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Schweizerinnen und Schweizer erwärmen sich mehr und mehr fürs Crowdfunding, also für die Schwarmfinanzierung von Projekten und innovativen Ideen. Besonders den Kulturschaffenden gefällt dieser Trend.
Wer reist, sucht das Ferne. Aber was passiert, wenn es auf der Welt nichts Entlegenes, nichts Exotisches mehr gibt? Was, wenn die Welt angesichts der Globalisierung ihre «Ränder» verliert? Wird dann jeder Ort zur «Mitte der Welt»?
Solche Fragen bewegen derzeit den Zürcher Rotpunktverlag. Ein Buch mit Antworten dazu will der rührige Verlag im nächsten Jahr vorlegen. Es ist ein Œuvre voller Essays, Interviews, Porträts und Fotografien. Das Buchprojekt «Die Mitte der Welt» ist aufwendig und teuer, derart teuer, dass der Verlag erstmals das Mittel des Crowdfundings – der Schwarmfinanzierung – ausprobiert hat. Ein erheblicher Teil der benötigten Mittel brachte der Verlag also zusammen, weil ein «Schwarm» interessierter Bücherfreundinnen und -freunde bereit war, das noch nicht existierende Buch vorzufinanzieren. Sie kauften es im Voraus, auf dass es überhaupt erschaffen werde. Dabei wurde das vom Verlag gesteckte finanzielle Ziel deutlich übertroffen.
Für Sarah Wendle vom Rotpunktverlag ist diese Erfahrung eine gute, zumal sie die Finanznöte im Kulturbereich bestens kennt: «Ich muss ganz offen sagen, dass das Büchermachen ohne externe Finanzspritzen für einen kleinen, unabhängigen Verlag immer schwieriger wird. Das gilt erst recht für Bücher, die etwas quer zum Mainstream stehen und obendrein in der Produktion aufwendig sind.» Werke, die nicht recht ins Schema passten oder thematisch und formal schwer fassbar seien, erhielten oft keine Unterstützung öffentlicher Stellen oder privater Stiftungen.
Laut Wendle ist Crowdfunding aber mehr als bloss eine zusätzliche Geldquelle: «Das Ganze wird entscheidend vom Gedanken, ‹gemeinsam können wir es schaffen›, getragen.» In ihren Augen ist Crowdfunding auch Ausdruck für das wachsende Bewusstsein für einen «anderen Konsum»: Wer die Entstehung eines Werks so begleitet, sei nahe dran an den Produzenten, lasse in Nischen etwas Besonderes gedeihen und «nimmt letztlich die Dinge selber in die Hand».
Entsprechend zuversichtlich ist die Bücherfrau. Gerade bei Büchern sowie bei Musik- und Filmproduktionen von unabhängigen Künstlerinnen und Künstlern werde Crowdfunding in der Schweiz an Bedeutung gewinnen. «In diesem Bereich lässt sich anschaulich vermitteln, was mit dem Geld ermöglicht wird», sagt sie. Immer gehe es «um etwas Handfestes».
Der Trend ist deutlich. Seit 2011 verdoppeln sich in der Schweiz die Summen, die über Crowdfunding zusammenkommen. 2013 waren es bereits 11 Millionen Franken. Fürs laufende Jahr sagt Professor Andreas Dietrich von der Universität Luzern ein Crowdfunding-Volumen von bereits 24 Millionen Franken voraus. Etwa die Hälfte dieser Mittel fliesst in kulturelle und sportliche Projekte. In Genuss der anderen Hälfte kommen junge Unternehmen. Vor allem für Unternehmen, die «ein einfaches Produkt haben, unter dem sich jeder etwas vorstellen kann», profitieren laut Dietrich vom Boom. Allerdings unterscheidet sich die «Crowd», die in junge Start-Ups investiert, von jener, die auf Kulturelles setzt. In Start-Ups investieren primär Finanzspezialisten, die nach alternativen Investitionsmöglichkeiten suchen. Für die Buchautoren, Filmemacher, Theaterregisseurinnen, Kabaretistinnen, Kinderbuchillustratoren oder Designer erwärmen sich eher Idealisten – aus Freude an der Idee und als Ausdruck des Gemeinsinns.
