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Diskurs: Das Ringen um die «richtige» Neutralität

27.01.2023

Die anhaltende Diskussion über die Neutralität der Schweiz verläuft kontrovers. Sie spaltet eher als sie eint. Das zeigen auch die Reaktionen aus unserer Leserschaft aufs Dossier «Neutralität» in der Dezember-Ausgabe der «Revue». Es zeigt sich: Über Neutralität kann man gar nicht neutral diskutieren.

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Die Schweiz ringt um die Interpretation ihrer Neutralität

Werner Gemperle, Stofors, Schweden

Für mich bedeutet die Neutralität der Schweiz: nicht den Mut zu haben, das Richtige zu machen und immer im Hinterkopf zu haben, ein bisschen zu profitieren – und schliesslich unter dem Fähnchen des Vermittlers vor der Welt gut auszusehen.

 

Paul Tavan, Bayern, Deutschland

Es gibt aus meiner Sicht keinen vernünftigen Grund, die immerwährende bewaffnete schweizerische Neutralität aufzugeben. Insbesondere halte ich die Teilnahme an Sanktionen gegen Russland für einen politischen Fehler.

 

Bea Borner, Hua Hin, Thailand

Die Neutralität ist gut und recht. Aber wenn ein Land grundlos einen anderen Staat mitten in Europa überfällt, dann darf die Schweiz auf keinen Fall wegschauen! Die Schweiz muss zwingend dem angegriffenen Staat zur Seite stehen, und dies mit allen Mitteln und auf allen Gebieten.

 

Dieter Schiess, Frankreich

Neutralität ist im Kriegsfall okay. Hier aber liegt Staatsterror eines Grössenwahnsinnigen vor. Da kann und darf die Schweiz nicht einfach neutral die Hände in den Schoss legen. Damit befürworten wir automatisch die unmenschlichen Verbrechen. Als Schweizer schäme ich mich für ein solches Verhalten.

 

Georges Glardon, Aglou, Marokko

Die Nichtbeachtung der strikten Neutralität in Bezug auf Konflikte im Ausland, seien sie sozialer, politischer oder militärischer Natur, schwächt die Glaubwürdigkeit des Landes. Ich denke, dass die Teilnahme an den Sanktionen gegen Russland für nicht neutrale Länder gerechtfertigt ist, für die Schweiz stellt sie aber eine Schwächung ihrer Neutralität dar.

 

Ueli Bornhauser, Gießen, Deutschland

Für mich bedeutet Neutralität, nicht einem Block oder ohne Bedingungen einer Haltung anzugehören. Das heisst aber nicht ohne Haltung zu sein. Neutralität kann helfen zwischen zwei Streithähnen zu vermitteln. Bei einem klaren Verstoss gegen die von der UNO beschlossenen Regeln kann aber die Neutralität kein Deckmantel für Haltungslosigkeit sein. Im Privaten fordern wir Zivilcourage, das gilt für mich auch für die Gemeinschaft!

 

Arye-Isaac Ophir, Israel

Die Formulierung, dass die Schweiz die Neutralität praktiziere, ist eine Fehlformulierung. Mindestens seit dem Ersten Weltkrieg ist dieser Begriff nur noch Theorie, quasi ein politischer «Künstlername» der Schweiz. Zwar sehr praktisch, aber nicht praktiziert.

 

Richard Jakob-Hoff, New Zealand

Vielleicht ist das Wort Neutralität zu offen für Interpretationen, wie im «Revue»-Artikel angedeutet wird. Friedlich zu sein und für den Frieden einzutreten ist keine passive Angelegenheit, sondern erfordert Entschlossenheit und Handeln. Wir sollten über andere, weniger ambivalente Begriffe nachdenken, um die Position der Schweiz zu beschreiben. Die Rolle eines neutralen Friedensvermittlers ist in Europa und anderswo dringend erforderlich, und die Schweiz könnte in einer hervorragenden Position sein, um eine solche Rolle zu übernehmen. Das ist natürlich keine leichte Aufgabe, aber eine äusserst lohnende.

 

Die Fünfte Schweiz und das Auswandern

Antal Tamás Illés, Teneriffa, Spanien

Mit dem Auswandern habe ich eine gewisse Erfahrung: 1956 kam ich aus Ungarn in die Schweiz; 1999 zogen wir aus der Schweiz auf unsere Segeljacht; 2005 wurden wir in Spanien sesshaft. Zwei meiner Erfahrungen:

Regel Nr. 1: Anderswo ist alles anders. Ohne ein Mindestmass an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit wird man garantiert unglücklich. Die sicherste Methode, sich in jedem Land unbeliebt zu machen, beginnt mit dem Satz: «Also bei uns in der Schweiz …». Vergiss es! Du bist hier Gast. Benimm dich dementsprechend.

Regel Nr. 2: Kein Mensch lernt Türkisch oder Thailändisch wegen zwei Wochen Ferien. Will man aber längere Zeit im Ausland leben, ist die Fähigkeit, sich zumindest einigermassen in der Landessprache verständigen zu können, unerlässlich.

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