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In diesem Jahr wird in der ganzen Schweiz der ersten Dadaisten gedacht. Doch lebt der Dadaismus heute noch? Ein Gespräch mit Adrian Notz, Direktor des Cabaret Voltaire.
«Schweizer Revue»: Herr Notz, Sie erinnern im Cabaret Voltaire derzeit an die Dadaisten von 1916. Sie wollen die grosse Aufmerksamkeit jedoch auch nutzen, um aktuellen Dadaismus ins Haus zu holen – für Performances, Lesungen und Konzerte. Gibt es ihn überhaupt noch?
Adrian Notz: Als Kunstbewegung gibt es Dada nicht mehr. Streng genommen existierte es nur von 1916 bis 1923. Danach ging es in andere Kunstbewegungen wie den Surrealismus über und hallte in späteren Bewegungen wie dem Situationismus, Fluxus, Punk oder der Beat Generation nach. Auch die Performancekunst geht auf Dada zurück. Vieles, was in der zeitgenössischen Kunst heute als selbstverständlich angesehen wird, basiert auf dem Dadaismus. So gesehen lebt er als Haltung nicht nur in der Kunst, sondern auch darüber hinaus weiter.
Dadaisten gibt es nicht mehr, Nachfahren aber schon?
Genau. Und als Kurator ist es sehr spannend, mit zeitgenössischen Künstlern zu arbeiten, die sich zwar nicht als Dadaisten bezeichnen, aber in Dada ihre Inspiration finden.
Provokation war ein wichtiges Element des Dadaismus. Kann man mit der Kunst heute noch provozieren?
Wenn sich Kunst zum primären Ziel setzt zu provozieren, ist sie bereits zum Scheitern verurteilt. Die Dadaisten wollten nicht in erster Linie provozieren, sondern etwas Neues schaffen. Und das irritierte die Menschen jener Zeit, die das nicht einordnen konnten. Heute gibt es aber durchaus noch Möglichkeiten, mit Kunst zu provozieren. Man denke nur an Pussy Riot und ihren Tanz in der ChristErlöser-Kirche in Russland oder an die Pariser Theaterperformance des Schweizer Künstlers Thomas Hirschhorn.
Und die «Entköppelung», die Teufelsaustreibung beim Politiker Roger Köppel im Neumarkt-Theater, war die Dada? Sie sorgte für einige Empörung.
Sie war eine Kunstaktion, die einzig darauf ausgelegt war zu provozieren und deren Sinn und Inhalt sich darin bereits erschöpften.
Gibt es heute noch Künstler, die darauf beharren, Dadaisten zu sein?
Es gibt schon Leute – Künstler allerdings weniger –, die sich Dadaisten nennen. Aber da gibt es ein gängiges Missverständnis: Nicht jeder, der ein bisschen schräg, klamaukig, exzentrisch und «dadamässig» drauf ist, ist ein Dadaist. Viele bedienen sich der üblichen Klischees – des Absurden, Grotesken und Provozierenden –, bleiben aber an der Oberfläche hängen. Bei Dada ging es hingegen um eine Vision auf der Suche nach einem Gesamtkunstwerk, das die Menschen aus dem Chaos befreien soll.
Im Jubiläumsjahr erhält der Dadaismus gegenwärtig viel Aufmerksamkeit. Aber was kommt danach? Verschwindet er wieder in der Versenkung des Musealen?
Der Dadaismus wird ja bereits im Jubiläumsjahr ziemlich museal abgefeiert – mit Ausstellungen in grossen Museen. Aber ich glaube fest daran, dass Dada im Sinne einer Haltung weiterleben wird, einer Haltung, die wir heute noch mehr benötigen als vor hundert Jahren. Dada wandte sich ja gegen einen sogenannten Wirtschaftsfatalismus und gegen eine allgemeine Verwissenschaftlichung, in die wir Menschen «verstrickt und gekettet» sind – und die uns unsere Rollen und Charaktere zuweist. Das ist immer noch aktuell. Heute gibt es massenweise Weiterbildungskurse zur Selbstoptimierung, wir reden ohne etwas zu sagen. So haben wir zu einem grossen Teil verlernt, selbst- und widerständig zu denken und zu leben. Wir sind haltlos geworden. Mit Dada könnten wir wieder Haltung annehmen!
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