der Branche, man nennt ihn auch Nationalzirkus. Lange Zeit konnte man die Zahl seiner Konkurrenten an einer Hand abzählen, doch seit den 1980er-Jahren hat sich die Szene ausgeweitet. Etwa zwei Dutzend Zirkusse tingelten heute durchs Land. Es liegt im Trend, sich mit kreativen Projekten zu verwirklichen, sei es mit alternativen Theatern, Kellerkinos, Kleinkunstbühnen – oder eben mit einem Zirkus.
Das Angebot ist zwar grösser, doch nur bedingt gewachsen ist das Publikum. Viele der kleinen Zirkusse leben von der Hand in den Mund. Die Konkurrenz ist gross und man versucht sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Das hat zur Folge, dass immer wieder mal ein Zirkus Konkurs geht. Oft gehen kurz danach dieselben Leute mit neu bemalten Wagen und unter neuem Namen wieder auf Tournee.
Hart ist das Zirkusleben nicht nur bei den Kleinen, die relativ neu im Geschäft sind. Auch der – je nach Definition – älteste und zweitgrösste Zirkus der Schweiz, der 1850 gegründete Nock, muss hart um sein Publikum kämpfen. Nock ist ein Drei-Frauen-Haus: Das Sagen haben Franziska, Alexandra und Verena, Angehörige der siebten Generation Nock. Auch der fast achtzigjährige Franz Nock reist noch immer mit. Er hat sich als Patron mehrfach über die Widrigkeiten beim Zirkusleben beschwert, vor allem über steigende Platzgebühren und verschärfte Vorschriften. Als Zirkus direkt hinter Knie ist Nock dem Publikum Qualität schuldig. So holte er vor Jahren den Theatermann Eugene Chaplin als Regisseur, dessen Vater mit dem Film «The Circus» eine Hommage an die Zirkuswelt geschaffen hat. Der jüngste Sohn «des Komikers aller Komiker» macht kein Aufhebens um seinen Namen, er sagt lapidar: «Man ist immer der Sohn von jemandem.»
Der Klan der Gasser ist die wohl am weitesten verzweigte Zirkusfamilie. Sogar in Australien und Kanada gibt es Ableger. Dynastiegründer Heinrich wurde 1880 im schaffhausischen Hallau geboren. Fast wie bei der Zellteilung entstand in seiner Sippe ein Zirkus nach dem andern.
Mehr als einmal machte ein Gasser-Betrieb finanziell einen Taucher. So musste Gasser Olympia, der sich mit der vollmundigen Affiche «einziges Zirkus-Restaurant der Welt» anpries, Konkurs anmelden. Wer die Tristesse der zeitweise fast leeren Plastiktische im Zelt gesehen hat, wundert das kaum. Doch dann zog der stämmige Direktor mit Schnurrbart und Reitpeitsche wieder durchs Land, nun als Circus GO. Ihre Passion ausleben können und konnten die Töchter und Söhne der Gasser–Dynastie auch bei Liliput, Starlight, beim Weihnachts-Zirkus Conelli und bei Geschwister Gasser. Zirkus machen und wie Nomaden durchs Land ziehen, ist wohl eines der letzten Abenteuer, das man in der durchorganisierten und auf Sicherheit getrimmten Schweiz heute noch erleben kann.
Ein weiterer Gasser-Betrieb ist das Connyland im thurgauischen Lipperswil. Ein Zirkus ist das nicht, sondern ein Freizeitpark. Doch die von Franz Nock beklagte Überreglementierung fand auch hier statt: Der Bund hat das Halten von Delfinen verboten. Tiere sind immer ein heikles Thema. Tierschützer und Tierrechtsaktivisten sorgen sich um Löwen, Pferde, Seehunde und Elefanten so sehr, dass Wildkatzen kaum noch auftreten dürfen.
Selbst bei Zirkus Knie, dem etablierte Tierschutzorganisationen eine gute Tierhaltung bescheinigen, verteilen militante Tierschützer Traktate, in denen angebliche Missstände angeprangert werden. Ein Flyer zeigte in diesem Sommer zum Beispiel Bären, die auf einem Motorrad fahren. Diese Nummer gibt’s bei Knie nicht.
Im Zirkus sollen Menschen für zwei Stunden aus dem Alltag in eine fröhliche, magische Glitzerwelt eintauchen, in der die Gesetze der Physik aufgehoben zu sein scheinen und auch Klamauk seinen Platz hat. Doch von den Vorgängen in der weiten Welt bleibt auch die zusammengewürfelte Gemeinschaft der Zirkusleute nicht verschont. Im Berner Zirkus Harlekin beispielsweise gab es im Frühling während der Krimkrise Diskussionen zwischen Mitgliedern des ukrainischen Zirkusorchesters und einem russischen Clown-Duo. In der Manege waren sie trotz allem Profis und arbeiteten perfekt.