Den Nukleus der Crowdgemeinschaft, die ein kulturelles Projekt trage, sei in aller Regel die eigene Familie, der eigene Freundes- und Bekanntenkreis, sagt Rea Eggli, Mitbegründerin der 2012 entstandenen und in der Schweiz schon breit verankerten Crowdfunding-Internetplattform «we make it». Sie geht davon aus, dass ein Projekt dann die erhoffte Unterstützung erfährt, wenn gut zwei Drittel der benötigten Summe im eigenen Umfeld mobilisiert werden können. Das verbleibende knappe Drittel steuerten Leute bei, die zufällig auf ein Projekt stiessen und es spontan unterstützten. Wer also eine tolle Idee hat, aber kein breites, persönliches Netzwerk, dürfte es schwer haben, seine Ziele über Crowdfunding zu erreichen. Zudem sind die Projektträger nicht vor der desillusionierenden Erfahrung gefeit, dass sie ausschliesslich die ihnen bereits Zugeneigten erreichen. So hat etwa die Wohngemeinschaft für Jugendliche in Rafz (ZH) den Rekordbetrag von 54?000 Franken zusammengebracht. Laut Mario Schmidli, Vorstandsmitglied des Vereins Betreutes Wohnen Rafz, war aber unter den Spenderinnen und Spendern kein einziger Name auszumachen, den er nicht schon kannte: «Diese Erfahrung war ernüchternd, hatte ich mir doch erhofft, über Crowdfunding zu neuen Geldgebern zu kommen.»
Noch ist das Instrument der Schwarmfinanzierung in der Schweiz nicht gar so populär wie beispielsweise in den angelsächsischen Ländern. Ist dies eine Folge der Tatsache, dass die Schweiz halt ein kleines Land und in verschiedene Sprachregionen unterteilt ist? Lea Eggli von «we make it» ist optimistisch und sieht in der Kleinheit und Feingliederung des Landes keinen Nachteil: «Das Internet kennt keine Grenzen. Man kann also in verschiedenen Sprachen und auch über Landesgrenzen hinweg eine Kampagne lancieren.» Entscheidend sei die Kultur des Landes: «Die Schweiz zum Beispiel kennt das Spenden- und Gönnerprinzip sehr gut und ist vertraut mit einer grossen Vereinslandschaft.» Die Menschen seien sich also gewohnt, sich für eine Sache zu engagieren, statt sie bloss zu «liken».
In einer Region der Schweiz ist das Gönnerprinzip besonders gut verankert: in Basel. In der Stadt mit der ausgeprägten Tradition des Mäzenatentums sind auch Crowdfunding-Projekte überdurchschnittlich erfolgreich. Dafür gibt es auch eine Erklärung: Basel richtete die erste kantonale Crowdfunding-Internetplattform der Schweiz ein – und dafür stark gemacht hatte sich auch der Leiter der Abteilung Kultur des Kantons, Philippe Bischof. «Der Erfolg der Plattform übertrifft unsere Erwartungen bei weitem», erzählt er. «Das freut mich natürlich sehr, da auf diesem Weg viele interessante kulturelle Projekte unterstützt und realisiert werden können.» Über 70 Prozent der präsentierten Projekte erhalten hier die erhoffte Unterstützung. Besonders gross sind Wohlwollen und Unterstützung bei der freien Film- und Musikszene. Und widerlegt ist laut Bischof «Gott sei Dank» die Befürchtung, die seit der ersten Stunde gehegt wird: «Erfolgreich sind keineswegs nur populäre oder mainstreamige Projekte. Unterstützung erfahren gerade auch viele experimentelle Vorhaben und Nischenproduktionen von hoher Qualität.»
Wenn sich die Behörden fürs Crowdfunding ins Zeug legen, dann drängt sich die Frage auf: Erhofft sich die öffentliche Hand, Crowdfunding möge die knapper werdenden Mittel im Bereich der öffentlichen Kulturförderung kompensieren? Bischof widerspricht entschieden: «Die öffentliche Hand darf diese Rechnung nicht machen.» Mehr noch: Es gelte dringend zu verhindern, «dass die Politik meint, Crowdfunding könne anstelle von Subventionen und Infrastrukturförderung treten». Crowdfundingkampagnen dauerten in der Regel nur wenige Wochen und beträfen Einzelprojekte. Wirksame und sinnvolle Kulturpolitik müsse aber Unterstützung über längere Zeiträume hinweg garantieren können, sagt Bischof. Somit könne Crowdfunding «immer nur ergänzend zur öffentlichen Kulturförderung gedacht werden. Crowdfunding ergänzt die kantonale Kulturförderung in jenen Bereichen, die nicht zwangsläufig den tradierten Förderkriterien entsprechen.»
Insgesamt spricht Bischof von einem idealen Zustand: Projektträgerinnen und -träger könnten um öffentliche Förderung nachsuchen und gleichzeitig die kantonale Crowdfunding-Plattform nutzen: «Wichtig ist, dass die Verbindung bedingungslos ist.» Die öffentliche Kulturförderung müsse ihren Auftrag erfüllen, ohne darauf zu spekulieren, dass die Kulturschaffenden wohl schon mit Charme dem Schwarm die benötigten Batzen entlocken werden.
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