Ein guter Clown ist ein Multitalent, akrobatisch, musikalisch, schlagfertig, selbstironisch und charmant. Entsprechend schwierig ist es, gute Clowns zu finden. Eine fast tragische Fehlbesetzung war über Jahre «Klein Helmut» bei Gasser-Olympia. Der kleinwüchsige Helmut Werner hatte als «Liliputaner» in der Zirkus-Fernsehserie Salto Mortale mitgespielt. Bei Olympia erhielt er danach sozusagen das Gnadenbrot. Lustig war er nicht, und über Kleinwüchsige zu lachen, ist im Zeitalter von Political Correctness ohnehin unzulässig geworden. Selbst wer nicht gleich eine Jahrhunderterscheinung wie Grock sucht – unter diesem Namen war der Schweizer Clown Charles Adrien Wettach (1880-1959) weltbekannt –, hat Mühe, fündig zu werden. Berühmte Clowns sind etwa Les Rossyann, die italienischen Gebrüder Rossi. Die virtuosen Musikinstrumentalisten pflegen ein Genre, dessen Vorbilder in die Zeit der Commedia dell’Arte des 16. Jahrhunderts zurückreichen: der schlaue, strenge, blasierte Weissclown und der dumme August, der beim Publikum die besseren Karten hat. Nock verpflichtete diese Truppe einmal vier Saisons hintereinander.
Einen Glücksgriff getan hat der Zirkus Knie in diesem Jahr mit dem poetischen Clown Larible. Doch selbst dem führenden Zirkus gelingt dies nur alle paar Jahre. Fredy Knie junior hat schon früh humoristische (und andere) Höhepunkte aus der Theaterszene in die Manege geholt: Dimitri 1970, Emil (Steinberger) 1977 oder 1988 die Truppe Mummenschanz. Seither «wildert» Knie immer wieder in der inzwischen reichen Kleinkunstszene. Die Ankündigung «Duo Fischbach im Knie» schlug 1998 ein wie eine Bombe. Es gelang in der Folge, Kleinkünstler, die oft auch aus dem Fernsehen bekannt waren, in den Zirkus zu transferieren: Zum Beispiel das träge Berner Jongleur-Duo Flügzüg, Gardi Hutter, Ursus und Nadeschkin, Massimo Rocchi oder Viktor Giacobbo. Den meisten gelingt der Sprung von der Bühne in die kreisrunde Manege gut. Aber wirklich vom Virus angesteckt hat sich kaum einer. Sie sind alle dahin zurückgekehrt, woher sie gekommen sind.
Zirkus ist Glamour, tagtäglich. Doch den für Hochglanz- und People-Magazine tauglichen Status einer «Königsfamilie» haben unter allen Klans nur die Knies erlangt. Auf sämtliche Titelblätter brachte es zuerst Géraldine Katharina Knie. Die Tochter von Fredy jun. und Mary-José hatte sich anlässlich der Tournee 1999 einen der vier italienischen Pellegrini-Brothers geangelt. Die Ehe hielt zwar nicht, doch Fredy jun. freute sich medienwirksam am Enkel Ivan Frédéric. Der Nonno ermahnte, begleitet von Reportern, das Bübchen, noch in Pampers und mit Nuggi im Mund, sein Mittagsschläfchen zu halten, um fit für die Abendvorstellung zu sein. «Sei un bravo, vai dormire!» Inzwischen ist aus Ivan ein hübscher Jüngling und versierter Pferdeflüsterer geworden. Neuer Star war 2014 Chanel Marie Knie, die dreijährige Tochter von Géraldine Knie und ihrem zweiten Ehemann, Maycol Errani, hatte ihren ersten Auftritt zu Pferd in der Manege.
Auch Franco Knie, Cousin von Fredy, ist bereits Grossvater. Er hat aus drei Ehen fünf Kinder – die beiden jüngsten sind die fünfjährigen Zwillinge Maria Dora und Timothy Charles. Die Zukunft des Unternehmens scheint also gesichert. Ein Fressen für die Boulevardblätter war Francos Liaison mit der monegassischen Prinzessin Stéphanie. Die Fürstentochter hauste 2003 sogar im Wohnwagen, um während der Auftritte in Francos Nähe zu sein. Bald war die Beziehung wieder Geschichte. Doch die republikanische Schweiz freute sich sehr über den Hofklatsch und die Verbindung zur Operetten-Monarchie an der Côte d’Azur. Da, wo am Festival du Cirque jedes Jahr die wirklich grossen Zirkusartisten auftreten.
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